Süddeutsche Zeitung

Ladies & Gentlemen:In aller Bescheidenheit

Die Woche der Entscheidung in Berlin hat gezeigt: Annalena Baerbock und Armin Laschet üben modisch lieber Zurückhaltung - man will ja auf keinen Fall die Wähler erschrecken.

Von Jan Kedves und Julia Werner

Annalena Baerbock: Lass Blumen sprechen

Der weibliche Enthusiasmus auf Social Media wegen Annalena Baerbock ist so riesig, dass man meinen könnte, wir hätten in den vergangenen 15 Jahren keine Frau im Kanzleramt gehabt. Ihre Kandidatur scheint auf den feministischen Stolz belebend zu wirken - denn sie ist eine von uns. Gerade mal 40, berufstätige Mutter, mitten im Leben eben, und Mode ist ihr nicht egal. Sie trägt gerne Lederjacken, spitze Stiefel oder auch mal Blumenkleider. Das alles ist nie superteuer, sondern immer innerhalb des in Deutschland akzeptablen Kleiderbudgets. Ihr Look ist perfekte Innenpolitik: nicht oll, aber auch nicht hypermodern, also so wie der der meisten Frauen in klassischen Grünwählervierteln. Bei der Verkündung ihrer Kandidatur durch den anmutigen Robert Habeck wählte sie Pumps, die man in landläufigem Modedeutsch als frech bezeichnen würde - Rot mit pinkem Akzent. Dass es vorteilhaftere Schuhe gegeben hätte, ist Nebensache. Das feminine Wickelkleid in Midilänge ist die wichtigere Botschaft, denn die Kandidatur der Grünen-Chefin steht für Aufbruch und Veränderung. Powerdressing in Form eines Hosenanzugs hätte nach altbackenem Machtanspruch ausgesehen. Baerbock sollte ihren femininen Stil ohnehin nicht irgendwelchen männlich geprägten Dresscodes für das mögliche zukünftige Amt opfern: Es ist so was von Zeit für Blümchenprints beim Besuch im Weißen Haus! Nur die Qualität ihrer Kleider sollte dann ein bisschen hochwertiger, respektvoller, außenpolitischer werden. In anderen Ländern kennt man das vernünftige Kleiderbudget nämlich nicht.

Armin Laschet: Weiter wie immer

Man soll ja nicht vorgreifen, aber was die Garderobe angeht, hat Armin Laschet, der Kanzlerkandidat der Union, schon jetzt gegen Annalena Baerbock verloren. Der 60-jährige "König der Gremien" (ARD) sieht aus wie jemand, der tunlichst vermeiden will, mit seinem Aussehen irgendeinen Standpunkt zu beziehen. Er zieht sich an, als würde er sich von jemandem morgens das korrekte Outfit rauslegen lassen. Anders formuliert: Er signalisiert, dass er Gewichtigeres zu tun hat, als an so etwas wie persönlichen Stil zu denken. Bloß nicht anecken! Also läuft er herum wie viele andere Träger des standardisierten Männer-Chefanzugs mit Krawatte und eingebautem Geltungsdrang. Ist es nicht komisch, dass Politikerinnen, wenn sie mal etwas Zeit in eigene Ideen beim Aussehen investieren (siehe oben), dann bei der Arbeit aber auch gar nicht weniger gebacken bekommen als die Männer? Laschet bringt nicht einmal auf der Nase irgendeinen Gestaltungswillen zum Ausdruck. Seine Brille: randlos. Modell Sehhilfe, die behauptet, gar nicht da zu sein. Chance vertan. Nur wenn das Handelsblatt zur Jahrestagung "Zukunft Stahl" lädt, dann lässt der Aachener mal die Krawatte weg und den obersten Hemdknopf auf: hui! Bringt das schon frischen Wind in die Politik, vermittelt es: Wir schaffen den klimaneutralen Umbau der Industrie oder irgendetwas? Bestimmt nicht. Das Lustigste daran ist, dass sein Sohn, Joe Laschet, Mode-Influencer ist oder sein will. Falls er mal versucht haben sollte, seinem Vater Stil-Tipps zu geben: Armin Laschet scheint sehr beratungsresistent zu sein.

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