Süddeutsche Zeitung

Essen und Trinken:Die Bierkönigin

Sie hat mehr Ahnung von Hopfen und Malz als alle Stammtischsitzer und Hipster-Kellner zusammen: Elisa Raus ist die erste Biersommelier-Weltmeisterin.

Interview von Ralf Wiegand

Das Urteil der Jury war überschwänglich. Mit ihrer "überragenden Bühnenpräsenz und ihrem enormen Fachwissen", urteilte die Jury 2019 in Rimini, habe Elisa Raus alle 79 Mitbewerber bei der Weltmeisterschaft der Biersommeliers ausgestochen - als erste Frau, alle fünf Titelträger vor ihr waren Männer. Dann galt die Medienwissenschaftlerin aus Stralsund als beste Bierverkosterin der Welt. Ein Titel, den Raus gar nicht angestrebt hatte. Eigentlich wollte sie nur einen Beleg dafür, dass sie weiß, wovon sie redet, wenn sie als Sprecherin der Störtebeker Braumanufaktur anderen etwas über Bier erzählt. Und eigentlich will sie die notorische Bevormundung von Frauen am Zapfhahn nicht zu ihrem Thema machen, das Problem werde sich irgendwann von selbst erledigen. Aber es ist nicht ohne Ironie, dass da eine 29-Jährige von der Ostsee nun offiziell mehr Ahnung von Bier hat, als alles bayerische Stammtischpersonal und alle Berliner Hipster-Sommeliers zusammen.

SZ: Wann haben Sie Ihr erstes Bier getrunken?

Elisa Raus: Oh Gott, gute Frage. Ich überlege gerade, ob das in dem Alter schon legal war. Mit 15, 16, schätze ich mal, bei den ersten Gehversuchen auf privaten Feiern.

Hat es geschmeckt?

Es war zu bitter. Den wenigsten schmeckt der erste Schluck von irgendwas. Das ist bei Bier genauso wie bei Wein oder Kaffee. Die Bitterkeit war dann aber nicht lange ein Problem für mich. Ich hatte auch relativ früh angefangen, Kaffee zu trinken.

Bei Kaffee und Bier, aber auch bei Käse, Tee oder Wein, darf man heute nicht so einfach sagen: Das schmeckt mir nicht. Das gesteht einem keiner zu. Da heißt es dann gerne, dass man das Thema nicht versteht.

Manchmal stimmt das aber auch. Wenn es um sehr spezielle Bierstile geht, braucht man schon ein gewisses Verständnis. Ein Beispiel sind Sauerbiere, da muss man erst hineinwachsen. In solchen Bieren werden Milchsäurebakterien zur Gärung eingesetzt, und dieser Geschmack ist eben nicht so gelernt, schließlich verbindet man Bier eher mit hopfenbetonten, herben Aromen. Ein anderes Beispiel ist Rauchbier, wie es in der Bamberger Gegend gebraut wird. Wenn man da zum ersten Mal reinriecht, denkt man eher an Speck oder Schinken als an Bier. Auch daran muss man sich erst gewöhnen. Wer um bestimmte Zusammenhänge weiß, schmeckt irgendwann auch anders.

Sie sind ja ursprünglich die Pressesprecherin einer mittelständischen Brauerei, Biersommelière wurden Sie später. Warum?

Um mich weiterzubilden. Das Handwerkszeug, das ich als Pressesprecherin beherrschen muss, habe ich durch das Studium der Medienwissenschaft bekommen. Aber Bier war für mich Neuland. Das konnte ich nicht einordnen. Dazu kam manche komische Reaktion: Wenn man den Leuten als junge Frau etwas übers Bier erzählen will, begegnen einem schon viele Klischees.

Zum Beispiel?

So in der Art: Gib mir mal die Flasche, ich mach' das schon. Ich dachte also, ich muss etwas tun, um mich sicherer zu fühlen. Ich wollte etwas in der Hand haben, um zu zeigen: Ich kenne mich damit aus.

Biersommeliers gibt es schon länger, aber der Titel klingt noch immer exotisch, egal ob in weiblicher oder männlicher Form.

Es gibt inzwischen Tausende auf der Welt, bei uns in der Brauerei alleine mehr als 20. Unser erster Brauer ist Biersommelier, einige Außendienstler, unser Küchenchef ...

Wie lange dauert die Schulung?

Zwei Wochen, sehr intensiv, da beschäftigt man sich von morgens um sechs bis nachts um 23 Uhr nur mit Bier. Es gibt zwei renommierte Akademien, in Gräfelfing und in Salzburg. Dort werden sonst Braumeister ausgebildet oder Schankanlagentechniker.

Aber nach so einer Schulung muss man ja nun nicht gleich Weltmeisterin werden.

Stimmt. Was ich wollte, hatte ich ja schon: beweisen können, dass ich weiß, was ich über Bier erzähle. Aber ich war schon in der Schule sehr ehrgeizig. Kurz nach der Fortbildung gab es dann einen internen Vorentscheid, weil eine deutsche Meisterschaft anstand. Alle, die in der Firma Lust hatten, konnten teilnehmen.

