Bildband mit Naomi Campbell:Buch mit Brüsten

Zehn Kilo wiegt das Lebenswerk des Topmodels Naomi Campbell. Umhüllt wird es von einem Torso mit Brüsten aus Plastik. Zu Gast bei einer etwas anderen Buchpräsentation.

Von Christian Mayer, London

Wer sich "Naomi Campbell" ins Wohnzimmer stellen will, sollte auf Großes vorbereitet sein. Nicht nur, weil die limitierte und signierte Neuerscheinung so eine Wuchtbrumme ist, dass sie die anderen Bücher im Regal erdrücken würde. Sondern weil dieser Doppelband aus dem Hause Taschen eigentlich gar kein Buch mehr sein will. "Naomi Campbell" hat höhere Ambitionen, die zehn Kilo schwere Fotosammlung versteht sich als Kunstwerk der eigenen Art, weshalb die Pop-Art-Legende Allen Jones, berühmt für seine Fetisch-Möbel aus weiblichen Körpern, die Acrylbox für die beiden Buchteile gestaltet hat: zwei aus dem Einband herausragende Brüste. Als "Hommage an die Weiblichkeit", wie der Künstler versichert.

Selbst als Coffee Table Book sprengt "Naomi" das übliche Maß verlegerischen Größenwahns. Deshalb muss es natürlich auch eine Buch-Party geben, die aus dem Rahmen fällt. In New York gab es zur feierlichen Vorstellung der Sammler-Edition ein Schaulaufen der Prominenz mit Uma Thurman, Paris Hilton, Anna Wintour und Leonardo DiCaprio. Und diese Woche dann noch ein Heimspiel für das Model in London, wo sie 1970 zur Welt kam.

2000 Euro für einen Achtzigerjahre-Klassiker

Das Burberry-Café in der Regent Street ist der richtige Ort für diesen Termin. Wer hier geladen ist, gehört entweder zur Modeszene oder zum offenbar sehr weiten Freundeskreis von Naomi. Das großformatige Buch ist auf zwei Stockwerken ausgebreitet und wird von hübschen Aufpasserinnen streng bewacht: Vorsicht mit dem Champagnerglas und den Häppchen! In der günstigen Variante kostet das Werk, das in einer Auflage von tausend Stück erscheint, schließlich 2000 Euro, in der elitären "Art Edition" das Doppelte.

'Naomi' Book Launch Hosted By Naomi Campbell, Burberry And TASCHEN At Burberry's Thomas's Cafe In London

Naomi Campbell bei der Party in London mit ihrem Verleger Benedikt Taschen.

(Foto: Dave Benett)

"Pump Up the Jam" von Technotronic läuft in London als Aufwärmprogramm über die Lautsprecher, was insofern passt, als auch die Frau, um die sich hier alles dreht, ein Achtzigerjahre-Klassiker ist, allerdings einer von der Sorte, die offenbar nie aus der Mode kommt. Dann der Auftritt von Naomi Campbell. Aufreizend lässig spaziert sie herein, in einem weißen Trägerkleid und einer bis zum Knie reichenden Fellweste.

Mit einem nie ermüdenden Lächeln umarmt und umgarnt sie die prominenten Gäste, die sich für den Abend in Schale geworfen haben: den Schuhdesigner Manolo Blahnik, der in seinem altmodischen Anzug wie eine Figur aus einem Evelyn-Waugh-Roman wirkt; den Fotografen Mario Testino, der zu den alten Haudegen im Glamour-Geschäft gehört; die Kollegin Eva Herzigová, die zur Riege jener Schönheiten zählt, für die einst das Label "Supermodel" geprägt wurde.

'Naomi' Book Launch Hosted By Naomi Campbell, Burberry And TASCHEN At Burberry's Thomas's Cafe In London

Boy Georgeüber Cambell: "Sie ist einfach nur schön."

(Foto: Dave Benett)

Kommt man auf der Party mit Boy George ins Gespräch, der neun Jahre älter ist als Naomi und ihre Anfänge in der Londoner Szene genau verfolgt hat, wird es schnell sehr lustig. Der Sänger hat sich den Karma-Chamäleon-Charme, die liebenswerte Egozentrik seiner exzessiven Frühphase bewahrt; er bleibt selbst dann höflich, wenn zwei mit allen orientalischen Wassern gewaschene Russinnen versuchen, ihn für eine Selfie-Orgie an die Bar zu entführen. Den Unterschied zwischen Naomi und ihm selbst fasst Boy George wahrheitsgemäß zusammen: "Na ja, sie ist einfach nur schön. Ich dagegen brauche dafür etwas mehr Make-up."

Nur der 85-jährige Bernie Ecclestone bleibt relativ unbeeindruckt vom ganzen Trubel, ihm reicht eine kurze Schmuserei mit seiner zwei Köpfe größeren Freundin Naomi, ein hingeseufztes "Oh Bernie, so good to see you . . .", dann schleicht sich der Formel-1-Patriarch wieder nach draußen. Drinnen gehen die Gäste inzwischen der Frage nach, ob die Brüste auf dem Buchdeckel nicht doch echter sind, als der Künstler vorgibt - ein Abguss also, der Naomis göttlichem Torso gerecht wird, diese Art der Kopierkunst kennt man schließlich in der Kulturgeschichte des Abendlandes.

