Süddeutsche Zeitung

Öko-Ratgeber zu Bioplastik:Ist biologisch abbaubar auch immer ökologisch vernünftig?

Bioplastik, das klingt nach einer klima- und meeresfreundlichen Alternative für die vielen Plastikprodukte, die wir verwenden. Doch so einfach ist es nicht.

Von Esther Widmann

Gibt es ökologisch unbedenkliche Outdoorjacken? Wie oft sollte man sich einen neuen Kühlschrank kaufen? Und welche Verpackung ist besser, Glas oder Plastik? Wer nach der umweltfreundlichsten Lösung für ein Alltagsproblem sucht, steht schnell vor einem Berg teils widersprüchlicher Informationen. Die gute Nachricht: Unsere Autorin Esther Widmann übernimmt jetzt die Recherche für Sie. In der vierten Folge geht es um Bioplastik.

Alle reden vom Plastikmüll, der im Meer schwimmt oder nicht recycelt wird. In vielen hippen Salatbars zum Beispiel gibt es jetzt das Essen zum Mitnehmen in einer Schale aus Bioplastik. Problem gelöst! Oder?

Es gibt Bioplastik, das aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt ist, zum Beispiel aus Maisstärke, und Bioplastik, das biologisch abbaubar ist. Das ist nicht das Gleiche. Nicht jedes Plastik aus nachwachsenden Rohstoffen, manchmal auch "biobasiertes Plastik" genannt, ist biologisch abbaubar - tatsächlich sind es die wenigsten. Und umgekehrt besteht nicht jedes biologisch abbaubare Plastik aus nachwachsenden Rohstoffen. Ob es abbaubar ist oder nicht, hängt nicht vom Ausgangsmaterial, sondern von der chemischen Struktur des Plastiks ab.

Ganz schön kompliziert ...

Und irgendwie logisch: Weil biologisch abbaubares Plastik sich leicht zersetzt, eignet es sich nicht für Anwendungen, bei denen das Plastik möglichst haltbar sein soll, zum Beispiel Wasserflaschen. So haben etwa Forscher der ETH Zürich kürzlich ein Bioplastik namens Polyethylenfuranoat (PEF) entwickelt, das sich wie das für Wasserflaschen übliche PET einsetzen lässt. PEF besteht aus nachwachsenden Rohstoffen und ist insofern ein Fortschritt. Es ist recycelbar oder kann CO2-neutral verbrannt werden. Biologisch abbaubar ist es aber nicht.

Okay, Unterschied verstanden. Aber "biologisch abbaubar" ist dann auch wirklich biologisch abbaubar?

Bei vielen dieser Kunststoffe funktioniert das nur unter bestimmten Bedingungen: Die Norm DIN EN 13432 definiert ein Material als "kompostierbar", wenn nach zwölf Wochen in einer industriellen Kompostieranlage, in der eine bestimmte Temperatur, Feuchtigkeit und ein bestimmter Sauerstoffgehalt gewährleistet sind, 90 Prozent des Materials in Teile zerfallen, die kleiner als zwei Millimeter sind. Zu Hause auf dem Kompost im Garten wird das nichts.

Aber für den Biomüll kann man ja diese sehr praktischen Tüten aus Bioplastik kaufen, die dann auch mit in die Tonne dürfen?

Naja. Viele städtische Entsorgungsbetriebe sind davon gar nicht begeistert - und verbieten es, so etwa München oder Berlin. Denn in den meisten Kommunen wird der Biomüll nur drei Monate lang kompostiert. Das reicht, damit daraus fruchtbarer Humus entsteht, aber es reicht eben nicht, um die Tüten aus Bioplastik zu zersetzen. Deshalb sortieren die Betriebe die Tüten vor der Verrottung mühsam wieder aus dem Müll.

Einfacher, erlaubt und mindestens ebenso hygienisch ist es, den Biomüll in Zeitungspapier einzuwickeln (auch eine Tüte aus Zeitung zu falten, ist nicht schwer). Das Papier saugt einen Teil der Flüssigkeit auf und ist ohnehin gut für den Kompost, weil es ihn auflockert.

