Süddeutsche Zeitung

Birkenstocks:Plötzlich in Vogue

Nie standen sich Topmodels und deutsche Frührentner stilistisch näher: Birkenstocks sind die Mode-Überraschung des Sommers. Am meisten für das rheinland-pfälzische Unternehmen selbst.

Von Silke Wichert

Die deutsche Vorwahl 02645 wählen Vogue-Redakteurinnen eher selten. Schon gar nicht, wenn sie für die brasilianische oder amerikanische Ausgabe arbeiten. Doch seit Herbst rufen sie ständig in Vettelschoß an, wo auch immer dieser exotische Ort liegen mag. Ebenso die Kolleginnen von der chinesischen Elle oder dem niederländischen Independent-Magazin Rika. Sie alle wollen den Schuh der Saison für ihre Modestrecken fotografieren. Kein High Heel mit kunstvollem Absatz, sondern flache Korksohle, doppelter Riemen, in Schwarz, Weiß oder Braun - Birkenstocks, die ewige Hausschlappe. Nie standen sich Topmodels und deutsche Frührentner stilistisch näher.

In Vettelschoß, einer Häuseransammlung in der Nähe von Linz am Rhein, wo Trendfarben höchstens ein Thema sind, wenn auf den weiten Feldern drum herum gerade der Raps blüht, wissen sie selbst nicht so genau, wie ihnen geschieht. Die Verwaltung von Birkenstock mit ihren 500 Mitarbeitern ist gerade in einen dreistöckigen Metall-Glas-Bau umgezogen, die Bürostühle sind noch nicht mal ausgepackt, aber die Konferenzräume heißen schon wie die Schlappen: Florida, Arizona, Madrid. Große weite Welt, made in Germany. In Florida erfährt man jetzt, dass der Hype wirklich gigantisch ist. Marc Jacobs hat gerade für eine Kooperation angefragt - er bei ihnen, nicht umgekehrt. Die Luxus-Onlineboutique Net-a-porter verkauft plötzlich Birkenstock.

Der Umsatz wächst im "dramatisch zweistelligen Bereich", in den USA hat er sich im vergangenen Jahr fast verdoppelt. Die Marke, immerhin 240 Jahre alt, war schon ein paar Mal "in", aber jetzt erlebt sie das erfolgreichste Jahr ihrer Geschichte. Und das Beste ist: Birkenstock musste selbst nichts dafür tun. Keine teure Kampagne, keine Gratissendungen nach Hollywood, kein "wir machen jetzt auf Vintage"-Neustart, wie ihn andere Traditionsmarken oft probieren. Im Grunde, das wird dem Florida-Besucher klar, hat Birkenstock alles getan, um so etwas zu verhindern.

Denn bis zum vergangenen Jahr gab es nicht mal eine Marketingabteilung, keinen Außendienst, keine Linie. Das Image von Birkenstock sah überall anders aus. In Amerika immer schon irgendwie lässig, in Italien plötzlich hip. In Deutschland verbreiteten sie weiterhin Sanitätshaus-Charme. Eine hübsche "Wie man es nicht macht"-Fallstudie für jeden Marketing-Grundkurs. Neulich rief die Wirtschaftswoche an und wollte mit der Design-Ikone der Firma sprechen. Designer? Leider unmöglich. Bis vor Kurzem gab es das nicht. Bei Birkenstock ging es immer nur um Fußbett und Funktion. Alles andere war zweitrangig.

Birkenstock selbst musste nichts für sein Revival tun

Aber die Mode funktioniert nach ihren eigenen Gesetzen, und eines davon besagt, dass Phoebe Philo immer recht behält. Als die Céline-Designerin für den Sommer 2013 flache Sandalen mit zwei breiten Riemen und Pelzeinlage auf den Laufsteg schickte, von Modekritikern damals halb entsetzt, halb entzückt "Furkenstocks" getauft, konnte man sich darauf verlassen, dass sie damit einen Trend setzen würde. Erst recht, weil die Kollegen Giambattista Valli und Riccardo Tisci von Givenchy ähnliche Latschen präsentierten. Nach all den High Heels, die so aufwendig und teuer wie Handtaschen geworden waren, sollten flache, bequeme Sandalen nun Ausdruck demonstrativer Entspanntheit sein.

