Süddeutsche Zeitung

Beauty:Face und Fassade

Ein Luxuslabel kann es sich nicht mehr leisten, gegen das Gebot der Diversität zu verstoßen. Gut so. Aber wenn dahinter nur Kalkül steckt? Eine Betrachtung von Lady Gagas Kosmetik-Offensive.

Von Tanja Rest

Das Letzte, was die Welt braucht, ist noch eine Beauty-Marke: An diesem Satz gibt es nichts zu rütteln. Der ist wahr, das weiß jede Frau, die sich auf der Suche nach einem durchschnittsroten Lippenstift bei Sephora, Kaufhof oder Drogerie Müller mal durch Wolken tuschelnder und ihr Münzgeld in die Hand zählender Teenager gequetscht hat und dann vor 50 Regalmetern mit Hunderten durchschnittsroten Lippenstiften stand. Weshalb der Spot, der im Netz gerade die Geburt von noch einer Beauty-Marke bewirbt, exakt so beginnt. Mit der Stimme von Lady Gaga: "Das Letzte, was die Welt braucht, ist noch eine Beauty-Marke. Dumm gelaufen!"

Keinen Shitstorm abzukriegen, ist eine Kunst, die Lady Gaga mit Bravour durchexerziert

Wäre das nicht so irre raffiniert, man käme direkt auf den Gedanken, da müsse eine ein bisschen Kosmetik betreiben, um ihre eigentlich merkantilen Absichten aufzuhübschen. Aber da ist sie ja längst selbst im Bild, lackschwarzer Body, Killerheels, Alienpupillen, dickes Augen-Make-up. Und hier kommen auch schon die anderen, die Frau mit dem Afro, der Mann mit dem Dragqueen-Lidstrich, das asiatische Cybergirl mit den orangenen Zöpfen, die Rasta-Beauty. Am Ende stehen sie alle auf einem rotierenden Podest und sehen cool, überirdisch schön und vor allem unglaublich divers aus, und die ganze Zeit hat die Stimme von Lady Gaga immer weitergetextet. "Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Bei Haus Laboratories sagen wir, Schönheit ist, wie du dich selbst siehst. Dein Glamour. Dein Ausdruck. Deine Kunst." Und so weiter, und so weiter.

Wie man das eben formuliert, wenn man noch eine Marke auf den Markt wirft, die sich der Verschönerung von Menschen verschrieben hat, was heute aber nicht mehr Verschönerung heißen darf, sondern Selbstermächtigung sein muss. Weil offiziell ja nicht mehr aus einem defizitären Selbstgefühl heraus operiert wird, sondern unbedingt aus einer Position der Stärke. Wäre man selbst diejenige Celebrity, die eine solche Unternehmung startete, man würde an das eigentliche Produkt eher wenig Gedanken verschwenden, wenn der Return on Investment gigantisch werden soll. Man würde sich stattdessen auf die Message konzentrieren.

Die Message, die über das eigentliche Produkt nichts aussagt, darf niemanden verletzen, sie muss vielmehr allumarmend sein. Klingt erst mal läppisch, wird aber schnell kompliziert, wenn man an Dolce & Gabbana denkt (hat halb China mit einem Spot beleidigt, der kulturell unkorrekt war), oder wenn man an Burberry und Prada denkt (haben Produkte verkauft, deren Bildsprache ethnisch unkorrekt war), oder wenn man an Victoria's Secret denkt (hat Models beschäftigt, deren Körper feministisch unkorrekt waren). Keinen Shitstorm abzukriegen, ist heutzutage eine Kunst, die Lady Gaga in ihrem Spot mit Bravour und eiskaltem Kalkül durchexerziert. Alle dürfen sich hier gemeint und erwünscht fühlen, die Feministinnen, die LGBTQs, die Freaks, jedwede Ethnie, alle Körper. So macht man das, bevor dann aus der Bildschirmschwärze heraus das Logo des Labels ergleißt, bei dem ein Lippenstift-Duo für 32 Euro bestellt werden kann.

Der einzige echte Schönheitsfehler war dann wirklich nur Amazon, der globale Menschenausbeuter und Diversitätsplattmacher, auf dessen Plattform Lady Gaga ihr Schminkzeug exklusiv vertreiben wird von September an. Aber auch das hat von Los Angeles bis Tokio, von Washington Post bis Vogue keinen wirklich gejuckt, als die Sängerin und Schauspielerin den Spot vergangene Woche auf ihrem Instagram-Account postete. Die Stimmung war eher so: Hey, endlich gibt es Make-up von Lady Gaga, wie geil ist das denn?!

Wir haben natürlich gelernt, dass sie eine von den Guten ist. Setzt sich seit Jahren für Minderheiten und die Einhaltung der Menschenrechte ein, hat eine Stiftung für benachteiligte Jugendliche gegründet, für Hillary Clinton Wahlkampf gemacht. Ist mit ihren Ängsten und Traumata an die Öffentlichkeit gegangen. Darf für sich beanspruchen, dem Sich-fremd-Fühlen im eigenen Körper ihr trotziges "Born this Way" entgegengeschleudert zu haben. Wobei man sich hier und da fragen konnte, ob diese Frau, die sich hinter Perücken, falschen Wimpern, Kostümen aus rohem Fleisch und Tonnen von Make-up versteckte, wirklich plausible Antworten lieferte oder ein Dilemma nur auf den Punkt brachte.

Aber eine Gaga, die allumarmende Lippenstifte anbietet, und sei es bei Amazon, kann eigentlich nicht irren. Oder?

Ja, nun. Nahezu philosophische Frage.

