Süddeutsche Zeitung

Architektur:Schmuck am Bau

Lange waren Ornamente in der Architektur verpönt. Nun kehrt die Liebe zum Dekor an vielen Fassaden zurück - auch wenn nicht alle Versuche geglückt sind.

Von Gerhard Matzig

In München steht ein Hofbräuhaus, das ein Bierpalast ist. Erbaut am Ende des 19. Jahrhunderts in seiner heutigen Neorenaissance-Gestalt und mitten in der Altstadt gelegen, repräsentiert der Bau mit seinem Fassadenschmuck das "schmucke Haus" als solches. Was die Kunst des Ornaments angeht, die im Historismus zu ihrem Höhepunkt und gleichzeitig zu einem orgiastischen Dekor-Delirium fand, ist das Hofbräuhaus wegweisend.

Es ist einerseits attraktiv und andererseits verkleidet wie ein Weihnachtsbaum. Versehen mit beinahe jedem Ornament, das die plastische Fassadenchirurgie kennt, tut das Haus nach Plänen von Max Littmann alles, um zu gefallen. Es will "schön" sein. Schlimm? Eben nicht. Man muss "schön" übrigens in Anführungszeichen setzen, weil der Architekt Klaus Heselhaus im Deutschen Architektenblatt geschrieben hat, dass "Architektur und Schönheit" Begriffe seien, "die erst mal nichts miteinander zu tun haben". Das ist hintergründig gedacht und befremdlich formuliert. Es irritiert, wenn man beim Architekten ein nach Möglichkeit schönes Haus bestellt, um dann zu erfahren, dass Architektur und Schönheit nichts miteinander zu tun haben. Erst mal. Wobei es eine verrückte Minderheit von Planern gibt, die das anders sieht. Das Wort von der schönen, gefälligen und insofern auch schmückend stadtverträglichen Architektur (solche Begriffe können in Fachkreisen allergische Reaktionen auslösen) hat oft toxische Qualitäten.

Schon der römische Architekt Vitruv nannte drei gleichrangige Aspekte guter Baukunst: Festigkeit (firmitas), Nützlichkeit (utilitas) und Schönheit (venustas). Wer heute noch immer eine schöne Architektur will, zwei Jahrtausende nach Vitruv und ein Jahrhundert nach Littmann, wirkt wie aus der Zeit gefallen.

"Ornament und Verbrechen" heißt ein berühmter Vortrag des Vordenkers Adolf Loos

Die Moderne hat mit ihren Moderne-Dogmen "less is more" und "form follows function" die Schönheit als närrisch und das Ornament als kriminell denunziert. Adolf Loos, ein Wegbereiter der Moderne, hielt einmal einen Vortrag mit dem Titel "Ornament und Verbrechen". Wer sein berühmtes "Loos-Haus" in Wien besucht, es ist ein frühes Fanal der Avantgarde - "Schmucklosigkeit", sollte jedoch den Kontext bedenken. Inmitten der Dissonanz einer kakofonischen Ornamentik des Historismus wird das dagegen fast nackte Haus zur Rettungsinsel für die überreizten Sinne. Die formal reduzierte Moderne war eine Antwort auf die architektonische Zuckerbäckerära und die Putzsucht der Stuckateure. Die Schmucklosigkeit wurde selbst zum Ornament.

Doch heute, da viele Bauten auf weniger anspruchsvolle Weise direkt in das "sinnliche Entzugskoma" führen und mitunter an "Insektizid-Siedereien" erinnern (Tom Wolfe), stellt sich die Frage nach dem Comeback des Ornaments. Inmitten der banal gewordenen Nudismen werden kreativ rhythmisierte Fassaden wieder zur Besonderheit. Auch deshalb lohnt ein Blick auf das nicht annähernd hofbräuhausartig aussehende Geschäftshaus am Oberanger in München.

