Bobkultur:Helm für den Wahlkampf

Democratic presidential candidate Hillary Clinton looks on as vice presidential candidate Senator Tim Kaine speaks at the David L. Lawrence Convention Center in Pittsburgh, Pennsylvania

Endlich, das Haar sitzt: Auch die Frisur von Hillary Clinton hat politische Karriere gemacht.

(Foto: Aaron P. Bernstein/Reuters)

Sind 600 Dollar zu viel für eine Frisur? Keineswegs: Wer politisch Karriere machen will, sollte sich ein Beispiel an Hillary Clinton nehmen und in eine vernünftige Frisur investieren.

Von Dennis Braatz

Ende März, vorm Luxuskaufhaus Bergdorf Goodman: Unten auf der Fifth Avenue bringt eine Gruppe Security-Leute mit vier schwarzen Limousinen den Verkehr zum Erliegen. Oben im neunten Stock soll Hillary Clinton ihren Friseurbesuch bei John Barrett genießen. Die Betonung liegt auf "soll". Ob sie wirklich da ist, weiß niemand so genau. Weil bei John Barrett aber "Waschen, Schneiden, Föhnen" 600 Dollar kostet, regen sich hinterher vor allem die Menschen auf, die sich immer aufregen. Grundtenor: Wie kann man bloß so viel Geld für eine Frisur ausgeben?

Klar, für die meisten Leute ist das eine ganz schöne Summe für ein bisschen Haargefummel mit anschließendem Windmachen im Designer-Salon. Die meisten Leute wollen aber auch nicht Präsidentin der Vereinigten Staaten werden. Oder Staatspräsident in Frankreich.

Selbst wenn Clinton auf die 600 Dollar noch ein ordentliches Trinkgeld draufgepackt hätte, im Vergleich zu François Hollandes Aufwendungen wäre es ein Schnäppchen: Der französische Präsident zahlt seinem Friseur monatlich 9875 Euro, auf Staatskosten. Margaret Thatcher, in Sachen Aussehen nicht über die Maßen eitel, kam jährlich auf fast 120 Termine. Warum nur?

Die Frisuren der Mächtigen sind seit jeher ein wesentlicher Teil ihres Gesamtauftritts, ihrer Inszenierung also; das war schon bei den alten Ägyptern und den Römern so, der Philosoph Seneca widmet den eitlen Senatoren, die ihre Zeit beim Friseur totschlagen, ganze Absätze. Ja, die Haare sind ein Zeichen für Formbewusstsein, auch für eine gewisse jugendliche Kraft. Obgleich nicht immer zum eigenen Vorteil, siehe Trumps Maiskolbenhaar oder die Anton-Hofreiter-Welle.

Hinzu kommt, dass man als öffentliche Person und Repräsentant eines Landes natürlich gut aussehen will: Wer hundertfach am Tag fotografiert wird, für den lohnt sich eine Investition beim Friseur ungleich mehr als für den Normalbürger. Ungepflegte Haare sollte man als Vollzeit-Politiker möglichst nur am frühen Sonntagmorgen haben, wenn keiner hinsieht; sonst wirkt man schnell wie jemand, der komplett durch den Wind ist.

Keine wechselte so oft ihre Frisur

Das alles weiß niemand besser als Hillary Clinton - nicht nur, weil ihr stets bis in die Spitzen motivierter Ehemann Bill von 1993 bis 2001 schon mal Präsident war. Fakt ist ja: Keine First Lady wechselte so oft die Frisur wie sie, was naturgemäß stets Gegenstand kritischer Beurteilungen war. Für offizielle Abendtermine wie die Amtseinführungsbälle des Gatten ließ sie sich gern eine züchtige Banane stecken. Tagsüber trug sie mal schulterlange Südstaatenlocken, mal ganz einfach nur die Haare kurz. Während der Lewinsky-Affäre dann wieder schulterlang, diesmal aber strichgerade glatt geföhnt und leicht auftoupiert; die Presse nannte den Look Helmfrisur. Nur wenige Wochen später auf dem Cover der amerikanischen Vogue waren die Haare wieder wellig-femininer.

Isabelle Goetz, Clintons Friseurin

"Ich glaube, sie würde gern mehr Dinge mit ihren Haaren probieren. Aber zur Zeit ist das ein guter Look, und man sollte ihn nicht ändern."

Hillary Clinton sah aus wie eine Frau auf der Suche nach der richtigen Frisur, und nicht zu Unrecht. Aber sie hat auch früh erkannt, dass ein neuer Schnitt oder ein neues Styling eine geschickte PR-Maßnahme sein kann. An dieser Stelle sollte man unbedingt an ihre berühmte Äußerung aus dem Jahr 1995 erinnern: "Wenn ich eine Titelgeschichte will, ändere ich einfach meine Frisur."