Paradigmenwechsel inszeniert man in der Mode so: die "Ur-Sandale" - reduziert auf das Wesentliche, orthopädisch wertvoll, absolut uncool - aber eben nicht im gewohnten "Öko"-Totallook getragen. Sondern als kalkulierter Bruch zu fließenden Seidenhosen und teuren Satinkleidern. Mit so viel Bodenhaftung musste die normalmodische Frau erst mal klarkommen. Es brauchte also noch ein Jahr, bis sich die schrullige Schlappe richtig durchsetzte.

Aber jetzt, in diesem Sommer, ist sie überall. Fast sämtliche Label von Isabel Marant über Marni bis Zara bieten diesen Sommer einen eigenen Birkenstock-Verschnitt an. In Geschäften wird sogar häufig nach der "Marant x Birkenstock Kooperation" gefragt, die es, natürlich, nie gegeben hat. Birkenstock stört das nicht. Genannt werden ja doch alle wie das Original, das steigert die Bekanntheit der Marke, und in den Modestrecken der Hochglanzmagazine ist fast ausschließlich der echte "Arizona" zu sehen, das klassische Unisex-Modell.

Man könnte auch sagen: asexuell. Attraktiver jedenfalls macht dieser Schuh bestimmt nicht, das Gefälle zwischen Topmodels und gestandenen Frauen um die 50 im Doppelriemer ist schwindelerregend. Entsprechend heißt es auf der Webseite der amerikanischen Vogue: "Pretty ugly - why Vogue Girls have fallen for Birkenstocks ." (Schön hässlich - warum Vogue Girls Birkenstocks verfallen sind.) Mit Oliver Reichert, einem der beiden Geschäftsführer, verhält es sich so ähnlich. Er und die Ökolatsche, das passt eigentlich auch nicht zusammen. Der etwas bullige Typ mit rötlichen Haaren war Chef des Sportsenders DSF, er fuhr mit der Harley beim Firmensitz in München vor, er hat eine Frau, die die Dinger "hasst".

Trotzdem fing er irgendwann an, Birkenstocks zu tragen, "weil die Funktion nun mal unwidersprochen ist". Außerdem ist er mit Christian Birkenstock befreundet, einem der Erben des Familienunternehmens, der vor allem dadurch kurzzeitig bekannt wurde, dass seine Ex-Frau Susanne auch ein paar gesunde Schuhe auf den Markt bringen wollte. "Latschenkrieg" hieß das in der Presse, eine unschöne Geschichte, und auch sonst wurde es der Familie zu viel. Einer der drei Brüder stieg aus, die anderen beiden sind seit vergangenem Oktober nur noch Gesellschafter und der Mittelständler Birkenstock ist nun ein richtiger Konzern.

"Schlafender Riese" nennt Reichert die Marke gern, weil es zwar schon gut läuft - momentan werden etwa zwölf Millionen Schuhe pro Jahr verkauft - aber das Potenzial nicht einmal ansatzweise ausgeschöpft sei. Seit Carl Birkenstock, Spross einer alten Schuhmacherdynastie, in den Sechzigerjahren zu Hause die erste Sohle mit Latexmilch und Kork anrührte und in den Backofen der Mutter schob, hat sich hier alles immer nur um das Fußbett gedreht. Birkenstock hat das Wort erfunden, die erste Anzeige zeigte einen Fuß auf einem Daunenbett. Noch immer wird jeder Schuh komplett in Deutschland gefertigt, alles aus Naturmaterialien, die Standards sind so hoch, man könnte die Schuhe sogar essen. "Das Produkt ist total bei sich, man muss hier nichts neu erfinden", schwärmt Reichert. "Aber man kann das Badewasser oben mal ein bisschen durchmischen."

