Beauty:Das ist Keim-Spielzeug

Bath & Body

Diverse Duftnoten sorgen für den Hygiene-Hype.

(Foto: Bath & Body Works)

Bunt, duftend, sauber: Desinfektions-Handgele aus dem Drogeriemarkt gelten bei Teenagern als neue Beauty-Accessoires. Dabei wäre es effektiver und gesünder, die Hände zu waschen, statt sie mit einem Gel zu übertünchen.

Von Christine Mortag

"Sagrotan" und "cool" waren bisher zwei Begriffe, die man nicht unbedingt miteinander in Verbindung gebracht hätte. Tatsächlich aber sieht man auf Schulhöfen und in Fußgängerzonen aktuell immer mehr Mädchen im Teenageralter, an deren Rucksäcken kleine Plastikfläschchen in farbigen Hüllen baumeln. Gefüllt sind die Fläschchen mit Desinfektionsgel.

Hygieneartikel dieser Art sind grundsätzlich nicht neu. Ältere Damen haben das Sagrotan-Gel in praktischer 50ml-Größe seit ewigen Zeiten in ihrer Handtasche, um sich unterwegs schnell die Hände reinigen zu können, wenn gerade mal wieder kein Waschbecken in der Nähe ist. Aber Vertreter der jungen Zielgruppe? Sicher, sie verbringen Stunden in Drogeriemärkten, testen Make-ups, vergleichen Schminkpinsel und kaufen Lipgloss, der nach Erdbeer-Minze schmeckt. Das ist verständlich: Sie wollen ausprobieren, wer sie mal sein könnten, wenn sie älter sind und kurz mal so tun, als seien sie schon jetzt erwachsen. Artikel zur Körperhygiene finden 13-Jährige jedoch normalerweise so attraktiv wie WC-Reiniger.

Der Umsatz von Desinfektionsprodukten ist hierzulande um 71,2 Prozent gestiegen

Fragt man nach, warum sie diese Gele kaufen, sagen sie: "Weil's alle haben." Fragt man genauer nach, erfährt man, dass es gar nicht so sehr um das Produkt an sich geht. Viel wichtiger ist, dass es die Gele in unterschiedlichen Duftrichtungen gibt und mit verschiedenfarbigen Haltern aus Silikon drumherum. Dinge mit Sammelcharakter locken Kinder schon immer, siehe Lillifee oder Pferde der Firma Schleich. Die Teenie-Steigerung sind heute neben Nagellacken in hundert Farben die "Sanitizer" (so das englische Wort für die Gele), die nach Himbeere oder Weihnachten riechen.

Über das plötzliche Interesse an antibakteriellen Mitteln freuen sich vor allem die Drogeriemarken. Ein deutliches Wachstum in dem Bereich bestätigt sowohl Christoph Werner, Geschäftsführer von Dm, wie auch ein Unternehmenssprecher von Rossmann. Laut einer Studie des Marktforschungsinstituts Nielsen ist der Umsatz von Handdesinfektionsprodukten im Vergleich zum letzten Jahr hierzulande sogar um 71,2 Prozent gestiegen. Aktuell liegt er bei über 30 Millionen Euro.

Dabei ist das Angebot in Deutschland sehr überschaubar. US-amerikanische Drogeriemarken haben deutlich mehr zu bieten. Unangefochten an der Spitze steht die Firma Bath & Body Works, die ihre "Pocketbacs" schon seit ein paar Jahren verkauft. Im Sortiment gibt es mehr als 50 verschiedene Aromen, von "französischer Lavendel" bis "Gurke Melone". Mindestens ebenso viele verschiedene Silikonhüllen gibt es auch, von der Freiheitsstatue bis zum Zwinker-Emoji. Mit duftenden Drogerieartikeln hat Bath & Body Works im Jahr 2016 über 1,6 Milliarden Dollar Umsatz gemacht. Inzwischen dürfte es längst mehr sein. Dank 1700 Shops ist die Marke in so gut wie jeder Shopping-Mall in den USA vertreten. Auch in Deutschland gelten Pocketbacs von Bath & Body Works als größte Trophäe das Handgel-Hypes, was wahrscheinlich daran liegt, dass man sie hier bisher nur online bestellen kann oder sie sich von jemandem aus dem Amerika-Urlaub mitbringen lassen muss.

"Normales Händewaschen ist in jedem Fall die bessere Alternative."

Endlich mal ein Trend, der sinnvoll ist, werden jetzt ein paar Mütter denken, vor allem, weil übertriebene Körperhygiene bei ihrem Nachwuchs bisher nicht an erster Stelle stand. Wohl eher sinnlos: "Im normalen Alltag sind Desinfektionsmittel für die Hände vollkommen überflüssig", sagt der Münchener Dermatologe Dr. Christoph Liebich. Sie schaden sogar mehr als dass sie nützen. "Sie trocknen die Haut aus und können Allergien, Entzündungen und Ekzeme auslösen. Junge, empfindliche Haut ist besonders anfällig."

Aber ist es nicht sinnvoll, ab und zu die Hände zu desinfizieren? Schließlich lauern ja überall Keime: Auf Geländern, Haltegriffen in U-Bahnen, in Kaufhäusern. Täglich sammeln sich auf einer Menschenhand etwa 150 Bakterienarten. "Normales Händewaschen ist in jedem Fall die bessere Alternative, um Krankheitserregern vorzubeugen", sagt der Experte. "Aber mindestens 30 Sekunden lang und hinterher lieber abtrocknen als unters Gebläse zu halten." Darüber hinaus wiegen diese antibakteriellen Mittel wiegen den Verbraucher in falscher Sicherheit. Die Produkte wirken nie zu 100 Prozent, auch wenn viele Hersteller genau das versprechen.

Besorgte Eltern müssen trotzdem nicht gleich hysterisch werden: Benutzt werden die Handgels sowieso nicht. Die Mädchen kaufen sie, weil sie hübsch aussehen und gut riechen. Wenn der Industrie allerdings etwas einfallen würde, wie man das Händewaschen attraktiver gestalten könnte, wäre allen noch mehr geholfen.

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