Ausstellung:Körper-Kunst

Balenciaga: Shaping Fashion - Ausstellung im V&A Museum

Moderner Klassiker: Das römische Model Alberta Tiburzi in Balenciagas "Envelope"-Kleid von 1967.

(Foto: V&A Museum)

Strenge Eleganz: Der Spanier Cristóbal Balenciaga revolutionierte die Mode des 20. Jahrhunderts.

Von Alexander Menden

Als Cristóbal Balenciaga 1968 mit 73 Jahren sein Pariser Atelier schloss, war Mona von Bismarck untröstlich. Die amerikanische Multimillionärin war Kundin bei Balenciaga gewesen, seit er sich mehr als drei Jahrzehnte zuvor in der französischen Hauptstadt niedergelassen hatte. In einer Saison hatte sie 80 Kleider bei ihm gekauft. Vogue-Chefin Diana Vreeland, die bei Bismarck zu Besuch war, als die Nachricht sie erreichte, erzählte später: "Mona verließ drei Tage lang ihr Zimmer nicht."

Nicht jede Kundin dürfte so intensiv getrauert haben wie Bismarck, die sich sogar Shorts für die Gartenarbeit auf Capri bei ihrem Lieblings-Couturier bestellte. Aber Balenciagas Rückzug aus dem Modegeschäft war tatsächlich das Ende einer Ära. Der Maestro trat ab. "Haute Couture ist wie ein Orchester", sagte Christian Dior einmal. "Balenciaga ist der Dirigent, wir anderen Couturiers sind die Musiker und folgen seiner Anleitung." Dieses Zitat ist auch der Ausstellung vorangestellt, die das Londoner Victoria and Albert Museum (V&A) jetzt dem Schaffen des Spaniers gewidmet hat.

Der Maestro war heikel, trennte ganze Kleider auf - und nähte sie persönlich neu zusammen

Die Schau ist keine klassische Retrospektive, sondern konzentriert sich auf die Fünfziger- und Sechzigerjahre, die Spät- und Blütephase von Balenciagas Schaffen also. Sie ist überschaubarer als etwa "Savage Beauty", die riesige Alexander-McQueen-Ausstellung vor zwei Jahren, und zum großen Teil aus dem Fundus des V&A bestückt. Aber das ist kein Nachteil. Man lernt hier zwar nichts grundlegend Neues über Balenciaga, doch das Ganze ist eine konzise, wunderbar gestaltete Erinnerung daran, welche Bedeutung die Zeitlosigkeit seines Stils für die Mode des 20. Jahrhunderts hatte.

Balenciagas halb genialisches, halb analytisches Verständnis für das skulpturale Formen von Stoffen entwickelte sich schon in der Kindheit: Im baskischen Küstenstädtchen Getaria - sein Vater war Fischer - schaute er seiner Mutter, einer Schneiderin, bei der Arbeit zu. Mit zwölf Jahren begann er eine Schneiderlehre, und 1919, da war Balenciaga 24, eröffnete er seine eigene Boutique in San Sebastian. Bald folgten weitere in Barcelona und Madrid, wo das Königshaus zu seinen Kunden zählte. Der spanische Bürgerkrieg veranlasste den Umzug nach Paris, wo er 1937 sein Atelier einrichtete. Was dann folgte, war nicht weniger als eine Moderevolution, und zwar mehrfach. Mit der Popularisierung des Babydoll-Kleides oder der "Empire Line", mit seinen manchmal strengen Entwürfen für selbstbewusste Frauen stellte Balenciaga die Vorstellung von Eleganz und Silhouette auf den Kopf.

Die Anfangsjahrzehnte mit den Rückgriffen auf Details traditioneller spanischer Tracht, etwa die Mantilla, werden in London nur gestreift. Das älteste Stück von 1912, ein schwarzes Kostüm aus Wolle und Seide, ist mit dem knochenverstärkten Spitzenkragen ganz dem 19. Jahrhundert verpflichtet. Was man schon bei den frühen Modellen erkennt, ist die selbst für Haute-Couture-Stücke atemberaubende Präzision, mit der sie gearbeitet sind. Ein guter Couturier, so sah das Balenciaga, musste Architekt, Bildhauer, Maler, Musiker und Philosoph in einem sein, um bei allen Arbeitsschritten höchste Standards zu wahren: vom Entwurf über die Wahl der Stoffe, Zuschnitt und Verarbeitung bis zur Auswahl der Accessoires. Im Gegensatz zu den meisten anderen Modeschöpfern war Balenciaga selbst in der Lage, bei einem Modell Hand anzulegen. Nicht selten nahm er Kleider auseinander, die seinen Ansprüchen nicht genügten, und nähte sie persönlich wieder zusammen.

Jackie Kennedy machte den flachen Pillbox-Hut auf der ganzen Welt populär

Im Laufe der Pariser Jahre werden seine Entwürfe immer reduzierter. Das heißt nicht, dass ihr Effekt nicht spektakulär bliebe. Ein rotes Abendkleid aus Seidentaft von 1955 bauscht sich dramatisch unter der Taille; der halbkreisförmig geschnittene Mantel, den Balenciaga ein Jahr darauf für Pauline de Rothschild anfertigte, ist eine Kaskade aus schwarzen Spitzenrüschen. Wie raffiniert dabei gewünschte Effekte erzielt werden, verraten Röntgenaufnahmen einiger Kleider, die der Künstler Nick Veasey eigens für die Londoner Ausstellung angefertigt hat: Kleine Gewichte, dezent im Saum verteilt, geben auch leichtesten Stoffen die nötige Schwere und imposanten Schwung.

Spätestens in den Fünfzigerjahren wurde Cristóbal Balenciaga - der übrigens nie dem französischen Verband Chambre Syndicale de la Haute Couture beitrat - von anderen Couturiers wie Dior oder seinem großen Bewunderer Hubert de Givenchy als Primus inter Pares anerkannt. Balenciaga, der Gralshüter der Eleganz. Seine Werkstatt glich damals, wenn man seinem Zuschneider André Courrèges glauben darf, der Schreibstube eines Klosters. "Reinweiß, schmucklos und sehr still - in einem Raum mit 50 Menschen konnte man eine Fliege summen hören."

Was dort entstand, trug Grace Kelly ebenso wie Ava Gardner (ihrem Nachlass verdankt das V&A einen Großteil seines Balenciaga-Bestandes), Audrey Hepburn liebte die Entwürfe des Spaniers genauso wie Jackie Kennedy. In Zeiten der Trumpokratie ist es fast rührend zu erfahren, dass Präsident John F. Kennedy so besorgt war, die hohen Preise für die Garderobe seiner Frau könnten in der Öffentlichkeit schlecht ankommen, dass sein Vater sie schließlich privat bezahlte. Jackie war es auch, die Balenciagas Pillbox, den flachen Pillendosenhut, populär machte.

Was Balenciaga in besonderer Weise auszeichnete, war seine Wille zur Neuerung. Noch 1967, ein Jahr vor seinem selbstgewählten Karriereende, kulminierten seine modischen Experimente, die immer gewagtere Abstraktion des Körpers in einer seiner berühmtesten Schöpfungen: dem Envelope-Cocktailkleid. Mit seiner umgekehrten Kegelform und den vier dramatisch von den Schultern wegstehenden Organzafalten ist es weniger ein Kleidungsstück (es ist unbequem und unpraktisch) als ein Stück angewandter Kunst. Es war der Höhe- und Schlusspunkt einer von epochemachender Kreativität geprägten Laufbahn.

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