Was mussten Sie tun?

Unser Marketing-Chef hat einige internationale Biere bereitgestellt, jeder sollte blind eine Flasche ziehen und sie präsentieren.

Und Ihre Präsentation überzeugte?

Zumindest durfte ich dann fahren. Bei der ersten deutschen Meisterschaft waren fünf von 55 Teilnehmern Frauen. Ich kam damals, 2017, zwar noch nicht in die Endrunde, aber ich durfte als einzige Frau von 19 Teilnehmern ins Nationalteam.

Böse gefragt: als Quotenfrau?

Nein, da geht es nach Punkten. Es hätte also auch passieren können, dass keine Frau dabei gewesen wäre. Bei der WM 2019 waren 19 Nationen am Start. Zehn von 80 Teilnehmern waren Frauen. Für Portugal traten zum Beispiel nur Frauen an, zwei.

Ist Biertrinken weiblicher geworden?

Frauen sagen inzwischen nicht mehr so oft vehement, dass sie kein Bier trinken. Und sie bestellen nicht nur mehr Wein oder Prosecco. Den Satz: Ich trinke kein Bier, weil es mir zu bitter ist, kann man heute aber auch leicht entschärfen. Es gibt viele Sorten, die dem weiblichen Geschmack schmeicheln, die nicht bitter sind, aber trotzdem Bier.

Für viele bedeutet Biertrinken eher: viel trinken. Das Hofbräuhaus, das Oktoberfest mit Millionen gezapften Litern, der Bierkönig auf Mallorca oder der Bierbauch - wie passen die Klischees zu der Art von Biertrinken, für die Sie stehen?

Brauereien, Gastronomen und Werber haben lange verschlafen, ein anderes Bild vom Bier zu prägen. Wenn der richtige Wein zum Essen ausgesucht wird, findet das ja auch keiner merkwürdig. Der Weinsommelier ist als Berufsgruppe viel verbreiteter. Und bei Wein wird auch wie selbstverständlich über die Rebsorten und Böden gesprochen. Das hat Bier nicht geschafft.

Liegt das daran, dass Bier lange Zeit eher Nahrungsmittel war als Genussmittel?

Das war in der Geschichte recht unterschiedlich. Es gab Zeiten, da war Wein das Getränk für Durchschnittsbürger und Bier das für Könige und Kaiser. Ich vermute, es ging bei Bier lange vor allem darum, es in immer größeren Mengen immer kostengünstiger herzustellen. Die Vielfalt hat darunter gelitten. Man ist ja schon gut, wenn man in der Kneipe zwischen Pils und Weizen unterscheidet und nicht einfach "Bier" bestellt. Ein Weintrinker ordert ja auch einen Bordeaux, Chardonnay oder Riesling. Beim Bier ging es viel zu lange nicht um den Genuss.

Die heutige Sortenvielfalt ist also eine Antwort auf den sinkenden Bierkonsum?

Die Zahlen gehen runter, stimmt. Es gibt aber Unterschiede bei den einzelnen Sorten. Besonders stark verlieren generische Sorten, also Pils zum Beispiel. Schwarzbier ist auch so ein Klassiker. Trinkt kaum noch einer! Bei Spezialitäten sieht man genau das Gegenteil. Die haben aber entweder deutlich mehr Alkohol oder geschmacklich mehr Ecken und Kanten. Manche würden sagen: Sie sind extremer, davon trinke ich nicht unbedingt drei Halbe am Abend.

Können Sie eigentlich noch unbefangen ein Bier bestellen, wenn sie ausgehen?

Ich muss zugeben, das ist schwieriger geworden. Das fängt schon damit an, dass man beim Zapfen vieles sieht, was man selbst anders machen würde.

Welche Fehler sehen Sie?

Der Mythos vom Sieben-Minuten-Pils etwa ist definitiv falsch. Gutes Bier darf nicht so lange gezapft werden. Und wenn es erfrischen und den Durst löschen soll, ist die Kohlensäure ausschlaggebend. Wenn ein Bier sieben Minuten in der Wärme steht, bringt das geschmacklich gar nichts. Was man auch nie machen sollte: den Zapfhahn ins Bier halten. Oder die Flasche beim Einschenken ins Weißbier tauchen. Schließlich hatte man die Flasche in der Hand, und was hatte man vorher in der Hand?

Muss das Glas Anforderungen erfüllen?

Ein Glas mit Raumtemperatur erwärmt das Bier. Es sollte also immer mit kaltem, klarem Wasser gespült und so fettfrei wie möglich gehalten werden. Ich würde Biergläser in der Spülmaschine nie beliebig mit Essensgeschirr kombinieren. Fett ist der größte Schaumkiller. Und das Vorspülen mit klarem Wasser entfernt Staubpartikel. So kommt das Bier in voller Pracht ins Glas. Das ist wichtiger, als man annimmt. Bier kann noch so gut schmecken - wenn es nicht gut eingeschenkt oder richtig gezapft ist, mindert es Erwartung und Genuss.

