Berliner Designerin Leyla Piedayesh:Im Lala-Land

Modekenner sind sich einig: Designerin Leyla Piedayesh trifft den Zeitgeist. Ihr Label Lala Berlin steht für den urbanen Berlin-Chic wie kein anderes. Ein Besuch im Atelier einer Frau, die weiß, was coole Mädchen tragen wollen - bevor die es selbst wissen.

Verena Stehle

Für das Modevolk in Deutschland beginnt das neue Jahr ziemlich ungemütlich. Während sich Menschen mit konventionelleren Jobs gerade in Ischgl einschneien lassen und sich höchstens Gedanken machen, ob sie in Sorel Boots investieren oder doch noch mal die Uggs rausholen sollen, steht für Designer, Stylisten, Einkäufer und Journalisten die erste Herausforderung des Jahres an: die Fashion Week Berlin. Kopenhagen, New York, London, Paris: Sie alle haben ein paar Tage mehr Zeit, sich auf die Schauen einzustimmen.

Fashion Week Berlin - LALA Berlin

Leyla Piedayesh trifft mit Lala Berlin den Zeitgeist - nicht nur in der Hauptstadt.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die erste Aufregung des Jahres kam vor ein paar Tagen per Mail: "Lala Berlin sagt Show ab." Ausgerechnet jenes Label, das mehr für den urbanen Berlin-Chic steht als irgendwer sonst? Kurz später die Entwarnung: Die Show findet statt. Aber ein paar Looks sind unsicher, es wurden die falschen Stoffe geliefert.

Dafür ist es im Atelier von Lala Berlin recht ruhig. Die Einzige, die an diesem Januartag in Berlin-Mitte wütet, ist Andrea, das Sturmtief. Die Cafés sind leer, zwei Styler rühren in ihrem Ingwertee und reden über so ein Projekt, ein Schnitzelblog. Ein paar Straßen weiter, in einem Hinterhinterhof, nippt die Kreativdirektorin von Lala Berlin am Kamillentee. Hier, in einer alten Fabrik in der Anklamerstraße, hat Leyla Piedayesh eine Etage angemietet, in einem Gründerinnenzentrum. Mit ihrer Idee - Modelabel hochziehen, ohne Modedesign studiert zu haben - hat die Selfmade-Frau alle Erwartungen weit übertroffen.

Binnen acht Jahren wurde Lala Berlin vom Elle Girl-Tipp zum Unternehmen mit 30 Mitarbeitern und 3,5 Millionen Umsatz. Lala Berlin bleibt verschont, wenn die Modewoche in der Hauptstadt wieder mal im großen Stil kritisiert wird. Es ist das einzige deutsche Label, das es regelmäßig in die angesehene britische Vogue schafft. In 250 Shops wird Lala heute verkauft, bei Barneys New York, Isetan Tokio, Colette - und auch in Hollywood ist Lala ein Begriff; den Bestseller, den Kaschmir-Palästinenserschal, trägt auch Reese Witherspoon. Die New York Times nannte Leyla 2008 eines der jungen deutschen Talente.

Und 2012? Könnte Leyla in einem dreistöckigen Loft Unter den Linden arbeiten. Aber das ist nicht sie, genauso wenig wie ein Chanelkostüm. Okay, sie hat sich gerade eine Bikerlederjacke von Balenciaga gekauft, aber "bevor ich 6000 Euro für Chanel ausgebe, investiere ich es in die Marke". Leyla sitzt in ihrem überraschend winzigen Büro vor einem silbernen Powerbook. Das Büro-Inventar: weißer Holztisch, dunkelbraunes Sideboard, eine gigantische Pinnwand mit Fotos ihrer kleinen Tochter ("wir sind ja Singlemutter"), Schlüsselanhänger aus Indien, Modelbilder (die junge Kate Moss), eine leicht kitschige Einhorn-Illustration. Leyla trägt Streifenpulli und Jeans - den Preppy-Look fände sie gerade aber auch ganz toll. "So ist auch der Stil von Lala Berlin: eklektizistisch." Ein sehr hübsches Wort, wenn man sich nicht auf einen Stil festlegen lassen will.

"Ich bin ein Aufsauger, ein Schwamm."

