Die Postkarte ist die letzte Bastion einer schwindenden Welt: der analogen. Sie trotzt der E-Mail und ihrem faden Ruf, sträubt sich gegen die digitale Version ihrer selbst und wirkt heute herrlich unaufgeregt im Vergleich zu all den Herzchen- und Partytröten-Emoticons, die unsere Chats fluten. Selbst der Brief verliert da gegen sie. Mit ihrem begrenztem Platz für schöne Worte ist die Karte sehr charmant.
Wie sehr, das zeigt sich beim Beschriften, dann nämlich wenn die Spitze des Füllfederhalters über die Kartonage schabt und das Geräusch einen in die schönsten Momente rückversetzt: Weihnachtsfeiern, Geburtstage, Heiterkeit. Manchmal ist die Karte aber auch ein rettendes "Hallo" zwischen Rechnungen, Mahnungen vom Finanzamt und einem Haufen geistloser Reklame. Fast eine Viertelmilliarde schickten sich die Deutschen 2014, die Zahl sank seit Jahren nicht mehr.
Ein Stück gepresstes Papier kann erstaunlich vielschichtig sein
Schon Autoren pflegten so Korrespondenz, F. Scott Fitzgerald schrieb einmal ein "How are you" in ungelenker Schrift und schwarzer Tinte. Die Karte adressierte er: an sich. Das ist erst schrullig, dann betörend und letztlich auch ein wenig tragisch. Vor allem aber ein Beweis dafür, wie vielschichtig so ein Stück gepresstes Papier sein kann. Doch was genau lässt die Postkarte in unserer digitalen Realität noch überleben?
Für die Antwort genügt ein Blick ins Lager eines der großen Häuser in Berlin-Charlottenburg: des Gutsch Verlags, in dem es nach Tinte duftet, nach Papier und nach Zitrusreiniger. Darin stapeln sich im Neonlicht die Kartons in Industrieregalen bis zur kahlen Decke. Es ist ein absonderliches Universum aus einer Million Postkarten und den unterschiedlichsten Motiven - jedes davon eine auf 13 mal 15 Zentimetern gebannte Welt. Sie beheimatet mal ein Damenrad, abgestellt vor Seekulisse. Dann einen zurechtgezupften Jungen, mit irritiertem Blick und einem Teddy nebendran. Darüber dann der Schriftzug: "Komisch, auf alten Fotos sieht man viel jünger aus."
Die Aufdrucke bewegen sich damit irgendwo zwischen Traumwandlerei, Nostalgie und altkluger Ironie, und sind immer Projektionsflächen für die Sehnsüchte der Menschen. Ihr Betrachter kann sie interpretieren wie abstrakte Kunst, sich ganze Schicksalsgeschichten für das Kind ausdenken, in seiner Fantasie nach dem Ort des Sees suchen oder den Kopf schütteln und lachen über einen gar nicht so schlechten Witz. Finden wird er: eine Hommage an den Moment. So kommt es vor einem Kartenständer zu einer verloren geglaubten Tugend - der, innezuhalten und sich einem analogen Erlebnis hinzugeben, während das Scharnier des Alugestells ergeben quietscht.
Jetzt ist es ein herzloses Vorurteil, nur die Generation der Großmütter stünde so vor einem Kartenständer. Denn weniges ist so modern wie eine Postkarte. Sie ist immer Ausdruck der aktuellen Mode.