Wohndesign:Ein Haus, das Glück atmet

Wohndesign: Dieser farbintensiv gestaltete Raum wurde einst als "Musikzimmer" geplant. Heute ist hier Kunst zu bewundern (Wandteppich nach einem Entwurf von Frank Stella). Die Möbel stammen von Ludwig Mies van der Rohe.

Dieser farbintensiv gestaltete Raum wurde einst als "Musikzimmer" geplant. Heute ist hier Kunst zu bewundern (Wandteppich nach einem Entwurf von Frank Stella). Die Möbel stammen von Ludwig Mies van der Rohe.

(Foto: SG Koezle)

Wie lebt es sich in einer Villa von Walter Gropius, umgeben von lauter Bauhaus-Möbeln und Bauhaus-Ideen? Zu Besuch bei einem Ehepaar in Jena.

Von Gerhard Matzig

Frank Stella, der bekannte amerikanische Maler und Objektkünstler, steht dann also wirklich vor der Tür in der Schaefferstraße 9. Er will das Haus besichtigen. Das Haus, das der Bauhausdirektor und Architekt Walter Gropius 1924 für Felix Auerbach und seine Frau Anna in Jena erbaut hat. Barbara Happe, 67, und Martin Fischer, 64, die seit bald einem Vierteljahrhundert im mit Liebe, bauhistorischem Anspruch und etwas Wahnsinn restaurierten "Haus Auerbach" wohnen, können sich gut an den sozusagen polternden Auftritt Stellas erinnern.

"Es war Mitte der Neunzigerjahre", erzählt Martin Fischer, der kurz zuvor aus Tübingen einem Ruf auf den Lehrstuhl für Spezielle Zoologie und Evolutionsbiologie an die Friedrich-Schiller-Universität Jena gefolgt war, wo er mittlerweile Direktor des gleichnamigen Instituts ist. Jetzt aber ahmt Fischer den knorrigen Stella nach. "Der hatte gerade die Ehrendoktorwürde in Jena erhalten, so lernten wir uns kennen. Als er hörte, dass wir in einem Haus von Gropius leben, war er neugierig. Bauhaus! Gropius! Das wollte er sehen. Prompt steht er vor der Tür, wir machen auf - und er stiefelt durch das ganze Haus, die Entourage immer hinterher, treppauf treppab, dann bleibt er stehen und sagt: 'Well, you need a fireplace.'"

Hm. Sie brauchen einen Kamin. Damit es hier mal gemütlich und warm wird im Haus Auerbach. Mehr fundamentale Gropius-Kritik, zugleich aber auch fundamentale Gropius-Hingabe ist in einem Satz eigentlich gar nicht möglich. Doch der Zoologe, der sich ja gut auskennt mit Alphatieren aller Art, lacht heute noch darüber, denn das sei natürlich Unsinn. "Das Haus ist alles andere als ungemütlich." Aber Stella habe ihm dann später doch noch eine Art Kamin besorgt: einen selbstentworfenen Wandteppich, auf dem man zwei Kegelformen und eine Halbkugel vor einem flirrenden Himmelsblau zum rätselhaften Flugobjekt verdichten kann. "Frank Stella 2001 Jena" ist auf der Rückseite zu lesen.

Jena grüßt New York: Dort, am Hudson, hat der heute 82-jährige Stella nun den Boden seines Lofts mit exakt jenem Linoleum ausgelegt, das sich auch im Haus Auerbach findet. Und der Wandteppich des Künstlers befindet sich heute dort, wo er einst einen Kamin vermisste und das Linoleum entdeckte. Also direkt neben der Hängeleuchte von Gerrit Rietveld, die auch Gropius' Bauhaus-Direktorenzimmer in Weimar erleuchtet. Und direkt hinter einem weiß belederten, rasend eleganten "Barcelona"-Sessel von Mies van der Rohe, der Gropius später ins Direktorenamt folgte. Ach, und eine Liege von Le Corbusier ist auch noch in Sichtweite, dazu dies und das und Sessel von Jacobsen ... und ... "sagen Sie mal, Frau Dr. Happe und Herr Prof. Fischer: Sind Sie eigentlich Design-Freaks, Bauhaus-Jünger und Moderne-Fetischisten?" Ihr Privathaus müsste man eigentlich als öffentlich geförderte Bauhaus-Dauerausstellung annoncieren.

Barbara Happe schmunzelt und sagt: "Sagen wir mal so, wir hatten jedenfalls noch nie etwas von Ikea." Martin Fischer meint: "Wir lieben diese Architektur und dieses Design. Und in diesem Haus leben wir es auch."