Bei keiner deutschen Marke sind sich Modeinsider so einig: Lala Berlin trifft den Zeitgeist. Erste Frage also: Wie sieht es aus, dieses diffuse Monster? Leyla antwortet: "Stillstand. Nicht noch schneller, noch mehr. Vielleicht muss man aus Facebook austreten." Wie fängt sie diesen Zeitgeist ein? Streetstyleblogs? Hm, auch. Vielmehr wandere sie durch das Internet und bliebe dann meist bei YouTube hängen, um sich neue Musik anzuhören. Wie "diese süße Maus" - wie hieß die gleich?

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Lala Berlin erkennt man wieder: Die Entwürfe der Designerin Leyla Piedayesh.

(Foto: AFP)

Leyla Piedayesh hat als Redakteurin bei MTV gearbeitet, als der Musiksender noch in München stationiert war. "Ich bin ein Aufsauger, ein Schwamm. Immer wenn ich in Magazinen blättere oder das Internet öffne, kommt eine neue Idee. Ich schließ' mich nicht drei Tage in die Staatsbibliothek ein und höre Bach, das ist nicht meine Welt." Nicht - zack, Eingebung? "Nein, eher so ein Gefühl über eine Farbe oder eine Silhouette."

Ihre Kollegen in Paris kramen sich neuerdings durch schimmelige Archive und legen alte Entwürfe im alten Design neu auf, vor allem aus Mangel an neuen Ideen. Leyla nutzt altbewährte Designs, um sie in etwas Neues, Absurdes zu transformieren. Das Palituch sah sie einst an Johnny Depp und dachte ,,cooler Typ, cooles Teil, ich will es noch cooler." Die graphische Umsetzung sei doch einfach ein Hammer: Dieses harte Schwarz auf weichem Kaschmir. ,,Bumm!"

Leyla, Lala ist ihr Spitzname, ist auch irgendwie bumm: eine, an die man sich erinnert. Eine persische Beauty, 1970 in Teheran geboren, mit großer Klappe und erfrischend undistanzierter Attitüde, die man sich wohl als junger Mensch bei MTV draufschafft. Sie kann durch die Zähne pfeifen wie ein Rotkehlchen und beherrscht eine lustige Phantasiesprache: Oh, Popeloni, ach, pickymicky! So jemand kann nur etwas erfinden, was mindestens ebenso eigen ist.

Und ja: Lala Berlin erkennt man unter hundert anderen Teilen wieder. Weiche, große Strickjacken? Lala. Prints wie Totenköpfe, Ketten, Wölfe? Lala. Aquarellige Prints auf Seide? Meist auch Lala. Man würde gern mal ein Wochenende in Leylas Kopf verbringen, um herauszufinden, wie sie das schafft: Sie hat den Strickhype und die Tribalmuster vorhergesehen, genau wie Sweatshirts, mit denen später Isabel Marant in den Trendlisten landete. Sie bedruckte Stoffbeutel, als Alexa Chung noch im Reitstall abhing und Miniröcke zu Cowboyboots trug. Also: Wie weiß man, was coole Mädchen anziehen wollen, bevor sie es selber wissen? "Ich mache das, was mir gefällt. Ich bin relativ normal und im Geiste sehr kommerziell."

Tragbarkeit ist heute kein Schimpfwort mehr, im Gegenteil: die Epoche, in der man sich als belgischer Avantgardist verkleidet hat, ist vorbei. Ein Hit aus ihrer Winterkollektion etwa war ein gänsekükengelber Wollpulli. Preis: 600 Euro. "Klar kannst du den auch aus Acryl machen, dann kostet er nur 100 Euro. Aber das sieht und spürt man." Wertigkeit, das sei es doch, worum es gehe. Ein Billigshirt bedrucken und für 70 Euro verkaufen? Sie sei ,,kein Menschenverarscher".

Sehen wir uns also an, was da bald im Zelt am Brandenburger Tor gezeigt wird. Sie habe "Quadrophenia" inspiriert, das Teenagerdrama aus dem Jahr 1979. Die Farben: viel Grau-Schwarz, Rosttöne, Leomuster. Aber auch: fluffig weiches Babyblau. Und immer wieder, leicht variiert, das Pali-Plo-Muster, das Leitmotiv von Lala Berlin: eine Art Maschendrahtzaun, in dem schwarze Perlen hängen.

