ModetrendAuf die Spitze!

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Intrigen, Ehrgeiz und große Bühne: Die neue Amazon-Serie  ÉTOILE befeuert auch den Modetrend des „Ballet-Core“.
Intrigen, Ehrgeiz und große Bühne: Die neue Amazon-Serie  ÉTOILE befeuert auch den Modetrend des „Ballet-Core“. (Foto: Philippe Antonello/Courtesy of Philippe Antonello)

Diesen Sommer ist es wieder besonders auffällig – Ballett und Mode inspirieren sich gegenseitig. Über eine künstlerische Allianz, die auch ihre Schattenseiten hat.

Von Maja Goertz

Wickeljacken über Bodys, Stulpen zu Tüllröcken, viel Weiß und Rosa oder pastellig, puderig, zart. Diese Mischung charakterisiert in diesem Sommer den „Ballet Core“, bei dem Trainingskleidung, Bühnenkostüme und allgemein das Lebensgefühl von Ballerinen als modische Inspiration dienen – und der zugleich mit sportlichem Lifestyle und weiblichen Idealen korrespondiert.

Zunächst wirkte der Ballett-Hype wie einer der schnelllebigen Mikro-Trends, die so bald wieder in Vergessenheit geraten, wie sie bekannt werden (wer erinnert sich schon noch an die Mob-Wife-Ästhetik mit riesigen Pelzmänteln oder die Granola-Girls im Bergsteiger-but make it fashion-Outfit?). Tatsächlich aber ist der Ballettstil zu einer ziemlich umfassenden Tendenz auf den Laufstegen geworden – und beschäftigt die Mode schon seit Jahrzehnten regelmäßig, aber dazu später mehr.

Bei MiuMiu zeigten die Models bei der Frühjahrskollektion 2025  Layering-Looks, die an den typischen Trainingsstil von Tänzerinnen erinnern: Pullover über Langarmshirts über Bodys, Stulpen über Leggings über Strumpfhosen. Derlei ergibt im sportlichen Kontext durchaus Sinn: Wärmen sich die Tänzerinnen auf, legen sie Schicht um Schicht wieder ab. Für die spielerische und natürliche Eleganz, die in diesem Prozess und in diesem Look liegt, werden Ballerinen seit jeher bewundert. Noch expliziter sind die Anspielungen auf die Tanzwelt in den aktuellen Entwürfen von Simone Rocha oder Yuhan Wang, mit hellen und ausladenden Tüllröcken, die stark an Tutus erinnern. Bei Ferragamo stand dann gleich eine gesamte aktuelle Kollektion unter einem Ballett-Motto, mit bunten Strumpfhosen und Leotards in allen Varianten, dazu Schuhe mit um die Knöchel gewickelten Satinbändern. So ähnlich ist auch das neue Modell „Cassia Lace up“ von Louboutin designt, inklusive der typisch abgeflachten Schuhkappe, auf der Ballerinen beim Spitzentanz stehen.

Immer in Pose: aktuelle Kampagne von Puma x Voo.
Immer in Pose: aktuelle Kampagne von Puma x Voo. (Foto: Timothy Schaumburg/Karla Otto/Voo/Puma)

Auch jenseits der großen Luxuslabels ist der Tanztrend präsent. Der eher handfeste Sportartikelhersteller Puma etwa brachte schon 2023 eine erste Ballett-Kollektion auf den Markt, richtig mit Trainingskleidung und Varianten einer Sneaker-Ballerina-Fusion. Anfang Mai folgte in Kooperation mit dem Voo Store ein Sondermodell aus der Linie „Speedcat Ballet“, der verspricht, so sportlich-bequem wie ein Sneaker und so elegant-feminin wie ein Ballerina-Schuh zu sein. Oder eben: ein Hauch von Ballerina-Chic für jede Frau, egal wie gelenkig.

Mittlerweile ist die Tanzmode so beliebt, dass sich dabei sogar Unterspielarten entwickelt haben: „Dark Ballet“, bei dem auf dunkle Farben und Smokey Eyes gesetzt wird, oder Kleidungsstücke, die nicht mehr explizit als Tanzmode durchgehen, aber einzelne Details daraus entlehnen, zum Beispiel Wickelungen an Blusen oder Kleidern.

