Auto-Trend SUV:Das wird man ja wohl noch fahren dürfen!

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Verteufelte SUVs: ´Man muss genauer hinschauen"

Im Mittelpunkt einer kontroversen Debatte: der SUV.

(Foto: dpa-tmn)

Bullig, protzig, hochmotorisiert: Kein Auto ist so umstritten wie der Familiengeländewagen - und keins verkauft sich besser. Warum wollen bloß so vielen Menschen so ein Ding fahren? Ein Selbstversuch.

Von Jan Stremmel

Nach zwei Tagen hat der Wagen gewonnen. Ich zimmere die A9 runter, linke Spur, da schert ein silberner Kombi vor mir ein. In den Rückspiegel gucke ich zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr. Wer 225 Kilometer pro Stunde fährt, muss nicht mit vielen Überraschungen von hinten rechnen. Aber vor mir mit 150 in die Überholspur ziehen? Ich knurre, obwohl ich nie knurre. Ich ziehe den Hebel für die Lichthupe, obwohl ich nie die Lichthupe betätige. Ich bin ein rücksichtsloser Arsch. Das Auto hat gesiegt.

Mit den ersten Ankündigungen zur IAA hatte es angefangen. Die Automesse startet am Donnerstag in Frankfurt am Main, die Branche zeigt dort, was sie sich im vorigen Jahr ausgedacht hat, Schönes, Verrücktes, Visionäres. Ein Blick in die Zukunft. Aber in diesem Jahr wirkt das Programm eher wie ein Blick in eine Parallelwelt. Eine Welt, in der Kraftstoff in unendlichen Mengen zur Verfügung steht, wo die Straßen breit sind und alle Menschen an steilen Schotterpisten wohnen. Die Autos der Zukunft sind bullig, protzig, hochmotorisiert. Was sich die Branche ausgedacht hat, sind: viele, viele neue SUVs.

Dabei sind die, wie inzwischen echt jeder weiß, viel zu groß und viel zu durstig. Für das Jahr 2015. Aber natürlich schon gleich dreimal für ein Land, das seit Jahren an einer sogenannten Energiewende arbeitet, in dem Elektro-Autos als großes Ding gelten, in dem man traditionell über "die Amis" in ihren "Riesenkisten" spöttelt und in dem man beim Kauf eines Fernbus-Tickets auf Wunsch 50 Cent extra zahlen darf, um "klimaneutral" zu reisen. Und trotzdem erklärte Daimler-Chef Dieter Zetsche dieses Jahr schon im Januar zum "Jahr des SUV". Die Deutschen haben nämlich im vergangenen Jahr 540 000 Stück gekauft - fast jeder fünfte verkaufte Wagen ist heutzutage ein Sport Utility Vehicle, und es werden immer noch mehr.

SUVs blöd zu finden ist schon so lange in Mode, dass es in Wahrheit natürlich superlangweilig ist. Der Yuppie, der - haha - Schlamm-Spray auf die frisch gewachsten Kotflügel aufträgt! Die Mutti, die - höhö - mit Allradantrieb zum Kindergarten fährt und in der zweiten Reihe parkt! Der Hass auf SUVs ist längst selbst ein Klischee. Interessantere Frage: Warum will dann immer noch jeder die Dinger? Und erschließt sich diese Faszination jemandem, der sonst eher nichts mit Autos zu tun hat?

"Bekenntnis zur dicken Hose"

Ich hole mir also ein SUV, einen BMW X6, eine der absurdesten Spielarten des Trends: Mischung aus Coupé und Geländewagen. Gemütliches Interieur, Achtgang-Automatik, aber Tankdeckel knapp unter Brustwarzenhöhe. Ein "Zivil-Panzer" (Welt), ein "Bekenntnis zur dicken Hose" (Focus Online). Inzwischen hat ja jeder Hersteller in jeder Klasse eines. Auf der IAA stellen jetzt auch noch Bentley und Jaguar ihre ersten SUVs vor. Die haben es offenbar als Letzte verstanden: Flache Premium-Autos interessieren keinen Mensch mehr. Höhersitzen ist das neue Tieferlegen.

Typische Radfahrer-Fragen: Wird man automatisch ein Arsch, wenn man so ein Ding fährt? Oder ist es umgekehrt - und man muss eine bestimmte charakterliche Dickhosigkeit mitbringen, um ein SUV mit Genuss zu fahren? Ist, mit anderen Worten, jeder für den Zauber des Stadtgeländeautos empfänglich oder perlt die Faszination an einem ab, der sonst nur Rad fährt?

18 948 Elektroautos

gab es zu Jahresbeginn in Deutschland. Das ist sehr wenig im Vergleich zu den 44,4 Millionen insgesamt zugelassenen Pkw. Es ist aber auch sehr wenig gemessen am Ziel der Bundesregierung von 2010, eine "Energiewende auf der Straße" zu vollbringen. Bis 2020 wünscht sich Angela Merkel eine Million deutsche Elektroautos. Dass das klappt, halten Experten für so gut wie unmöglich. Die Fahrzeuge sind vergleichsweise teuer, haben eine Reichweite von durchschnittlich gerade mal 150 Kilometern - und vor allem auf dem Land fehlen Ladestationen. Die Automobilindustrie verlangt deshalb mehr staatliche Förderung, zum Beispiel eine Kaufprämie oder Steuernachlässe.

Zunächst ähnelt der Zauber des SUV dem Zauber eines Luftkissenboots. Verglichen mit einem Mittelklassewagen fühlt es sich an, als fahre man auf ein bis drei Weichbodenmatten durch die Stadt. Allerdings piepst ständig der Parkassistent, um mich vor Fußgängern, Radfahrern, Hunden und geparkten Autos zu warnen, an denen ich mich vorbeizwänge. Eher störend - andererseits verstehe ich nach 30 Metern durch mein Viertel die fortgeschrittene Abgewetztheit des Autos, das erst ein Jahr alt ist.

Laut Vertrag hat mein Mietwagen bei Übergabe: einen Kratzer an der Stoßstange vorne, einen auf der Motorhaube, einen auf dem Kotflügel vorne, drei an der Tür vorne (2x rechts, 1x links), zwei am Kotflügel hinten, zwei an der Tür hinten, einen am Radlauf hinten, eine Delle an der Tür vorne und zwei Steinschläge. So müssen Bundeswehr-Trucks aus Afghanistan zurückkommen. Wer beim Mietwagen auf dicke Hose Wert legt, neigt offenbar auch parktechnisch zur Selbstüberschätzung.

Zwischenfazit nach einem Tag: Joah. 258 PS fahren sich angenehm. Als ich abends eine Parklücke mit den nötigen 4,90 Metern finde, liegt die so weit weg von meiner Wohnung, dass ich die Tram zurück nehmen muss. Erkenntnisgewinn bisher: überschaubar.

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