Süddeutsche Zeitung

Pflege-Trend:Zurück ins Labor

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Der Beauty-Markt boomte während Corona und wächst weiter. Nach Naturkosmetik und Celebrity-Pflege sind nun Cremes gefragt, die wirklich etwas können - am besten dank Nobelpreis-Forschung.

Von Silke Wichert

"Shelfies" nennt man in der Social-Media-Sprache Fotos von "Shelves", also Regalen. Von hübsch sortierten Bücherwänden etwa, die ganz viel Intellekt in einen Instagrampost pressen. Oder, besonders präsent in den letzten Jahren: Das Badezimmer-Shelfie für die Zurschaustellung des prall gefüllten Pflegeprogramms zu Hause. Am besten sollten dort natürlich schöne, teure oder möglichst angesagte Tiegel und Fläschchen zu sehen sein. Aber das Aushängeregal auf dem neuesten Stand zu halten, war zuletzt gar nicht so einfach.

Der boomende Markt für Hautpflegeprodukte erreichte 2020 ein Volumen von mehr als 140 Milliarden Dollar. Während der Pandemie wuchs der Umsatz weiter, in der Kurve der Google-Suchanfragen nach "skin care" war nach dem Lockdown ein beachtlicher Sprung zu beobachten. Gefühlt jede Woche kam eine neue Marke auf den Markt. Der Trend ging dabei insbesondere zu Naturkosmetik oder zu "Celebrity"-Produkten. Nach Alicia Keys, Scarlett Johansson und Harry Styles kündigte auch Hailey Bieber eine eigene Pflegelinie an. So viel Zeug passt aber auf kein Shelfie mehr, deshalb spricht die Trendforschungsagentur WGSN bereits von einer Tendenz zu "Skinimalism". Die Kunden würden anfangen, wieder mehr Wert auf Effizienz zu legen. "Weniger, aber besser", laute die Devise. Eine mit vielen Fläschchen vollgestopfte Ablage im Bad sei nicht mehr erstrebenswert - und ohnehin kaum bezahlbar.

Auch Melanie dal Canton, die mit MDC Cosmetic vor knapp zehn Jahren in Berlin den ersten Beauty Concept Store gründete, beobachtet eine Abkehr von sehr marketinggetriebenen, hübschen Verpackungen. Und hin zu Produkten, bei denen der Inhalt im Mittelpunkt steht. "Die Kunden merken ja irgendwann, ob eine Creme viel verspricht oder wirklich etwas bringt", sagt dal Canton. Viele kämen nach ständigem Herumprobieren zu ihr - und stoßen da zum Beispiel auf eine Marke, die schon mit dem wissenschaftlich klingenden Namen Seriosität suggeriert: Biologique Recherche. Das französische Label ist keineswegs neu, wird aber weder sonderlich breit noch gut vermarktet, was natürlich volle Absicht ist. Online lässt sich die Marke nicht bestellen, verkauft wird nur über Beauty-Salons, die mit den Produkten arbeiten.

Verstehen muss man die Formeln nicht, nur schön sollen sie machen

Gegründet Ende der Siebzigerjahre in Paris, schmückt sich die Firma mit einem eigenen Forschungs- und Entwicklungslabor. Die P50 Lotion, die verhornte Hautschüppchen sanft abträgt, gilt als Bestseller. Das Präparat mit dem schönen Namen Le Grand Sérum wurde vergangenes Jahr um einen, wie es auf der Webseite heißt, "revolutionären Wirkstoff" ergänzt, der sich die straffenden Effekte der nobelpreisprämierten Forschung über Telomere zunutze machen soll. Telomere sind Endkappen, die die Chromosomen im Erbgut jeder Zelle umhüllen, sich aber abnutzen, bis die Zelle stirbt. Das Serum soll diesen Alterungsprozess unterbinden. Klingt nach High-End Anti-Aging und auch ein bisschen nach Zauberei. Selbst wer kein Wort davon versteht, fühlt sich irgendwie gleich besser in seiner Haut.

Auch andere Marken setzen auf "Science Beauty". Die Gründer von Tomorrowlabs aus Österreich etwa entwickelten aus Erkenntnissen über ein Protein, das für die Sauerstoffzufuhr von Zellen zuständig ist, ihre eigene Technologie. Und die Firma Noble Panacea geht auf einen echten Preisträger zurück: Der schottische Wissenschaftler Sir James Fraser Stoddart wurde 2016 für seine Forschung an "molekularen Maschinen" mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Darauf aufbauend entwickelte er die "Organic Super Molecular Vessel"-Technologie als Basis seiner Gesichtspflege: Die Inhaltsstoffe bekommen gewissermaßen eigene Transportmittel, die sie besser schützen.

Neueste Entwicklung von Noble Panacea: Eine Schlafmaske, deren Komponenten auf die Phasen des nächtlichen Zellwachstums abgestimmt sein sollen. Pflege mit eingebauter Stoppuhr sozusagen: Zuerst werden Antioxidantien freigesetzt, danach wird Retinol zur Faltenreduzierung an die Haut abgegeben. Gegen Ende der Nacht soll die Maske mit Hyaluronsäuren die Nährstoffphase einleiten. Der Preis liegt mit 319 Euro für die Schlafmaske extrem hoch, trotzdem stieg der Umsatz von Noble Panacea laut Vogue Business seit 2021 dreistellig.

"Science ist wieder in Mode" befand das Branchenportal Business of Fashion und berichtete, große Beauty-Konzerne setzten wieder verstärkt auf Forschung. L'Oréal etwa kaufte die "Lab"-Marken Cerave und Skinceuticals, bei der Konkurrenz Estée Lauder wuchs vor allem die "wissenschaftlichste" Marke Dr. Jart+ zuletzt zweistellig. Grob zusammengefasst laute der aktuelle Beauty-Trend also: runter vom Avocadobaum, zurück ins Labor.

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