Süddeutsche Zeitung

Bartmode:Lass wuchern!

Nachrichtensprecher trugen ihn, Entertainer, Sportmanager, ja sogar Könige lassen Stoppeln stehen. Warum der Urlaubsbart einfach nicht wegzukriegen ist - und auch schon Empörung auslöste.

Von Michael Neudecker

Im August 2004 unterlag der FC Bayern Bayer Leverkusen 1:4, weshalb eine für tags darauf angesetzte Floßfahrt mit Weißbier und Trallala auf der Isar storniert wurde, und zwar - wie die Süddeutsche Zeitung schrieb - von "Rummenigge, dessen Augen zornig funkelten und dessen rot-brauner Urlaubsbart ihn noch gefährlicher wirken ließ". Daraus folgt zweierlei. Erstens, interessant für jüngere Leser: Karl-Heinz Rummenigge hatte mal rot-braunes Haar. Zweitens: Früher, als der FC Bayern noch in der Bundesliga verlor, war der Urlaubsbart auch schon keine gute Sache.

Der Urlaubsbart als saisonal bedingte phänotypische Auffälligkeit ist kein Trend, sondern ungefähr so alt wie Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß zusammen. Seit Jahrzehnten kehren gegen Ende des Sommers viele eben noch urlaubende Männer relaxed grinsend und bebartet zurück an ihre Schreibtische (zorniges Funkeln der Augen stellt sich erst nach ein paar Tagen und situationsabhängig ein), ebenso lange gibt es zur Sinnhaftigkeit des Urlaubsbartes unterschiedliche Auffassungen. Er kann Zustimmung auslösen, sogar "parteiübergreifend, von Frauen und Männern", wie der nun graubärtige baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann dieser Tage feststellte. Aber auch Kritik: Markus Söder fragte vor ein paar Jahren seine Facebook-Follower, ob er sich im Urlaub einen Bart stehen lassen solle, und stellte dazu ein Bild von sich mit George-Michael-Gedächtnisbart. "Bitte um wichtige politische Themen kümmern", antworteten die Follower.

Köpcke trieb das mit dem Urlaubsbart auf die Spitze

Der Urlaubsbart kann sogar Empörung hervorrufen, wie 1974, als der allseits geschätzte, wenn nicht verehrte Tagesschau-Sprecher Karl-Heinz Köpcke mit einem ebensolchen auf die Bildschirme zurückkehrte. Das war zu einer Zeit, als man die Ergebnisse des FC Bayern noch nicht googeln konnte und glattrasierte Gesichter so etwas wie das Antlitz der Anständigen waren. Köpcke trieb das mit dem Urlaubsbart auf die Spitze: Er trug Urlaubsschnauzer. Die Fernsehzuschauer protestierten (in Briefform und/oder telefonisch), Köpcke musste bald zum Rasierer greifen.

Richtig so!, möchte man jenen Fernsehzuschauern zurufen. Der Urlaubsbart mag Ausdruck von Freiheit sein, schon klar, der Mann lehnt sich auf gegen die Vorgänge des Alltags. Er lässt wuchern, um zu vergessen. Allerdings wäscht er sich ja weiterhin, er zieht sich weiterhin jeden Morgen an, weshalb die Frage nicht von der Hand zu weisen ist, weshalb Mann als Ausweis der Erholung eine Gesichtsbehaarung braucht wie 21-jährige Backpacker auf Australien-Trip beziehungsweise Paul Breitner.

Gelobt sei also der Mann, der vergangene Woche auf dem Campingplatz in Italien jeden Morgen im Waschhäuschen stand und sich glattrasierte, mit Rasierschaum und größtmöglicher Ruhe. Er sah gut aus, richtig erholt.

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SZ vom 04.09.2018/fzg/eca
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