Die uniformierte Welt braucht Lala

Mercedes-Benz Fashion Week - Lala Berlin

"Wir sind ja Singlemutter" - Die Designerin mit ihrer Tochter auf der Mercedes-Benz Fashion Week.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Einige dieser Teile wird man schon vor der Show sehen, in der illustren Fankurve. Während andere Häuser ein mittelberühmtes Rockstarkind gegen gutes Taschengeld einfliegen lassen müssen, kippt bei Lala Berlin die hippe Jung-Prominenz freiwillig ein Gläschen Holunderblüten-Irgendwas. Heike Makatsch, Karoline Herfurth, Julia Malik. ,,Klar ist es wichtig, dass die coolen Mädchen meine Sachen tragen, aber ehrlich, mit Heike bin ich befreundet, mit den meisten. Ich bin ein Lebemensch, ich bin gern im Sumpf."

Sie geht gern ins Dudu essen und ins Grill Royal. ,,Es gibt sicher Leute, die denken, was ist das für 'ne schrullige Schachtel, aber die meisten finden mich sympathisch, auf dem Boden. Das ist vielleicht der Geist, der sich überträgt auf das, was ich mache." Wen würde sie gerne in ihrer ersten Reihe sehen? "Lana Del Rey" - die Antwort schießt wie aus einer Heckler & Koch, und - "Dillon! So heißt die! Die ist mega!" Sie dreht das Lied auf: I was tip tapping . . . Jetzt rasch noch einen Blick auf die Prototypen werfen, die bis zur Show fertig werden müssen. Kommen die Stoffe? ,,Alles offen. Sonst wird improvisiert." Am Ende eines Flurs sitzen in einem Raum vier Twentysomethings, unter ihnen ein Junge, und nähen, beziehungsweise trennen etwas auf. An einer Puppe hängt ein olivgrüner Parka, an dem Post-its kleben mit Ansagen wie ,,Knopf fehlt". Leyla guckt ein wenig lehrerinnenhaft über alle acht Schultern, angelt sich Erdnuss-M&Ms aus einer Tüte und sagt beim Rausgehen ,,ihr Schlampetten".

Cool, hochwertig, individuell, berlinig: Mit solchen Fashion-Vokabeln lässt sich Lalas Erfolg nur halbwegs beschreiben. Der Parka zeigt vielleicht ganz gut, warum das Label so funktioniert: Es liefert einen unangepassten Protest-Chic für eine Generation, die den arabischen Frühling in den Medien verfolgt, aber zu unpolitisch ist, oder auch zu fein, um am ehemaligen Bundespressestrand zu campen. Leyla jedenfalls betont, sie wollte nie allen zeigen, was für ein Revoluzzer sie sei.

Keine Angst in Zeiten, in denen Massenmörder Lacoste schätzen, dass Lala Berlin an den Falschen hängt? X-Factor-Sternchen oder Würstchenkönig-Töchter? ,,Klar, wenn ich eine sehe, die unsere Tasche hat und dazu Uggs, 'ne Fellweste und falsche Lippen, bin ich mir unsicher, ob ich das toll finde. Aber pickymicky, man muss easy damit umgehen. Ich bin als Unternehmerin an die Idee rangegangen, und am Ende des Tages machst du keine elitäre Mode für fünf Leute."

Die Lala-Berlin-Story wäre ein tolles Fallbeispiel für ein Lehrbuch "Internationale Unternehmensführung". Aber Zahlen lesen sich nicht schön, also druckt die Presse lieber die märchenhaften Passagen: Es war einmal die kleine Iranerin Leyla, die mit ihrer Familie nach Wiesbaden kommt, und nach BWL-Studium und Indienreise auf einem Flohmarkt in Berlin Pulswärmer findet und nachstrickt . . . Fakt ist: Sie hat alles aus eigener Kraft geschafft. Hat investiert (6000 Euro Starthilfe vom Staat), Pläne erfüllt, um Umsätze zu machen, die Palette zu erweitern und mehr Leute anstellen zu können. Leyla spricht von Cashcows, Businessplänen, dem Finanzier, den sie dringend braucht, vom Break-even-point, an dem sie noch nicht angelangt sind. ,,Ich habe ein Unternehmerherz, ich komme aus einer Teppichhändlerfamilie."

Ihr Ziel für 2012? Expansion. Sie ist fest überzeugt, dass diese uniformierte Welt Lala Berlin braucht. "Wer braucht eine neue Jil Sander, einen neuen Margiela? Gibt's doch alle schon."

Wenn da nicht ihr Weltschmerz wäre. Sie will die Internationalisierung, aber ohne die ,,grüne Seele" zu verlieren. Ob das geht? Sie weiß es nicht. Sie muss los, schlüpft in ihre Bikerjacke und geht in den Regen hinaus, der nicht aufhören will. Eines steht fest: Den Zeitgeist zu treffen, war noch nie so bittersüß wie heute.

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