Marc Jacobs "wollte an die Sohle ran"

Deshalb steht Reichert jetzt im Badeort Sitges bei Barcelona am Yachthafen und überwacht das erste große Shooting für die Marke. Es wird nun doch eine Werbekampagne geben, ein ordentliches Lookbook für die Presse. Männermodels mit dicken Bärten sind gebucht worden, die Kategorie betont hip, dazu auch ein Mädchen, das einmal bei Germany's Next Topmodel mitgemacht hat, eher nicht so hip. In der eigenwilligen Mischung bleibt man sich treu. Die Models tragen neben den Klassikern auch nietenbesetzte Modelle und Sandalen in Knallfarben. Reichert, Mitte 40, ist in ein paar Schlappen mit stilisierten Farbspritzern geschlüpft, die aussehen, als habe Jackson Pollock sie bei der Arbeit getragen, gemäß dem aktuellen "Arty Trend".

Ein bisschen mit der Mode gehen, ein bisschen verrückt sein, aber nicht überdrehen, heißt die neue Devise. Man will die Basis der treuen Kunden nicht verschrecken, aber trotzdem die Zielgruppe vergrößern. Jünger werden, sogar ganz jung, denn der Kindermarkt ist riesig. Neue Märkte erobern, Asien und Osteuropa stehen noch fast ohne Fußbett da. Und in Vettelschoß rüstet man sich für eine kleine Revolution, die neue Produktgruppe geschlossenes Schuhwerk. Bis 2020 sollen sich die Verkäufe verdoppeln. Was das in Zahlen bedeuten würde, kann man erst im Oktober ablesen, wenn zum ersten Mal ein Konzernergebnis veröffentlicht wird. Reichert spricht aktuell lediglich von "einem dramatisch dreistelligen Millionenumsatz".

Viel interessanter dürfte ohnehin die Gewinnseite sein, denn Birkenstock macht fast alles selbst, die komplette Fertigung von der Sohle bis zur Schnalle. In Portugal schaut man sich gerade Korkplantagen an, damit auch dieser Rohstoff bald aus eigener Hand kommt. Offensichtlich sind sie so gut aufgestellt, dass sogar der größte Luxuskonzern der Welt, LVMH, sich plötzlich für die Öko-Sandalen interessiert, obwohl man mit Marken wie Louis Vuitton, Céline oder Dior sonst eher in anderen Sphären unterwegs ist. Reichert war vor Kurzem für ein Treffen in Paris. Auch dort sieht man wohl Potenzial für mehr Blubber im Badewasser.

"Ein Fußbett für alle!"

Marc Jacobs hat trotzdem erst mal eine Absage aus Vettelschoß bekommen. "Er wollte an die Sohle ran", sagt Reichert. Es klingt, als sei das etwas Unanständiges. Und irgendwie ist es das für die Birkenstocks auch. Lieber haben sie sich für den Japaner Yoji Yamamoto entschieden, weil Japaner die Reduktion auf das Wesentliche vielleicht am besten verstehen. Yamamotos Version steht seit März in seinen "Y's Stores", weitere Modelle sollen folgen. Aber weil Marc Jacobs nicht locker ließ, sind sie nun erneut mit ihm in Verhandlungen.

Es könnte schlechter laufen.

"Wir nehmen das jetzt in Kauf", sagt Reichert, während er am Set in Sitges steht . Er meint Marc Jacobs, die Vogues dieser Welt, den ganzen Hype. Als wäre es eine Last. Er hat schon kapiert, auch dieser Trend wird nicht ewig halten. Vielleicht hat er das beim Fernsehen gelernt, nicht alles glauben, was einem heute erzählt wird, denn morgen kann die Welt schon wieder ganz anders aussehen. Und dann müssen es die Schlappen wieder selbst reißen. Aktuell arbeiten sie an einem Modell aus umweltfreundlichem EVA-Kunststoff, der leichteste, günstigste Birkenstock aller Zeiten, perfekt für Entwicklungsländer. "Ein Fußbett für alle!", sagt Reichert. Jetzt aber wirklich.

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Quelle:
SZ vom 17.05.2014/bero
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