Vom Fotografen in Form gegossen

Apropos Kulturgeschichte: Früher waren Sonder-Editionen, die ein Lebenswerk ehren und adeln, den Klassikern vorbehalten. Wer etwas auf sich hielt, hatte solche Wälzer gut sichtbar im Regal stehen - Hieronymus Bosch, Leonardo da Vinci, Velázquez, Vincent van Gogh, Picasso. Später kamen dann die Meister der Fotografie hinzu, von August Sander bis Annie Leibovitz, und die Großen des Showgeschäfts, von Marilyn Monroe bis Muhammad Ali.

In "Sumo", einem Bildband mit dem Gesamtwerk von Helmut Newton im Format 50 mal 70 Zentimeter, brachte der Verleger Benedikt Taschen 1999 einen Koloss auf den Markt, der selbstbewusst als "größte Buch-Produktion des 20. Jahrhunderts" beworben wurde. 12 500 Euro kostete die Edition, für die der Designer Philippe Starck den passenden Aufstelltisch entworfen hatte.

Nun also "Naomi Campbell". Man findet auf 868 Seiten jede einzelne Station dieser 30-jährigen Karriere. Die noch minderjährige Naomi, die in London entdeckt wird, in Paris und New York frühe Triumphe feiert, dann als erstes schwarzes Model Covergirl der französischen Vogue wird und eine rasante Weltkarriere macht, gefördert von Designern wie Azzedine Alaïa, John Galliano, Yves Saint Laurent, Karl Lagerfeld, Gianni Versace, Marc Jacobs und vielen anderen.

Ihr Raubtiergang auf dem Laufsteg ist damals legendär, ebenso ihr völlig unverklemmtes Verhältnis zum Luxus, ihre Leidenschaft für alles, was glänzt. Wenn man die Bilder betrachtet, versteht man, warum Fotografen wie Peter Lindbergh immer etwas Außergewöhnliches mit dieser Frau anstellen wollten: Man kann Naomi als Zwanziger-Jahre-Ikone inszenieren, als Film-Noir-Gangster unter der Brooklyn Bridge oder als exotische Schönheit aus einem Gauguin-Gemälde, ganz egal. Es funktioniert immer.

Die Männer in ihrer Biografie: reich und mächtig

Interessant ist auch, welche Männer im biografischen Teil des Buches erwähnt werden. Männer mit Geld, Macht und ruhmreicher Vergangenheit. Fidel Castro zum Beispiel. Der Máximo Líder war nach ihrem Besuch in Havanna gleich so verzückt, dass er noch Jahre später Blumen und Süßigkeiten schickte. Nelson Mandela ließ sich immer gerne mit seiner "Enkeltochter ehrenhalber" ablichten, und selbst Wladimir Putin wurde im Angesicht dieser Schönheit fast weich. Bevor Naomi Campbell ein Interview mit dem damaligen russischen Premierminister in Moskau führen durfte, fand sie ein Geschenk von Putin in ihrer Hotelsuite: den Bildband "Martial Arts". Was für ein Volltreffer, für beide Seiten.

"Ich wollte immer, dass mir die Fotografen sagen, was sie von mir wollen. Ich liebe es, in eine ganz andere, neue Form gegossen zu werden", erzählt Campbell im Buch. Diese extreme Wandlungsfähigkeit hat dazu geführt, dass die Londonerin fast nie out war, von bemerkenswerten Abstürzen abgesehen. Dass die oft als launisch und jähzornig beschriebene Naomi der eigenen Hausangestellten 2007 das Handy an den Kopf warf, wird dezent verschwiegen. Dafür ist dokumentiert, wie das Model zum richterlich angeordneten Sozialdienst für den New Yorker Reinigungsdienst antritt - eine Bußübung, die sie gleich für eine Modestrecke im W Magazine nutzte. Die Tagesgage lag nach Angaben ihrer Agentur bei 70 000 Euro, womit sich die Diva als teuerste Putzfrau der Welt fürs Guinness-Buch qualifizierte.

In London zeigt sich eine andere Naomi Campbell. Eine, die keinen Tropfen Alkohol mehr anrührt, weil sie offiziell den Suchtmitteln abgeschworen hat. Die in Interviews zwischen zwei Scherzen immer auch ernst wird, weil es ihr ein Anliegen ist, den noch immer latent vorhandenen Rassismus in der Modebranche zu überwinden. Die Zeiten sind vorbei, als sie noch mit Christy Turlington und Linda Evangelista kichernd in der Badewanne posierte oder wilde Halloween-Partys organisierte, über die ganz Manhattan sprach. Champagner und Gin Tonic trinken nur noch die anderen auf der Party. Sie selbst hält sich mit Schwimmen, Yoga, Steh-Paddeln und neuerdings auch mit Tennis fit, wie sie verrät. Außerdem habe sie ja das Glück, "gute Gene zu haben".

Oh ja, die Gene. Man hatte eigentlich gedacht, die attraktive und energiegeladene Dame vor dem DJ-Pult zähle zur Entourage von Naomis besten Freundinnen. Im Gespräch stellt sich heraus: Dies ist Valerie Campbell, die Supermodelmutter. Bis heute hat sie nicht verraten, wer der Vater ihres schönen Mädchens ist. Valerie Campbell, die aus Jamaika stammt und früher als Balletttänzerin um die Welt reiste, ist 64, gerade hat sie selbst ein Foto-Shooting für eine Berliner Modefirma absolviert. "Jetzt sind Sie erstaunt, oder?", fragt sie.

Aber nein. Erstaunt ist man nicht mehr allzu sehr, wenn man das Buch Naomi in den Händen gehalten hat.

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