Bildband:Zurück in die Zukunft

Der Modedesigner Larry LeGaspi galt als schrilles Ausnahmetalent, in seinen Outfits glänzten "Kiss" oder Grace Jones. 18 Jahre nach seinem Tod wird er gerade wiederentdeckt - und für seine visionären Designs gefeiert.

Von Jan Kedves

Legaspiby Rick Owens, Rizzoli New York, 2019

Seine Designs, hier an Anna Cleveland, sahen aus wie futuristische Skulpturen, aber sie waren handwerklich auch perfekt gemacht.

(Foto: Owen Scorp/ Legaspiby Rick Owens, Rizzoli New York, 2019)

Larry wer? Die Frage stellen sich in der Modewelt gerade viele, seit nämlich beim renommierten Rizzoli-Verlag in New York ein opulentes Buch erschienen ist mit dem Titel "LeGaspi: Larry LeGaspi, the 70s, and the Future of Fashion". Das Buch feiert einen Designer, den die Modewelt völlig aus dem Blick verloren hatte - und für den das Wort "Designer" eigentlich viel zu klein ist: LeGaspi war Mode-Visionär!

Vergessene Mode-Visionäre sind ja ein kostbares Gut. Besonders für die Auskenner, die dann mit halb empörtem, halb geheimnistuerischem Ton sagen: Wie konnte das nur passieren, dass dieser fantastische Designer von der Mode-Geschichtsschreibung ignoriert wurde? So in etwa war es 2014, als das New Yorker Metropolitan Museum eine große Ausstellung über den amerikanischen Couturier Charles James (1906 - 1978) zeigte - der wurde einer jüngeren Generation überhaupt dadurch erst wieder zum Begriff. Frische Aufmerksamkeit für einen in der Modewelt einst etablierten Namen kann manchmal sogar zur Reaktivierung der Marke führen - wie bei der legendären Mode-Surrealistin Elsa Schiaparelli (1890 - 1973) oder dem großen Unisex-Wegbereiter Rudi Gernreich (1922 - 1985). Schiaparelli und Gernreich gibt es heute wieder zu kaufen.

Seine Visionen waren größer als der Pop, er wollte die ganze Menschheit einkleiden

Wer aber war Larry LeGaspi? Ein Designer aus Lakewood, New Jersey, geboren 1950. Er schwelgte in extremen Space-Formen und übermenschlichen Volumen, in Silberglanz, Lack und Federn. Auf dem Höhepunkt seines Erfolgs, Ende der Siebzigerjahre, hatte er eine eigene Boutique auf der Madison Avenue in Manhattan, sie hieß Moonstone. Er kleidete Popstars ein: Grace Jones, das R & B-Trio Labelle ("Lady Marmalade"), das afrofuturistische Funk-Kollektiv Parliament-Funkadelic ("Mothership Connection"). Später trugen die Hardrocker von Kiss seine Entwürfe. Wer diese Zeit erlebt hat, wird sich erinnern: Das waren diese silbern-schwarzen Spandex-Leder-Fetisch-Outfits, die Gene Simmons und seine züngelnden Kollegen wie stolze Horror-Dragqueens aussehen ließen. Entworfen hatte sie natürlich LeGaspi.

Der Designer sah in seinen Kostümarbeiten für Popstars - die "Disco-Rock-Leute", wie er sie nannte - allerdings in erster Linie ganz pragmatisch: eine Einkommensquelle. Seine Visionen waren größer als Pop, er wollte im Grunde die ganze Menschheit so einkleiden. Die war aber noch nicht bereit für Entwürfe, die der inzwischen legendäre André Leon Talley 1979 im W Magazine folgendermaßen beschrieb: als "Science-Fiction-Fantasien", die "eine verrückt gewordene, animierte Version dessen darstellen, was einst die Ägypter oder die Römer trugen." Über den Umweg Pop wollte LeGaspi den Boden bereiten für seine Ideen: "In Zukunft werden die Menschen solarbeheizte und luftgekühlte Bodysuits tragen. Unsere Kleidung wird uns dabei helfen müssen, mit der Umwelt klarzukommen." Dieses Zitat von ihm ist - wie viele andere - in dem neuen Buch über ihn zu lesen. Aus heutiger Perspektive wirkt der Satz, in Anbetracht des drohenden Klimakollaps, geradezu hellseherisch.

Bildband: Larry LeGaspi in einem seiner berühmten Space-Anzüge.

Larry LeGaspi in einem seiner berühmten Space-Anzüge.

