Architektur in Schweden:Baumlanges Holzhaus

Lesezeit: 7 min

Eine Modell- Studie zum "Cederhuset", dem Zedernhaus. (Foto: General Architecture)

Rote Schwedenhäuser kennt man. Nun soll mitten in Stockholm das höchste Holzhaus der Welt entstehen. Ein Architektenbüro will das rustikale Holz großstadttauglich machen. Über einen Werkstoff, in dem manche Stadtplaner die Zukunft sehen.

Von Silke Bigalke

Man riecht das Harz, bevor man das Holz sieht. Der Geruch reicht über die Straße, durch Regen und Verkehr. Es riecht wie frisch geschnittene Fichte und Wald, wie Weihnachten, wie Papas Werkstatt. Der Geruch passt irgendwie nicht hierher, an diese hektische Straße in Sundbyberg, einem Vorort von Stockholm.

Dann sieht man die Häuser. Es sind zwei große Apartmentgebäude, acht Stockwerke hoch, Balkon über Balkon. Sie gelten als die weltweit höchsten Wohnhäuser, die ganz und gar aus Holz gebaut wurden. Den Titel werden sie bald verlieren. Doch er bleibt im Land.

Die Schweden haben ein besonderes Verhältnis zum Holz. Sie haben davon im Überfluss. Mehr als die Hälfte des Landes ist mit Bäumen bedeckt, mit Kiefern, Fichten, Birken. Der älteste Baum der Welt ist Schwede, eine Fichte namens Old Tjikko, 9550 und wohl noch ein paar Jahre alt. Aber es ist nicht nur der Wald. Man braucht keine zehn Minuten aus Stockholm herauszufahren, und da stehen sie, die typisch schwedischen Einfamilienhäuser, aus gelb, blau, weiß, meistens aber rot gestrichenem Holz.

Es ist dieses typische Falunrot, benannt nach dem schwedischen Ort Falun, einst Heimat einer bedeutenden Kupfermine. In Deutschland heißt die Farbe: Schwedenrot. So wie Holz-Fertighäuser Schwedenhäuser heißen. Sie sind zum Symbol geworden für eine heile Astrid-Lindgren-Welt, für Sommerferien, fürs Draußensein, für die einfachen Dinge. Sie sind zu einem Anti-Stadt-Symbol geworden.

Holz großstadttauglich machen

Aber selbst im holzaffinen Schweden schaffen es Holzhäuser selten in die In-nenstädte. Deren Herz besteht auch im hohen Norden hauptsächlich aus Stein, Stahl und Beton. Dazwischen würde Holz in Falunrot einfach komisch wirken. Ein Stockholmer Architektenbüro möchte den rustikalen Baustoff Holz nun jedoch großstadttauglich machen. Olof Grip und Josef Eder von General Architecture haben ein Hochhaus entworfen - hölzern vom Aufzugschacht bis zur Fassade. Mit 120 Wohnungen auf 13 Stockwerken soll es das nächste "höchste Holzhaus" der Welt werden.

"Weil es noch keine Holzhäuser dieser Größe gibt, mussten wir erst herausfinden, wie es aussehen könnte", sagt Grip. "Ein Holzhaus, das sich nicht seltsam anfühlt in der Innenstadt." Zu erklären, was genau sie sich haben einfallen lassen, fällt den beiden Architekten schwer.

Grip und Eder sitzen in ihrem Büro im Stockholmer Stadtteil Vasastan, nicht weit weg von dem Ort, wo ihr Hochhaus, das "Zedernhaus", stehen soll. Sie schieben große Papierbögen zwischen Kaffeetassen hin und her. Die Fotos zeigen alte Häuser, Holzhäuser, Häuser, die auf Pfählen stehen. Grip und Eder haben sich aber auch viele Stadthäuser aus Stein angesehen. Zur Konkurrenz dagegen haben sie nicht geschaut.

Um den Titel des höchsten Holzhauses der Welt haben sich auch schon andere beworben. Sie haben dabei jedoch immer auf Hilfsmittel zurückgegriffen, die nicht aus Holz waren, haben Beton mit eingebaut und die Außenwände verkleidet. Oft sieht man dann gar nicht mehr, dass man vor einer Holzkonstruktion steht. So wie beim "Stadthaus" in London (neun Etagen, Erd-geschoss aus Beton) oder beim Forte-Komplex in Melbourne (zehn Etagen, Erdgeschoss aus Beton).

Beim LifeCycle Tower im österreichischen Dornbirn (acht Etagen) haben die Architekten Holz und Beton für die Decken verwendet. Holz-Beton-Verbund nutzt auch der deutsche Architekt Tom Kaden, der 2008 das erste Holzhochhaus Europas in Berlin gebaut hat (sieben Etagen). Im norwegischen Bergen entstehen derzeit 14 Etagen aus Holzmodulen - "Treet" nennt sich der Bau, das ist Norwegisch für Baum. Auch er kommt nicht ohne Betondecken aus.