Derartige Ballett-Referenzen, die zuletzt wieder verstärkt auftauchten, sind aber kein rein heutiges Phänomen. Die Inspirationsquelle Tanz hat modische Tradition – in beide Richtungen. Häufig arbeiteten Designer direkt mit Kompanien zusammen: Vivienne Westwood, die eigentlich für einen punkigen Stil steht, hat es genauso wie das Duo Viktor & Rolf schon mal getan. Valentino höchstpersönlich kehrte sogar eigens für eine Linie für das New York City Ballet aus dem Ruhestand zurück. Treffen sich die beiden Kunstformen Tanz und Mode, schaut die Fashion-Welt genau hin: Wie transportieren Modehäuser ihre Ideen auf die Bühne? Wie wirken das Ballett und die erzählten Geschichten auf die Entwürfe ein?

Besonders bekannt für ihre Ballett-Faszination ist Coco Chanel, die von den 1920er-Jahren an Kostüme für das Ballett der Pariser Oper entwarf. „Es ist immer besser, etwas wegzunehmen, als etwas hinzuzufügen. Denn nichts ist schöner als die Freiheit des Körpers“, soll sie in diesem Kontext gesagt haben. Dass sich die Tänzerinnen in ihren ersten Kreationen nicht ausreichend genug bewegen konnten und Änderungen nötig machten, entwickelte sich sogar zum Leitsatz ihrer Mode. Coco Chanel steht besonders für Kleidung, die schick, aber nicht unbequem war – etwa in Form der berühmten Abkehr vom Korsett. In diesem Sinne waren Ballerinen schon früh Vorbilder für ganz wörtlich befreite Frauen.

Auch der Designer Manfred Thierry Mugler leitete eine seiner Maximen vom Tanz ab: „Es ist das Ballett, das mich verstehen ließ, dass es ohne Technik keinen Künstler gibt.“ Schon 2020 kündeten einige seiner Kleidungsstücke das Comeback des Ballet Core an, allerdings in einer düsteren Variante, mit schwarzem Body und dunklen Nylonstrümpfen. Wie sehr Ballett fasziniert, zeigt immer wieder auch die TV- und Popkultur: Zuletzt erschein auf Amazon Prime die Serie „Étoile“ von der „Gilmore Girls“-Macherin Amy Sherman-Palladino, in der zwei Ballettkompanien die Hauptrollen spielen und mit New York und Paris eben auch zwei Modehauptstädte zur Kulisse werden.

Bereits in den 1930er-Jahren verkörperte Greta Garbo in der Verfilmung von „Menschen im Hotel“ eine Primaballerina – elegant, betörend und nervenkrank. Der Psychothriller „Black Swan“ aus dem Jahr 2010 schlägt in eine ähnliche Kerbe: Natalie Portman spielt eine erste Solistin, die bei „Schwanensee“-Proben zunehmend paranoid wird und sich schließlich in die Vorstellung hineinsteigert, ihre Konkurrentin zu töten. Solche und zig ähnliche Ballett-Storys spielen mit der ewigen Anziehung, die vom Ballett ausgeht und die bei Weitem nicht nur aus Tüll und Klavierklimpern besteht, sondern immer auch aus überstrenger Disziplin, Ehrgeiz und körperlicher Brutalität besteht. Der alte und zu Recht in Verruf geratene Spruch „Wer schön sein will, muss leiden“ trifft wohl auf keine Gruppe so sehr zu wie auf Ballerinen.

Was an ihnen bewundert wird – die scheinbare Mühelosigkeit und Leichtigkeit –, ist ja bekanntlich nur mit jahrelangem hartem Training – und häufig auch Schmerzen – möglich. Bilder, in denen Ballerinen ihre blutigen Spitzenschuhe zeigen, gehören ebenso fest zu diesem Sujet wie die dunkle Faszination, die bei jeder Primaballerina auf der Bühne mittanzt: So viel Anmut, so viel Poesie – aber eben auch so viel unsichtbare Qual. Kein Wunder, dass die Mode von diesem Kontrast – leiden für den Glamour – immer wieder künstlerisch fasziniert ist.

Szene aus der TV-Serie ÉTOILE bei Amazon Prime.
Szene aus der TV-Serie ÉTOILE bei Amazon Prime. (Foto: Courtesy of Philippe Antonello)

Noch eine andere Parallele zur Modewelt gibt es: Denn genauso wie das überlächelte Leiden gehören eben auch Konkurrenzkämpfe zur Ballett-Welt, in der es nicht nur die allerwenigsten zur Solistin schaffen, sondern bei der die Karrierezeit dann auch auf wenige Jahre begrenzt ist. So lange, wie der Körper die Strapazen aushält. Models und Designer kennen diese kurze Zeit im Scheinwerferlicht sehr gut.