Im Einbauregal neben dem Wandteppichkamin, das noch aus der Gropius-Zeit stammen dürfte, stapeln sich die Bücher. Jede Menge über Stella natürlich, dazu Bücher über Eileen Gray, Egon Eiermann, De Stijl, Richard Neutra und, herrlich, "The Architecture of Ludwig Wittgenstein". Die Musik-CDs, streng analog, liegen neben den Büchern, und als man "Wish you were here" von Pink Floyd neben Tom Waits und den späten Klaviersonaten von Beethoven entdeckt, möchte man sich spontan adoptieren lassen.

Sparsam möbliert, aber nicht leer

Man befindet sich in einem bildungsbürgerlichen Haushalt, wie er sich smarter und auch lässiger trotz der strengen Anmutung und dem unbedingten Willen zur Ästhetik kaum behausen kann. Um Wittgenstein zu antworten: Wovon man nämlich nicht reden kann, das muss man bewohnen - als Kunst der Schönheit einerseits. Und als Schönheit der Leere andererseits. Und, sagt der Zoologe, der sich nicht nur für die Morphologie vielzelliger Tierwesen, sondern auch für die Anatomie des vielzelligen Bauhaus-Mobiliars begeistert: "In diesen Räumen fühle ich mich frei. Es ist eine Architektur der Offenheit." Das weitläufige Haus, 400 Quadratmeter sind es insgesamt, ist insofern - sparsam möbliert und respektiert, wie es ist - nicht voller Leere, wie man meinen könnte. Sondern voller Möglichkeiten. Die Wohnarchitektur hier ist eine der Möglichkeitsräume.

Die Kulturwissenschaftlerin Barbara Happe, die auch eine Spezialistin für Bestattungskultur ist, ergänzt: "Wie lebendig und vital die Bauhaus-Raumideen immer noch sind, das erleben wir täglich beim Durchschreiten unseres Hauses. Das alles atmet." Die Bauhaus-Bestattung: Sie liegt demnach auch im einhundertsten Jahr seit der Gründung der einzigartigen Kunstschule in Weimar, 1919, in einer hoffentlich fernen Zukunft. Obschon die Nazis das Bauhaus-Experiment 1933 meucheln wollten (und das Bauhaus dann auch als irgendwie unarisch verboten wurde): Es lebt. Und wie. Zum Beispiel ziemlich souverän in der Schaefferstraße Nummer 9.

Das Ehepaar Happe/Fischer darf man sich jedenfalls als ein glückliches, in seinem Haus freudvoll und wohnlich lebendes Paar vorstellen. Das Haus atmet etwas, was man als Glück bezeichnen könnte. Auch ohne Kamin übrigens. Allerdings nicht ohne die Geschichten, die das Paar zu jedem einzelnen Möbel, zu jedem Bild und vermutlich auch zu jedem Buch erzählen kann. Bald denkt man: Was hier an Troddeln, Draperien, Kuscheldecken, Kissen, Nippes, Stuck und knarzendem Parkett fehlen mag - die Patina des Ortes, seine Geschichtlichkeit, die nicht nur auf das Bauhaus als Museum, sondern viel mehr noch auf das Leben der hier Lebenden verweist, macht das mehr als wett. Das Haus ist nicht nur sehr schön leer, sondern auch großartig voll.

Ein großes Missverständnis: der Fetisch Weiß

Womöglich liegt das alles ja auch an einer verblüffenden Farbigkeit der Architektur, die mit Buntheit gar nichts, mit Raumqualität aber sehr viel zu tun hat. Wobei es ja ein grobes Missverständnis ist, jene Annahme, die Bauhausmoderne sei bevorzugt mit einer einzigen (Nicht-) Farbe verbunden - nämlich mit dem Fetisch "Weiß". 37 (!) unterschiedliche Farbtöne zieren die Wände der Gropius-Villa in Jena.

Villa Auerbach / Jena

"Haus Auerbach" weist im Werk von Gropius erstmals alle Merkmale des "Neuen Bauens" auf: als kubisches Ensemble.

(Foto: Arco Images G/dpa)

Das war den heutigen Bewohnern aber noch nicht klar, als sie Anfang der Neunzigerjahre in einer Zeitungsannonce der Frankfurter Allgemeinen, hinter der seinerzeit nicht nur kluge, sondern bisweilen auch wohnungssuchende Köpfe steckten, auf das "Original-Gropius-Haus" stießen. Das ist im Werkverzeichnis als "W33" bekannt, also eigentlich eher unbekannt. Doch als Gropius-Fan wusste Martin Fischer Bescheid. Was er dann "gegen Gebot" zu sehen bekam, war jedoch nicht viel mehr als eine Ruine. Doch unter einer braunen Tapete fand sich schließlich auch die radikal farbliche Ausmalung der Innenräume - nach Plänen des späteren Bauhausmeisters Alfred Arndt.

