Augustin Teboul auf der Fashion Week Berlin:Zu Gast im Roboterrocknrollland

Berlin Fashion Week - Augustin Teboul - Offsite Show - backstage

Annelie Augustin und Odély Teboul haben gezeigt, wie ihre Phantasiewesen aussehen.

(Foto: dpa)

Sci-Fi-Kriegerinnen, die verstörend zucken, vorzügliche Leichen aus Pailletten und Leder: Das Berliner Designerduo Augustin Teboul macht Mode wie Kunst. Zu Besuch in ihrem düsteren Utopia.

Von Lena Jakat, Berlin

Der cadavre exquis, die vorzügliche Leiche, hat den Kopf einer indischen Prinzessin, die Brust eines Fischerjungen und die Beine eines Motorradfahrers; changiert zwischen Glitzerperlen, Netz und Leder. Cadavre exquis so heißt jenes weit verbreitete Faltspiel, bei dem jeder ein Körperteil zeichnet, das Blatt nach hinten knickt und weiterreicht, sodass am Ende ein Fantasiewesen entsteht. Genauso wie dieses, einst von Surrealisten erfundene Spiel funktioniert das Designerduo Augustin Teboul, wie sie selbst sagen. An diesem Donnerstag haben Annelie Augustin und Odély Teboul in Berlin gezeigt, wie ihre Fantasiewesen im Frühjahr/Sommer 2015 aussehen werden. Starr wie Roboterkriegerinnen aus einer düsteren Zukunft stehen Models in strenger Formation zwischen zwei Laufstegen, die zu einem V zusammenlaufen. Die Mädchen tragen Spitze, Leder, Paillettenapplikationen. Vor allem aber tragen sie: Schwarz.

Auf einer Skala von Alltagsmode bis Kunst ist die exzentrische, stets in Schwarz gehaltene Mode des Berliner Labels eher an letzterem Ende anzusiedeln. Ob sie sich auch als Künstlerinnen verstehen? "Ich glaube, das wäre anmaßend", sagt Odély Teboul. "Aber wir haben schon einen starken Hang zu künstlerischen Elementen." Die dunkelhaarige Französin antwortet spontan, unterstreicht ihre Worte mit tanzenden Händen und wirkt so ziemlich exakt wie das Gegenteil ihrer Geschäftspartnerin. Die blonde, zurückhaltende Deutsche ergänzt sehr ruhig: "Die Herausforderung besteht darin, den künstlerischen Anspruch kommerziell umzusetzen." Kommerziell im Sinne von verkäuflich, natürlich, nicht von Mainstream. Die Gunst der Kommentatoren hat das Label, das 2009 seinen Anfang nahm, längst genauso gewonnen wie etliche Auszeichnungen - so zuletzt den Europapreis des International Woolmark Prize.

Wo später die Models strammstehen werden, herrscht eine Stunde vor der Präsentation noch Chaos. Stylisten klappen Biergarnituren zusammen, die als improvisierte Schminktische dienen. Auf einer der Bänke sitzt noch ein Model. In größter Eile entfernt jemand, vor ihr knieend, den Lack von ihren Zehennägeln. Taschen, Tüten, Jacken liegen zwischen Kabeln und Lautsprecherstativen. Odély Teboul selbst kratzt die Tesareste von der Wand, wo eben noch das Plakat mir der Übersicht aller Looks hing. Später wird nichts mehr das kühle, klare Ambiente stören.

Nicht nur die Art, auch der Ort lassen Augustins und Tebouls Models eher wie lebende Kunstwerke als wie Kleider wirken. Die Präsentation findet - wie immer fern des zentralen Laufstegs - in der Galerie Judin in einem Westberliner Hinterhof statt. In den kahlen weißen Räumen entwerfen die Designerinnen, die sich während einer gemeinsamen Studienzeit in London zusammengetan haben, eine schwarze Welt zwischen Wild-West-Chic, Rockerästhetik und postmoderner Romantik. Dystopie? Utopie?

"Ich glaube, es ist eine Utopie", sagt Teboul. "Da ist immer auch ein positives Element. "Shiny void" heißt die Kollektion, glänzende Leere. "Aus der Leere heraus lässt sich immer auch etwas erschaffen", erklärt die 29-Jährige. "Da ist Rock'n'Roll drin." Ihre Mode also auch als Flucht aus dem Alltag, hinein in den Roboterrock? Annelie Augustin schüttelt entschieden den Kopf. "Im Gegenteil. Mode und Stil sind für mich Ausdruck eines gefestigten Charakters, davon, dass sich jemand gefunden hat."

Der Blick des Models ist eigentümlich leer, die Haut des Mädchens nur bedeckt von einem großmaschigen Fischernetz. Ihre knochige Schulter zuckt im wummernden Geräuschteppich. Diese Mode folgt einem anderen Ansatz als dem, den viele Designer in Gesprächen für sich reklamieren: Mode zu machen, die selbstverständlich ist. Die zwar auffällt, sich aber unauffällig in den Alltag seiner Trägerinnen fügt. Die schwarzen Gewänder dieser Sci-Fi-Kriegerinnen tun das nicht; sie irritieren, überfordern vielleicht sogar. "Dann gilt es, das richtige Publikum zu finden", sagt Augustin. Sie richtet sich mit ihrer Mode an taffe, starke Frauen, die sich gerne zeigen. Frauen wie Lady Gaga, Madonna, Beth Ditto, die Kleider des Labels tragen. Frauen, die - wie Augustin sagt - "immer wieder neue Welten erschaffen". Spitzenlederwelten. Glitzerroboterrocknrollwelten. Fischernetzpaillettenwummerwelten.

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