Der Ballet Core heutiger Prägung fokussiert sich auf die positiven Seiten, auf weiche Stoffe und helle Farben. Jede Frau aber weiß, wofür diese Ballettreferenzen auch stehen: Kontrolle und Perfektion. Der Trend fügt sich damit in einen Wunsch nach Ordnung ein, in einer Welt, die zunehmend chaotisch erscheint. Zugleich schließt er an die Athleisure-Mode der vergangenen Jahre an, die auch schon Sportarten wie Tennis oder Pilates zur Stilvorlage gemacht hat und bei der immer auch Aspekte der weiblichen Selbstoptimierung eine Rolle spielten.

Damit knüpft der Ballett-Trend an ein anderes Fashion-Comeback an, das von vielen eher mit Sorge beobachtet wird: sehr dünn sein. Auf Social Media häufen sich derzeit wieder Abnehmtipps unter Hashtags wie #SkinnyTok. Ein besonders schlankes Schönheitsideal, wie es in den 2000er-Jahren omnipräsent war, kommt wieder zurück, nach den Jahren der allgemeinen „Body Positivity“, in der es auch zunehmend Frauen ohne 90-60-90 Maße auf den Laufsteg und in die Öffentlichkeit geschafft haben. Die gesamte Ballett-Ästhetik ist natürlich ebenfalls auf sehr schlanke Körper ausgelegt – Tänzerinnen müssen, so das Ideal, schmal und leicht sein, ihre Muskeln straff und sehnig, das Gesamtbild der Frau: grazil und filigran, aber trotzdem voller Power.

Bislang bleibt Ballett übrigens weiblich besetzt, nicht nur in der Mode: „Ballett ist Frau“, hat George Balanchine, einer der wichtigsten Choreografen des 20. Jahrhunderts, einmal gesagt. Die Strömung nun reiht sich in aktuelle hyperfeminine-Trends ein: die „Soft Girls“, empathisch, gekleidet in Buttergelb und immer nett drauf, die perfektionistisch-beigen „Clean Girls“ oder den knallpinken „Barbie Core“. So wie diese Bewegungen beschränkt sich auch der Ballet Core nicht nur auf einzelne Kleidungsstücke, es schwingt eben auch immer eine ganze Lebensphilosophie mit.

Insbesondere auf Tiktok wird der Stil ganzheitlich ausgeleuchtet, mit Tutorials zu den passenden Frisuren (strenge, mit sehr viel Haarspray in Form gehaltene Dutts), Make-up (dezent, mit Mattierungspuder und Rouge) oder auch damit, Ballett als neue Freizeitaktivität auszuprobieren. Nicht nur, dass Hobbys heute sowieso schon zum Statussymbol geworden sind – es schwingt immer auch mit: Es ist nie zu spät, sich einen Mädchentraum zu erfüllen.

All diese Girl-Trends eint, dass sie „typisch weibliche“ Vorlieben, getunkt in Glitzer und Rosatöne aller Schattierungen, offensiv in den Vordergrund stellen. Das hat durchaus ein emanzipatorisches Potenzial: weiblich besetzte Interessen nicht als minderwertig abzustempeln, sondern sie zu zelebrieren. Zugleich werden damit aber auch alte Stereotype bedient. An der Ballettmode zeigt sich das leider besonders deutlich, dabei ist es egal, ob die Trägerinnen schon mal an der Stange standen und Pliés geübt haben, es gilt: Wer Ballet Core trägt, behält die Contenance, wer Ballett Core trägt, lächelt über alles hinweg, wer Ballet Core trägt, läuft auf Zehenspitzen – wortwörtlich und im übertragenen Sinne.

„Ballett ist gut, weil es dich aufrecht stehen lässt“, sagte Carine Roitfeld einmal, ehemalige Chefredakteurin der französischen Vogue und ebenfalls große Tanz-Liebhaberin. Haltung einnehmen, den Rücken durchstrecken, das ist ein Grundelement des Tanzes, aber auch unabdingbar, wenn es darum geht, Mode in Szene zu setzen. Vielleicht wäre es aber auch die beste Alltagsbegleiterscheinung des Ballett-Trends: Eine aufrechte Haltung ist heute für uns alle schließlich wichtiger denn je.

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