Wie probieren Sie ein Bier?

Ich schaue es mir zuerst sehr genau an. Bei einem Pils erwarte ich zum Beispiel, dass es glanzfein ist, also keine Trübung hat. Dann nehme ich mir viel Zeit, am Bier zu riechen. In letzter Zeit sind stark hopfenbetonte Biere angesagt. Hopfen macht Bier zwar einerseits bitter, doch daneben ist er ein wunderbarer Aromengeber. Viele Hopfensorten haben Aromen von Zitrusfrüchten, Sahne oder Karamell, da kann man viel spielen.

Ist das extra eingezüchtet worden?

Wie man das von anderen Kräutern her auch kennt. Es gibt ja Salbei zum Beispiel auch als Ananas-Salbei. Hopfen zählt zu den Hanfgewächsen und kann durch verschiedene Züchtungen und Kreuzungen spezielle Aromen entwickeln, die nach dem Reinheitsgebot auch alle erlaubt sind. Da gibt es Hunderte verschiedene Sorten, jedes Jahr neue. Das ist später auch die hohe Kunst, das herauszuschmecken. Zitrone, aber auch Aromen aus der Hefe und dem Malz zeigen sich in der Nase. Gerade Hefe kann sehr spannende Aromen erzeugen. Denken wir an ein Weizenbier: Wenn man da hineinriecht, hat man oft sehr fruchtige Noten, die an Banane oder Nelke erinnern.

Und was ist dann beim Trinken wichtig?

Für ein Urteil brauche ich mehrere Schlucke. Es gibt den Antrunk, das Mundgefühl und den Abgang. Dazwischen ist wichtig, wie sich das Bier im Mund verhält. Man lässt sich das Bier regelrecht auf der Zunge zergehen, um mit allen Geschmacksknospen zu arbeiten. Das hat mit dem Zungenaufbau zu tun: Vorne schmecken wir Süßes, an den Seiten salzig und sauer, und erst ganz hinten nehmen wir bittere Stoffe wahr. Gerade, wenn es um hopfenbittere Biere geht, ist es entscheidend, den letzten Zipfel der Zunge zu erreichen. Nach dem Schlucken werden Aromen dann von Nase und Gaumen gemeinsam wahrgenommen.

Vor Wettkämpfen müssen Sie nicht nur Sensorik trainieren, sondern auch sogenannte Off-Flavours. Was ist das genau?

Beim Brauen, Lagern oder bei der Schanktechnik kann viel falsch laufen. So können Aromen ins Bier geraten, die nicht hineingehören. Zwei Beispiele: Wenn die Hefe nicht richtig arbeitet, kann ein Bier nach Butter schmecken. Das ist nicht immer gewollt. Und wenn ein Bier falsch gelagert wird, etwa Wärme und Sonne ausgesetzt ist, entsteht der sogenannte Lichtgeschmack. So gibt es offiziell 50 verschiedene Bierfehler. Als Brauer sollte man die alle erkennen.

Eine Studie behauptete mal, bei Frauen sei der Geschmackssinn ausgeprägter als bei Männern. Sie wurde dann widerlegt. Kann sich nun jeder aussuchen, was er glaubt?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass Frauen grundsätzlich besser schmecken. Ich kenne sehr viele Männer, die eine hervorragende Sensorik haben. Was man daraus macht und wie man seiner Sensorik schadet, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Rauchen oder sehr starker Alkoholkonsum, auch zu heißer und starker Kaffee sind nicht gut. Manche gehen mit ihren Sinnen auch einfach anders um: Wenn ich etwa mein Essen nicht genieße, sondern es runterschlinge, werde ich weniger schmecken.

Sind Sie generell eine Genießerin?

Meine Familie hat immer gern gekocht und das auch zelebriert; war aufgeschlossen für Neues. Den Wunsch, Dinge auszuprobieren, hatte ich also immer, und den halte ich bei Sommeliers auch für unentbehrlich.

Nun gelten Sie geschlechterübergreifend als Beste Ihres Fachs. Haben Sie das Klischee inzwischen brechen können?

Ich finde, dass es sich verbessert. Trotzdem begegnen mir immer noch Klischees. Auch bei der WM gab es dieses Geraune vom Frauenvorteil. Ich verstehe nicht, was das soll. Okay, das Alter kann eine Rolle spielen, solange es um Erfahrung geht. Aber alles andere sollte völlig egal sein.

Zu welchem Bier greifen Sie, wenn wir wieder in der Sonne sitzen dürfen?

Ich liebe Sauerbiere. Berliner Weiße zum Beispiel ist ein Sauerbier - aber bitte ohne Sirup! Das ist super erfrischend und hat auch nur so zwei bis drei Prozent Alkohol.

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