Und was ist mit dem Plastik in den Ozeanen? Wäre da mit Bioplastik etwas gewonnen, weil es sich im Wasser zersetzt?

Leider nein. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat sich mit der Frage beschäftigt und schreibt in seinem Bericht: Bisher gibt es keine Belege, dass sich Biokunststoffe im Meerwasser abbauen. Man müsse deshalb davon ausgehen, dass sie genau wie anderes Plastik lediglich in immer kleinere Partikel zerfallen, also zu Mikroplastik werden. Auch wenn die Produktion von abbaubaren Kunststoffen zunimmt - "der kleine Anteil der weltweit produzierten bioabbaubaren Kunststoffe wird kaum dazu beitragen können, die Vermüllung der Ozeane zu reduzieren", heißt es in dem Bericht.

Alles klar, biologisch abbaubares Plastik ist also nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluss. Aber Plastik aus nachwachsenden Rohstoffen - das ist doch auf jeden Fall besser als Plastik aus Erdöl?

Das Umweltbundesamt sieht das sehr kritisch: Um Bioplastik aus Mais, Kartoffeln oder Zuckerrohr herzustellen, braucht man ironischerweise Erdöl, zum Beispiel für die Herstellung von Dünger und als Treibstoff für die Traktoren. Der Anbau selbst ist in der Regel nicht biologisch, es werden also Dünger und Pestizide auf die Felder ausgebracht - mit den üblichen, zunächst unsichtbaren, Nebenwirkungen wie etwa zu viel Nitrat im Grundwasser. Oft werden auch gentechnisch veränderte Organismen eingesetzt. Und ebenfalls fragwürdig ist, dass mit Mais oder Kartoffeln im Grunde Lebensmittel zu Plastik verarbeitet werden. Besser sind da Biokunststoffe aus Forst- und Agrarabfällen wie Sägespänen oder Orangenschalen. Für den Verbraucher dürfte jedoch in vielen Fällen kaum zu erkennen sein, aus was der Kunststoff besteht.

Immer öfter sieht man im Laden Spielsachen aus Bioplastik. Klar, bestimmt wäre Holzspielzeug pädagogisch wertvoller, aber manche Dinge gehen mit Holz eben einfach nicht. Und wenn die Kleinen das Bioplastik in den Mund stecken und abnuckeln, ist das sicher weniger schädlich als bei billigen, aus Erdöl gefertigten Produkten, oder?

Bioplastik-Spielzeug ist tatsächlich ein Trend. Lego zum Beispiel will bis zum Jahr 2030 kein Erdöl mehr für seine Klötzchen verwenden, sondern nachwachsende Rohstoffe. Klingt erstmal gut, wenn auf dem Spielzeug irgendwas von "umweltfreundlich" steht. Aber selbst wenn die Rohstoffe nachhaltig erzeugt sein sollten: Um Bioplastik widerstandsfähig und flexibel zu machen, sind die gleichen chemischen Zusätze nötig wie bei Plastik aus Erdöl. Und wie gefährlich diese Zusätze sind, das hat noch niemand erforscht.

Also kann man alles nur falsch machen.

Um es wenigstens ein bisschen richtig zu machen, gibt es eine Faustregel: Je öfter man etwas verwendet, desto unwichtiger ist, aus welchem Material es besteht. Plastik-Spielzeug kann man im Freundeskreis weitergeben. Beim Einkauf im Supermarkt nimmt man sich keine neue Tüte, denn in fast jedem Haushalt gibt es die berühmte Tüte mit den Tüten, aus der man sich bedienen kann. Irgendwo hat man vermutlich auch eine Baumwolltasche, die man mal als Werbegeschenk bekommen hat. Tipp: Eine solche Tasche immer zusammengefaltet dabei haben, falls man mal spontan einkaufen geht. Der eventuell noch nasse Salat lässt sich in einen dünnen Plastikbeutel stopfen, der in fast jeder Küche vorhanden ist und den man leicht mitnehmen kann. Derart vorbereitet, braucht man auf absehbare Zeit keine Tüte aus dem Supermarkt mehr - und mit ein klein wenig Vorbereitung am Abend vorher auch kein Einweg-Geschirr von der Salatbar.

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