Später, als Senatorin des Bundesstaats New York, hielt sich Hillary die Haare mit einem Reif zurück. Als Außenministerin band sie sich den Pferdeschwanz mit einem samtumnähten Zopfgummi, das auch "Scrunchie" genannt wird, und in allen Stilkritiken durchfiel. Ihre Mitarbeiter begründeten den Look damals mit den vielen Dienstreisen: Er sei bei Wind und Wetter praktisch und kamerakompatibel.

Der "Pob" steht für "political bob"

Wann immer es um ihre Haare ging, hat die heute 68-Jährige meist einer einzigen Frau vertraut: Isabelle Goetz. Die Hairstylistin aus Frankreich betreibt einen eigenen Salon in Washington D. C. Auf ihrem Stuhl saßen schon John Kerry oder Königin Rania von Jordanien. Für Clinton arbeitete sie erstmals 1997.

Heute ist sie auf den meisten Reisen mit dabei und gilt als "Chief Coiffeur". Die aktuelle Wahlkampffrisur hat sie selbstverständlich auch entwickelt. Die Grundform ist ein Bob, gestuft und konvex auf Kinnlänge geschnitten, also nach hinten länger auslaufend. Der Pony ist meist seitlich aus dem Gesicht geföhnt.

Vor ein paar Wochen hat der Guardian diese Frisur "Pob" getauft (Abkürzung für "political bob") und eine Fotomontage von Hillary Clinton, Angela Merkel und Theresa May dazu gestellt. Bei den drei Frauen stimmen Haarlänge und -silhouette in etwa überein. Im Vergleich zu Clinton ist Merkels Pony ins Gesicht geföhnt, das Haar ist etwas weniger durchgestuft und, am wichtigsten: Es ist weniger voluminös. Bei Clinton wird zusätzlich auftoupiert, was als typisch amerikanisch durchgeht. Experten zufolge liegen Schnitt und Styling von Theresa Mays Frisur exakt zwischen denen der Kolleginnen.

Mit Sexismus übrigens hat das hier alles nichts zu tun. Gerade wurde noch heftig debattiert, ob man den Look von Politikerinnen überhaupt thematisieren darf (Auslöser waren die bunten und teils wild gemusterten Schuhe von Theresa May), blühender Unsinn. Denn natürlich darf man das!

Auch über männliche Politiker wird ja ständig berichtet. Etwa über Gerhard Schröders angeblich gefärbte Haare und seine italienischen Anzüge. Oder Sigmar Gabriel, wenn er mit dem Teint eines Skilehrers aus dem Urlaub zurückkehrt. Und natürlich Donald Trump, mit den weißen Waschbär-Abdrücken auf den Augen, die bekanntlich durch das Tragen einer Schutzbrille beim Auftragen von Selbstbräuner entstehen.

Hillarys Bob vermittelt Stabilität und Glaubwürdigkeit

Womit wir bei den Vorteilen von Hillary Clintons Frisur angelangt wären: Sie verleiht ihr Stabilität und Glaubwürdigkeit. Wer ein Land regieren und durch Krisen führen will, muss seriös aussehen; es darf auch nicht der Eindruck entstehen, als würde er oder sie Zeit mit Äußerlichkeiten verplempern.

Je kürzer die Haare, desto kürzer die Föhnzeiten. Der "Pob" ist die beste Lösung, weil er auch noch lang genug ist, um bei den männlichen Kollegen als weiblich durchzugehen. Darüber hinaus ist so ein Schnitt bei Frauen von Mitte 50 an besonders beliebt. In diesem Alter produziert die Haut weniger Talg, die Haare verlieren an Feuchtigkeit und werden kraftloser. Lange Haare sehen schnell nicht mehr gepflegt aus. Das gilt auch für Männer.

Hillary Clinton hat mit dem "Pob" also die perfekte Frisur gefunden. Zumindest Clinton, die Präsidentschaftskandidatin. Denn da ist ja auch noch Hillary, die Frau. In einem Interview mit dem New York Magazine verriet ihre Hairstylistin kürzlich: "Ich glaube, sie würde gern mehr Dinge mit ihren Haaren probieren. Aber zurzeit ist das ein guter Look, und sie sollte ihn nicht ändern." Soll heißen: Schon die nächste kleine Typveränderung könnte zur Gefahr für die Inszenierung der mächtigen Staatsfrau werden.

Eigentlich schade, wenn sich Frauen einen ganz bestimmten Haarschnitt zulegen müssen. Mit dem Ausdruck von Persönlichkeit hat das nicht mehr viel zu tun. Uniform trifft es eher.

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