Wer heute durch das Haus spaziert, hat das Gefühl, einem Farbrausch zu erliegen. Die Räume sind so suggestiv gestaltet, dass Raum, Proportion, Licht und Farbe einen architektonischen Mehrklang von unerhörter Intensität erzeugen. Die Farben selbst sind Farbräume. Es ist, als könnte man sie anfassen. Oder als Bilder begreifen. Oder als Möbel. Es ist seltsam (oder logisch): Was der Schriftsteller Tom Wolfe in seiner ätzenden, allerdings auch grandios vergnüglichen Bauhaus-Satire ("From Bauhaus to Our House", 1981) noch als "sinnliches Entzugskoma" geißelte, das "Reine und Hehre und Leere" der Bauhaus-Architektur, die doch nur zur Anmutung einer Insektizidsiederei führen könne, ist im Fall W33 das genaue Gegenteil. Ein farbiges Abenteuer der Sinne. Ein Überschuss an Emotionalität und Gestaltkraft. Dass die Welt je auf die Idee kommen konnte, sich in weiße Raufasertapeten zu kleiden, muss nach einem Besuch in Jena zu den großen und tragischen Irrtümern der Weltgeschichte gerechnet werden.

Selbst von außen wirkt das weiße Haus kaum weiß. Stattdessen glitzert und strahlt es in der Sonne. Die beiden Kuben, aus denen sich die Grundform der in leichter Hanglage arrondierten Villa ergibt, sind zumindest leicht zu erkennen. Die unterschiedlich hohen Quader nehmen unter ihren Flachdächern Wirtschaftsbereiche und Erschließung im Norden - und die Wohnsphären im Süden sinnfällig auf. Die Villa in Jena gehört zu den ersten Bauten, bei denen Gropius das "Baukastenprinzip" anwandte. Die modulare Raumanordnung sollte auch bauindustriell in die Zukunft führen. Das führt zwar zu der typischen, kubisch ausformulierten Formgrammatik, doch zugleich bleibt ein bürgerlich-repräsentativer Lebensstil gewahrt: Haus Auerbach kannte das "Herrenzimmer" so gut wie das "Musikzimmer". Und für das Personal gab es einen eigenen Wohnbereich. Lange her.

Marie Kondo wäre eher fehl am Platz

Heute dient das Haus Barbara Happe und ihrem Mann Martin Fischer als Lebens- und Freiraum. "Raum", sagt der Zoologe, "ist eigentlich die wertvollste Ressource der Welt." Wobei das Raumprogramm von W33 auch dem angesagten Detoxing, dem Entgiften, entgegenkommt. Die Netflix-Aufräum-Queen Marie Kondo ("Tidying Up with Marie Kondo") wäre in der Schaefferstraße eher fehl am Platz. Dass es solche Formate gibt, die ein Massenpublikum anziehen, zeigt aber, dass sich auch heute noch vom Bauhaus lernen ließe: Zum Beispiel, wie man es mit sich selbst gut aushält. Man muss das Leben nicht zumüllen.

Während man mit den Auerbach-Wohn-Nachfahren am Esstisch sitzt, blickt Martin Fischer immer mal wieder auf einen etwas seltsam gerundeten Schrank, der im Eck steht. "Den brauchen wir eigentlich gar nicht", sagt Barbara Happe. Und Martin Fischer meint schließlich: "Der kommt raus." Er passt ja auch gar nicht zum Bauhaus. Aber das ist dann doch der Moment, wo man sich schützend vor das bange Schränklein stellen möchte, das bald zittern wird wie sonst nur Axel Hackes früherer Freund Bosch, der Kühlschrank, der sich vor der Rente fürchtet. Die Radikalität und Konsequenz, mit der das Bauhaus einst die ganze Welt neuerfinden wollte, ist einem ja auch eine Lehre.

Vielleicht ist es Zeit für eine neue Form friedlicher Koexistenz - und ein klein wenig Unreinheit im Reich der Reinheit und Stringenz. Das Haus in Jena ist eben ein Raum der Möglichkeiten. Das findet am Ende auch Irma, die Hündin, die den Besucher träge anschnüffelt - und kein bisschen nach Bauhaus aussieht, was am Ende des Tages auch mal ganz schön ist.

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