Ladies & Gentlemen:Bunt, bunter, Bridgerton

; Bridgerton Netflix

Regé-Jean Page (links) wird in den Fortsetzungen von "Bridgerton" nicht mehr den leidenschaftlichen Duke of Hastings spielen. Aber die Serie ist noch lange nicht auserzählt.

(Foto: Liam Daniel/Netflix)

Die Historiensoap ist derzeit überall Thema. Liegt das an den wilden Kostümen oder an Corona-Langeweile?

Von Julia Werner & Max Scharnigg

Für sie: Unrecht am weiblichen Oberkörper

Von wegen Jogginghosen! Frauen auf der ganzen Welt träumen derzeit laut der Modesuchplattform Lyst von langen Handschuhen, Kristallschmuck und Empire-Kleidern. Für den Trend gibt es bereits einen Begriff: "Regencycore". Das liegt an "Bridgerton", dem Feiertags-Netflix-Serienhit. Die Geschichte, die sich um Sex, Liebe und Lügen dreht, ist so langweilig wie eine Vorabend-Soap. Aber Bridgerton darf man sich offiziell reinziehen, ohne der Seichtheit bezichtigt zu werden. Das ging bei der Endlos-Geschichte "Reich und Schön" früher leider ja nicht! Die Serie, die im frühen 19. Jahrhundert spielt, ist nämlich zwar nicht historisch, aber politisch total korrekt. Es geht um das sexuelle Erwachen einer jungen Frau in superprüden Zeiten, und auch das Colour-Blind-Casting der Produzenten wird in den höchsten Tönen gelobt. Die Klamotten sind ein Grauen: die ab Brust weit fallende Silhouette, die in einer kurzen Periode zwischen zwei repressiveren, aber viel eleganteren Modeären des Korsetts getragen wurde, hat dem weiblichen Körper so viel Unrecht angetan wie die heute weit verbreitete Oversize-Manie. Dekor und Farben gehen in Bridgerton stark in Richtung Macarons, was den Machern zufolge gewollt ist, um dem ganzen Modernität zu verleihen. Wenn das Zeitgeist ist, muss man sich dann Sorgen machen? Wir entschuldigen den Erfolg dieser Serie einfach mal damit, dass auch die modernste Frau zuweilen von ihrer Sehnsucht nach Partys mit Männeraufregung überwältigt wird. Den Rest des Trends bitte einfach lassen.

Für ihn: Alter Junggeselle

Aus irgendeinem Grund müssen Historienfilme seit geraumer Zeit poppig sein, um eine Existenzberechtigung zu haben. Bei der Serie "Bridgerton" setzt man dazu nicht auf Popmusik oder Slangsprache, sondern hat die präviktorianische Kulisse als eine Art Romantic-Disneyland nachgebaut - alles sehr flamboyant, nur Script und Handlung sind eher hausbacken geblieben. Die Darsteller sehen bei aller Grandezza immer aus, als hätten sie gerade eben noch Kaugummi gekaut. Die allerorten wiederholte Parole "Jane Austen meets Gossip Girl", tut deshalb beiden Referenzen doch eher unrecht. Die geschliffene Feinheit der Empfindung von Jane Austens Charakteren sucht man in der Netflix-Produktion genauso vergeblich wie die pointierten Dialoge moderner Serien. So rumpelt die ganze Story im trägen Walzer aus gesellschaftlichen Zwängen und romantischer Bückware dahin. Die Männerfiguren bleiben so eindrucksvoll wie bei einer Folge "Traumschiff", allen voran Pseudo-Othello "Simon, Duke of Hastings" in der Hauptrolle, der trotz angestrengter Sperrigkeit nie an den Charme eines Mr. Darcy in einer beliebigen BBC-Verfilmung herankommt. Man lernt von ihm aber, was Aristokraten in London 1813 machen: Sie gehen ins Gym, haben Sex, tragen seltsam moderne Frisuren und viele bunte Paisley-Westen, und ihre Hauptaufgabe besteht darin, Damen am Oberarm zur packen und zur Rede zu stellen. Im Grunde sind sie aber dysfunktional, verstockt und irgendwie auf der falschen Spur. Das immerhin ist wohl als moderne Einlassung zur feministischen Debatte zu verstehen, genau wie die Details rund ums Schwangerwerden, die viel Platz einnehmen. Seltsam? Egal, diese Mischung machte "Bridgerton" in nur drei Wochen zu einer der erfolgreichsten Netflix-Produktion aller Zeiten. Bitte mit breiter Puderquaste antworten, BBC!

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