Das Bürogebäude ist nur einen Spaziergang entfernt vom Bierpalast. Erbaut wurde es bis 2016 nach Plänen von Volker Staab. Davorstehend begreift man auf Anhieb das Ringen um einen Fassadenschmuck, der nicht gestrig, sondern heutig ist. Im Erdgeschoss schält sich das Haus noch ganz plan als Kind der reduzierten, schlicht und geradlinig organisierten Moderne aus dem Boden. In den Geschossen darüber wird aber raumplastisch ein abstrahiert ornamentales Muster sichtbar, zunehmend intensiv, das den floralen Fassadenschmuck der Nachbarschaft in die Gegenwart transformiert. So ist die Fassade von unten nach oben als Rückeroberungsgeschichte der Ornamentik lesbar. Unten schmucklos, dann zunehmend selbstbewusst.

Die Amsel, die ein Nest baut, bringt etwas Schönes und Funktionales hervor

Solche Versuche um eine Renaissance schmückender Elemente sind in Jurys, Jahrbüchern und an den Architekturschulen immer öfter und immer radikaler zu bemerken. Wie zuvor schon die Farbigkeit kehrt nun auch das Ornament zurück ins Stadtbild. Es fängt sogar an, massenwirksam zu erfreuen - aber gelegentlich zu erschrecken. Eben je nach der Qualität einer Schmuckkunst, die offenbar wieder mühsam erlernt werden muss. Früher kam das Vokabular der Ornamente oft aus einer Art Buchstabenkasten. Eine solche Formübereinkunft wäre zumindest dann hilfreich, wenn sich die Ornamentfindung als angestrengt theoretisch, nicht immer aber auch als ästhetisch trittfest erweist.

Architekten wie Volker Staab, Sauerbruch Hutton und Herzog & de Meuron experimentieren schon lange erfolgreich mit einer Architektur, die wieder sinnlich sein darf. In München gehört das Büro Hild und K Architekten zu den Pionieren einer gekonnt zeitgemäßen Ornamentik. Dionys Ottl, 55 Jahre alt, ist Mitgründer und Partner des weithin angesehenen und mit Preisen überschütteten Büros. In der Osterwoche erwischt man ihn am Telefon. Im Hintergrund ist eine emsige Amsel zu hören, die ihr Nest in einer Astgabel direkt vor dem Fenster von Ottls Wohnung baut. Ottl meint, das Nest sei funktional und schön in einem. Das müsse kein Widerspruch sein. Das Nest sei allerdings zu niedrig angelegt - beziehungsweise gerade richtig für den grimmigen Hof-Kater. Da könnte sich die architektonische Expertise noch als lebensrettend herausstellen.

Ottl hat an der Technischen Universität München studiert. Zu einer Zeit, da das Ornament noch als No-Go galt. "Genau das hat mich gereizt", erzählt er, "das Ornament als Theorie und Baupraxis befand sich damals in der Schmuddelecke der Architektur. Doch das hat sich geändert." Nur fünf Jahre nach dem Diplom 1995 konnte Ottl beispielsweise das Backstein-Relief für ein Privathaus in Aggstall nördlich von München entwerfen. Das Haus, das sich typologisch in den ländlichen Raum fügt, verblüfft mit einer korngelb geschlämmten, geometrisierten Ziegelfassade, die im Wechselspiel des Lichtes plastisch erstrahlt und so an traditionell verputzte, leicht unebene Mauerwerksflächen erinnert. Und natürlich an die alte Kunst des Ziegelmauerwerks, dem eine ganz eigene und logisch aus dem Material entwickelte Ornamentik innewohnt.

Das Haus in Aggstall wurde seinerzeit heftig debattiert in der Öffentlichkeit. Genau wie in Landshut ein Bushaltehäuschen (Wartehaus am Ländtorplatz) aus zeichenhaft ausgestanzten Cortenstahlblechen aus der gleichen Zeit und vom gleichen Büro. Beide Bauten haben das Thema Schmuck in ornamentlosen Zeiten geradezu tollkühn aufgegriffen. Es ist gut, wenn sich nun auch anderswo herumspricht, dass Baukunst und Schönheit einander nicht wie auseinandergelebte Ehepaare begegnen müssen.

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Quelle:
SZ vom 18.04.2020
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