Cleat-cleat-cleat. Klock-klock-klock. Was das ist? Ein Mann mit Waden wie Popeye. Schwankend, wie auf ungewohnten Stöckelschuhen laufend, nähert er sich dem neuen Rapha-Store auf Mallorca. Männer (und auch Frauen) mit strammen Waden, Biker also, sind hier derzeit in großer Zahl anzutreffen. Phänotypisch einem Schwarm bunt schillernder Schmeißfliegen ähnlich. Die Mallorquiner nennen das auch "die bunte Pest". Am wütendsten wütet diese Pest auf dem Marktplatz von Petra. So heißt ein 2812-Einwohner-Städtchen der Insel. Petra ist das Dorado der europäischen Rennradszene im ambitionierten Amateurbereich. Dass nun ausgerechnet hier ein Rapha-Laden eröffnet wurde, ist besonders interessant. Unter Stil-Aspekten ist es sogar ein Hoffnungsschimmer.
Zum Protein-Riegel gibt es einen Café cortado
Die Popeyes sehen auf ihren Stöckelschuhen immer ein bisschen hilflos aus. Wenn auch auf sympathische Weise - so wie Tony Curtis als Josephine und Jack Lemmon als Daphne in "Some like it hot". Ihr Cleat-cleat-cleat kommt von den für Klickpedale notwendigen Schuhplatten (englisch: cleat). Das schwerere Klock-klock-klock kommt jedoch davon, dass manche Biker die Mallorca-Filiale des Londoner Unternehmens Rapha beschwingt betreten, um sie mit vollen Tüten zu verlassen. Interessiert bis befremdet beobachtet von ungefähr 10 000 anderen Bikern, die auf dem Marktplatz von Petra gern Station machen, um sich zum Proteinriegel einen Café cortado reinzuziehen. Der Weg in den Rapha-Store von Malle markiert so etwas wie den Catwalk unter Rennradfahrern.
Wobei man nicht unbedingt nach Petra fahren muss, um Rapha als Prada für Biker zu erleben. Den Hersteller gibt es seit dem Jahr 2004. Nach eigener, durchaus selbstbewusster Aussage fertigt die Firma "die schönste Radsportbekleidung der Welt" und betreibt Dependancen von Portland bis Australien. Auch in München. Doch erst der Petra-Catwalk illustriert anschaulich, wie groß und abgrundtief der Unterschied zwischen Radsportdezenz und der geschmacklichen Demenz der bunten Pest ist.
Auf der Via Dolorosa des Rennrad-Wahnsinns
Um nämlich beim Rapha-Trikot "Pro Team Aero Jersey" anzukommen (für, leider, 170 Euro), also bei einem Trikot, das unfassbarer- wie auch exotischerweise einfach nur schwarz und sonst nichts sein darf, hat man meist schon die Via Dolorosa des Bikewear-Wahnsinns hinter sich. Das ist ein Weg, der in der Erkenntnis mündet, dass sich kein Sport der Welt so sehr der Ästhetik widersetzt wie der Radsport. Ein einfarbiges Trikot, unbedruckt, ohne Firlefanz und ohne Retro-Look, ist so selten, wie sonst im Radsport Buntspechte häufig auf zwei Rädern unterwegs sind. Die meisten Produkte der echten Rennradmode (zu unterscheiden von jener einerseits modischen, andererseits dysfunktionalen Bikewear für smarte Pseudorennrad-Menschen und ihren täglichen fünfeinhalb Kilometern ins Büro) verursachen möglicherweise schlimme Augenverätzungen.
Seit Jahren ist das Biken als der Trend des Jahrhunderts erkannt - aber der Radsport konnte sich sein Reservat modischer Ignoranz tapfer bewahren. Die Droge des guten Geschmacks dürfte die einzige Droge sein, die dem Radsport völlig unbekannt ist. So kann man sich erklären, warum man nun wieder all den Menschen am Wegesrand begegnet, die ihre gepolsterten Hintern unter einer über dem Bauch spannenden, schreiend um Aufmerksamkeit heischenden XS-Wurstpelle drapieren, in die nicht einmal Robben passen würde. Doch ist die Trendwende da. Mittlerweile scheinen sich Firmen wie Rapha, Giro, Vaude oder Assos wieder an den Satz "Weniger ist mehr" zu erinnern. Der Stil nähert sich also, nachdem er das allgemeine Biken schon längst durchdrungen hat, endlich auch dem Rennradsport. Nur die Schmeißfliegen bedauern das.