Süddeutsche Zeitung

Mode in Berlin:Ganz schön anmaßend

Was macht ein Schnittmacher, der sich auf handgefertigte Anzüge im britischen Stil spezialisiert hat, in der Pandemie? Ganz einfach: maßgeschneiderte Jeans.

Von Verena Mayer, Berlin

Alles hier ist edel. Die Lage des Ladens in einer ruhigen Straße in Berlin-Charlottenburg, der Showroom mit dem Holzboden und den Bauhaus-Stühlen. Und natürlich die Kleidung, die hier verkauft wird - Anzüge, Hemden, Mäntel und Pyjamas, allesamt maßgeschneidert. Kurz: Das hier ist der typische Herrenausstatter für die gehobene Kundschaft, die mindestens 1500 Euro für einen Anzug zahlen kann, mitunter aber auch 4500, wenn dieser Anzug aus einem taubenblauen Wolle-Seide-Gemisch ist und vom Kragen bis zum Hosenaufschlag handgearbeitet wird.

Und doch ist alles hier ungewöhnlich. Weil der Mann, der hier in bester Innenstadtlage im klassischen britischen Stil maßschneidern lässt, ziemlich jung ist, 28 Jahre alt, und bis vor wenigen Jahren noch aus einer Hinterhofwohnung in Berlin-Neukölln Londoner Vintage-Maßanzüge an eine sehr überschaubare Klientel gebracht hat. Und weil ihm nicht einmal die Corona-Pandemie zusetzt, die Teile der Modebranche an den Rand des Abgrunds geführt hat. In einer Zeit, in der Textilketten insolvent werden und Innenstadt-Filialen schließen müssen, weil die Leute entweder online shoppen oder gleich in der Jogginghose zu Hause arbeiten - in dieser Zeit sind die Auftragsbücher des Schnittmachers Maximilian Mogg gut gefüllt.

Der Grund dafür ist Maximilian Mogg selbst beziehungsweise die Pose, mit der er in seinem Laden steht. Er trägt einen dunkelblauen Maßanzug, ein hellblaues Hemd mit weißem Kragen und knallgrünen Streifen, dazu dunkle Loafers, einen Armreif und eine Vintage-Cartier-Uhr. Es ist ein Look, der konservativ-gediegen und doch schräg ist, eine Mischung aus Banker und Dandy, die noch von Moggs Art abgerundet wird, lässig zu gucken oder nach einer Packung Nil-Zigaretten zu greifen. All das könnte auch aus einer Instagram-Story stammen oder einer Serie wie "Suits", und damit ist schon ein Teil von Moggs Businessplan erklärt: Sein Laden richtet sich vor allem an eine junge Kundschaft. An Leute, die zwischen Mitte zwanzig und Mitte dreißig sind, die als Kreative arbeiten, in der Start-up-Szene zu Geld gekommen sind oder denen ihr Style einfach so wichtig ist, dass sie auch mal für Maßgeschneidertes Geld zusammenkratzen.

Für 490 Euro sehen die Jeans immerhin so aus wie von Andy Warhol

Mogg zeigt auf die Stangen an der Wand. Neben Jacken, Hosen, Hemden und Krawatten hängen hier heute vor allem: Jeans. Die ersten Anfragen habe er im Oktober erhalten, sagt Mogg, zu Beginn des zweiten Lockdowns. Inzwischen lässt er zwischen 20 und 25 im Monat fertigen, für 490 Euro das Stück.

Mogg kommt ursprünglich aus Koblenz, sein Vater ist Rechtsanwalt, seine Mutter Künstlerin. Er studierte BWL und arbeitete unter anderem bei einer Privatbank. Irgendwann habe er gemerkt, dass er nicht "die ganze Zeit Zahlen von links nach rechts schieben wolle". Sondern das zum Beruf machen, was ihn schon sein Leben lang interessierte: Herrenmode. Er ging nach Berlin, wo er im Internet Vintage-Maßanzüge zusammenkaufte und für seine Kundschaft umschneidern ließ. Das Geschäft lief so gut, dass er eines Tages begann, selbst Anzüge fertigen zu lassen. Er entwarf eine Art Prototyp, einen Zweireiher mit geschwungenem Revers, ausgestellten Schultern und einer weiten, hochgeschnittenen Hose. Ästhetisch eine Mischung aus goldenen Zwanzigerjahren und Mick Jaggers mattgrünem Hochzeitsoutfit aus dem Jahr 1971. Das Modell kann man sich, je nach Budget, dann entweder in Rumänien schneidern lassen, in einer Manufaktur in England oder direkt in der Savile Row, jener Londoner Straße, in der sich die berühmten britischen Maßschneider aneinanderreihen.

Mogg hat selbst einige Jahre für den Londonder Designer Edward Sexton gearbeitet, von ihm hat er die fließenden, fast femininen Formen und ganz allgemein ein Ideal von Männlichkeit, das sich weniger durch einen fitnessgestählten Körper definiert als durch Kunstsinnigkeit und Attitüde. Der Sprung zu maßgeschneiderten Jeans war da gar nicht so groß. Sein Vorbild sei Fred Hughes, der Freund und Geschäftspartner von Andy Warhol, sagt Mogg. Der habe sich eines Tages seine Levis-Jeans vom Schneider umarbeiten lassen. Der machte sie weiter und weicher, fügte eine Bügelfalte hinzu, und fertig war ein Kleidungsstück, das Andy Warhol dann ebenfalls für sich entdeckte. Es gibt Bilder, auf denen Warhol in Jeans und Jackett Rollschuh fährt, angeblich trug er bei einem Besuch im Weißen Haus sogar unter der Smokinghose seine Jeans. Dieser Warhol-Look habe ihn schon immer interessiert, sagt Mogg, und jetzt, in der Welt des Home-Office und der Videokonferenzen, sei der Zeitpunkt dafür gekommen. Mogg vertreibt seine Anzüge und Jeans inzwischen auch über ein Franchise-Modell in Köln und Washington.

Er glaubt, dass die Nachfrage nach maßgeschneiderter Mode mit der Komplexität der Welt zu tun hat. Wo es alles gibt und alles erlaubt ist, wo man daran gemessen wird, wie gut man mixen und matchen kann - da entstehe bei vielen eine Sehnsucht nach den Dingen und Formen, die sich seit Jahrhunderten bewährt haben.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5217862
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.