Man kann finden, dass es immer noch besser ist, aus den falschen Motiven (Imagepflege, Gier et cetera) das Richtige zu tun als - warum auch immer - das Falsche. Man kann finden, dass es für Make-up, mit dem man sich eine innere Wahrheit aufs Gesicht pinselt, keine glaubwürdigere Botschafterin gibt als Lady Gaga, die in einem offenen Brief an ihre zukünftigen Kundinnen versichert: "Manchmal kommt Schönheit nicht von innen. Ich bin so dankbar, dass Make-up mir den Mut gegeben hat, von dem ich bis dahin noch gar nichts ahnte." Man kann aber auch denken, dass sie im Jahr 2018 gut 50 Millionen Dollar verdient hat und 2019 noch eins draufsetzen will. Man kann es so sehen, dass die Luxusindustrie das Thema Diversität endlich, endlich ernst nimmt. Oder dass sie es als politisch korrekte Kulisse nutzt, hinter der sie schamlos abkassiert.

Richtig ist jedenfalls: Früher konntest du deinen berühmten Namen zu Geld machen. Heute legst du deine gute Gesinnung als Goodie-Bag noch obendrauf und verdienst im Idealfall das Dreifache.

Keine weiß das besser als Rihanna. Früher mal eine Künstlerin, die mit narrensicherem Gespür für den G-Punkt des Zeitgeistes R'n'B sang, hat sie sich längst zur Unternehmerin gewandelt. Im Rahmen ihres "Fenty"-Imperiums verkauft sie inzwischen Wäsche, Kosmetik und leitet jetzt auch ihr eigenes Couturehaus, eine Neugründung unter dem wahrhaftig auch nicht alle Erdenmenschlein überwölbenden Dach des Luxusriesen LVMH.

Rihanna ist eine barbadische Frau mit grünen Augen, die sich aus einfachen Verhältnissen mit Talent und beinhartem Erfolgswillen in die Kaste der Superstars hochgearbeitet hat. In der Sprache des Marketings ist sie ein unbedingt glaubwürdiges Produkt. Rihanna war 2017 die Erste, die im Luxussegment Make-up für farbige Frauen anbot, Foundation in 40 verschiedenen Schattierungen für jeden Hauttyp. Sie war es, die dunkelhäutige, füllige oder auch schwangere Models im Stringtanga auf den Laufsteg schickte, als das weiße Supermodel Karlie Kloss bei Victoria's Secret zur albernen Puppenwäsche immer noch Engelsflügel umgeschnallt bekam. All dies war sowohl überfällig als auch ungeheuer lukrativ und hat dazu geführt, dass die Konkurrenz nun fieberhaft nachrüstet. Aber nicht immer stimmt, was man da sieht.

Die Firma Adidas etwa, eine der wertvollsten Marken der Welt, steht durch Kampagnen mit schwarzen Sportlern und die Zusammenarbeit mit Künstlern wie Kanye West und Beyoncé bestens da, Umsatz und Image sind makellos. Die New York Times schaute trotzdem genauer hin, und siehe da: Von den 1700 Beschäftigten auf dem Adidas-Campus in Portland sind 78 Prozent weiß, der Anteil der Schwarzen liegt bei kümmerlichen 4,5 Prozent. Dunkelhäutige Mitarbeiter beklagten ein Klima der Diskriminierung und Ausgrenzung, in der oberen Führungsebene sind sie nahezu gar nicht vertreten: Unter den 340 Vizepräsidenten weltweit, so die Times, finden sich genau drei Schwarze. Als der Bericht vor einem Monat erschien, räumte das Unternehmen eilig Versäumnisse ein: Man sei "noch nicht da, wo wir sein wollen".

Eine Turnschuh-Kampagne mit schwarzen Sportlern ist erst mal nur eine Behauptung

Eine Turnschuh-Kampagne mit dunkelhäutigen Sportlern, ein Beauty-Spot mit nicht konformen Menschen, eine Hochschwangere in Wäsche auf dem Laufsteg: All dies ist eben erst mal nur eine Behauptung. Und wenn das Netz auch aufheult, sobald es einen Akteur beim groben Foul erwischt: Solange die Körper, die für ein Luxusprodukt werben, nicht zu weiß, nicht zu dünn, nicht zu jung und nicht zu perfekt sind, will es kaum einer genauer wissen.

Jubel also für das Haus Chanel, als es vergangene Woche eine Frau zu seiner ersten "Chief Diversity Officer" machte. Jubel für das Model Karlie Kloss, die Anfang des Monats urplötzlich bekannt gab, nicht mehr für Victoria's Secret laufen zu wollen, "weil ich das Gefühl habe, dass dieses Image nicht wirklich reflektiert, wer ich bin und welche Botschaft ich an junge Frauen senden möchte" - eine Botschaft, mit der Kloss acht Jahre lang nicht das geringste Problem gehabt hatte. Und natürlich gab es auch Applaus für Lady Gaga, als sie dem Branchendienst Business of Fashion anvertraute: "Ich werde sicherlich keine Beauty-Marke auf den Markt bringen, die Unsicherheit und Angst bei den Menschen auslöst. Hier geht es um Befreiung!"

Auch für das Geschäft mit Amazon hat sie ein wasserdichtes Alibi: die eigene Prinzipienfestigkeit. "Manche Firmen wissen, wofür ich stehe und wie ich die Welt sehe, aber wenn das nicht perfekt zu ihrer Marke passt, fürchten sie um ihre Kunden. Sie fragen mich: Kannst du nicht ein wenig von deiner Linie abrücken?" Ihre Antwort darauf sei negativ, sagte Gaga: "Keine Botschaft der Selbstakzeptanz, kein Deal. Und genau aus diesem Grund war der Deal mit Amazon so wundervoll."

Sie versteht, dachte man staunend, wirklich viel von Kosmetik.

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Quelle:
SZ vom 20.07.2019
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