(Foto: Photographer Unknown/Legaspiby Rick Owens, Rizzoli New York, 2019)

LeGaspi war kein Diplomdesigner, er hatte zwar einige Semester am angesehenen Fashion Institute of Technology in New York studiert, machte aber dort keinen Abschluss. Er fing 1972, mit 22 Jahren, an zu designen. 2001 starb er an den Folgen von Aids. Vermutlich hat das Stigma um die Krankheit mit dazu beigetragen, dass seitdem in der Modewelt kaum mehr jemand über ihn gesprochen hat. Seine Frau und Muse, Valerie LeGaspi, schien nach seinem Tod auch erst einmal anderes zu tun zu haben, als einen Ort für den Nachlass zu suchen, das Werk in eine Stiftung zu überführen oder dergleichen.

Umso entschiedener hat Valerie LeGaspi nun den Modedesigner Rick Owens, den Herausgeber des Buchs, mit Archivmaterial unterstützt. Ja, genau der Rick Owens, der in seiner Kollektion nun schon in der zweiten Saison Plateau-Glam-Boots anbietet, die stark von Kiss inspiriert sind - beziehungsweise eben von Larry LeGaspi. Die Schuhe haben hinten einen transparenten Plexiglasabsatz und vorne so etwas wie einen Kühlergrill für die Zehen. Owens outet sich als totaler LeGaspi-Fanboy - als Herausgeber des Buchs, aber eben auch in seinen eigenen Kollektionen.

Ach, würde doch jeder Designer, der sich von einem vergessenen Vorgänger inspirieren lässt, zu dessen Ehre gleich ein Buch herausgeben. Dann hätten Blogs wie "Diet Prada", die sich tagein, tagaus mit der Enttarnung des angeblichen oder tatsächlichen Ideenklaus in der Mode beschäftigen, gleich weniger zu tun. Oder sie müssten zumindest nicht mehr so einen anprangernden Ton anschlagen. Sich als Designer zu bedienen und darüber zu schweigen: uncool. Sich zu bedienen und in Büchern laut darüber zu schwärmen: viel besser!

Der klassische Herrenanzug sei zum Aussterben verdammt, prognostizierte er kühn

Legaspiby Rick Owens, Rizzoli New York, 2019

Das amerikanische Model Pat Cleveland in einem Outfit von Larry LeGaspi.

(Foto: Photographer Unknown/Legaspiby Rick Owens, Rizzoli New York, 2019)

Tatsächlich hat auch heute die Mode von Larry LeGaspi noch viel zu sagen. Zum Beispiel verwendete er besonders gerne gepolsterte, versteifte Stoffe - aufwendig in Streifen abgenäht, unterfüttert, skulptural geformt. "Quilting" und "Tubing" heißen diese Techniken, die auf eine lange Tradition zurückblicken. Interessanterweise gibt es das gerade wieder in der Mode - nicht nur bei Rick Owens. Auch in den Kollektionen des Londoner Menswear-Designers Craig Green und in dessen Kooperationen mit dem Luxus-Daunenjacken-Label Moncler. Steife, voluminöse, polsterhafte Outfits, die aussehen, als könnte man mit ihnen Fallschirm springen oder ins Weltall düsen. Manchmal haben sie auch etwas von Zwangsjacken, oder von schusssicheren Westen. Rap-Stars wie Pusha T oder Kendrick Lamar tragen seit einer Weile bevorzugt Craig Green auf der Bühne.

Das Faszinierende an solchen Kleidern ist nicht zuletzt die absurd aufwendige Handarbeit, die in ihnen steckt. Und: Ihre Formensprache hat mit dem klassischen Herrenanzug nichts mehr zu tun. Der ist in der aktuellen Mode immer noch sehr dominant, manche würden sagen: Er ist ihr ewiger, langweiliger Bezugspunkt. Larry LeGaspi konnte den Herrenanzug - insbesondere den klassischen Dreiteiler - nicht ausstehen. Spätestens im Jahr 1984 werde er ausgestorben und durch Stretch-Bodysuits, Overalls und Raumanzüge ersetzt sein, erklärte LeGaspi 1980 in einem Interview mit dem US Magazine. Nun, das war sehr optimistisch. Oder eben: futuristisch.

Jetzt weiß die Modewelt also wieder, wer dieser Larry LeGaspi war und wie er sich die Zukunft vorstellte. Ob das bedeutet, dass sein Label auch bald reanimiert wird? Bislang scheint davon noch nicht die Rede zu sein. Aber in der Mode weiß man ja nie.

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