Die Stockholmer aber machen ernst: Kein Beton, kein Gips, kein Putz für die Fassade. Das Zedernhaus soll zeigen, was es ist: ganz und gar hölzern. Seinen Namen hat es von den Schindeln aus kanadischem Zedernholz, die das Hochhaus verkleiden werden. Es ist dieselbe Fassade wie bei den achtstöckigen Häusern, die in Sundbyberg schon stehen. Die Schindeln erinnern an die Schuppen eines Tieres, fühlen sich rau und warm an, zumindest wärmer als Stein. Sie sind ja auch noch ganz frisch. Eines der Häuser ist erst im September fertig geworden, das andere im Sommer 2013. Noch sieht die Zeder rötlich aus, aber mit der Zeit und dem Wetter wird sie grau werden, fast schwarz bei Regen.

Ungefähr so wird dann also auch das Zedernhaus im Stockholmer Zentrum aussehen, zwischen seinen Nachbarn aus Stahl und Beton. Es wird Teil des neuen Hightech-Viertels Hagastaden, das an die Innenstadt grenzt, alles ganz modern. Zwei Hochhausreihen sind hier geplant, dazwischen ein Parkstreifen. Die Planer haben dabei vom Central Park geträumt, von einer Skyline über den Baumwipfeln. Und mitten drin zwei hölzerne Türme. Gebaut wird ab 2016.

Wie aber schaffen es die Architekten, dass ihr Holz zwischen den modernen Hochhäusern nicht mittelalterlich wirkt? Unter den Fotos, die Grip und Eder zwischen sich hin und her schieben, ist auch das Bild eines typisch falunroten Schwedenhauses. Man achtet sonst kaum darauf, aber diese Häuser sind gar nicht völlig rot: Die weiß gestrichenen Kanten und Giebel sollen Säulen von Steinhäusern nachahmen, erklärt Grip. Bei ihrem Holzhaus haben sie etwas Ähnliches vor. Nur dass sie nicht von Nachahmen sprechen. Wenn man sie reden hört, wollen sie eher etwas zurückerobern.

Das Material hat einen großen Nachteil: Es brennt gut

Nach seiner Fertigstellung soll sich das 43 Meter hohe Gebäude aus Holz harmonisch in das Stockholmer Viertel Hagastaden einfügen. (Foto: General Architecture)

"Wenn wir uns die Steinhäuser in der Stadt anschauen, finden wir eine Menge Elemente, die eigentlich aus der früheren Holzarchitektur kommen", sagt Grip und zählt Säulen, Gesimse und Pfeiler auf. Für das Zedernhaus wollen sie Stein zurück in Holz verwandeln. Dicke Holzsäulen umgeben das erste Geschoss, wie bei einem griechischen Tempel. Holzpfeiler zieren den ersten und zweiten Stock. Das Dach ruht auf hölzernen Stützen.

Mag sein, dass all diese Elemente in grauer Vorzeit schon hölzerne Vorfahren hatten. Auf den Entwürfen und Modellen für das Zedernhaus erinnern sie aber tatsächlich eher an Steinhäuser des späten 19. oder frühen 20. Jahrhunderts, wie man sie etwa in New York oder Chicago findet. Dort haben sich die schwedischen Architekten inspirieren lassen, zum Beispiel vom amerikanischen Architekten Louis Sullivan. So passt ihr Zedernhaus dann auch in die Stockholmer Phantasie vom Central Park.

Bauherr ist, wie bei den Sundbyberg-Häusern, die Baufirma Folkhem, Volks-heim. Der Name weckt große Erwartungen, er beschrieb einst den schwedischen Wohlfahrtsstaat. Folkhem möchte mit sei-nen 50 Angestellten das weltweit führende Unternehmen für Holzhäuser werden.

Folkhem-Sprecherin Sandra Frank zählt die vielen Vorteile auf, die so ein Holzhaus hat. Hier kommt wieder der schwedische Wald ins Spiel: Er sorgt dafür, dass das Holz für eines der Häuser in Sundbyberg innerhalb von nur einer Minute nachgewachsen ist: Genug Rohstoff für 33 Wohnungen, 750 Kubikmeter Material. Folkhem hat das ausgerechnet. Während der Wald wächst, wandelt er Kohlendioxid in Sauerstoff um. So ein Holzhaus hat also auch noch eine tadellose CO₂-Bilanz.

Außerdem ist Holz leichter, aber genauso tragfähig wie Stahl. Und dazu wärmedämmend. Wer mit Holz baut, verbraucht weniger Energie als beim Betonbau. Ganz zu schweigen von der Energie, die das Haus freisetzt, wenn man es irgendwann wieder abreißt und die Reste einfach verbrennt. Auch das Aufbauen geht viel schneller. Die Wände für die Folkhem-Häuser stellt eine Firma in Nordschweden her, komplett mit Fenstern und Leitungen. Für das Zedern-Hochhaus werden sie 14 Meter lang und drei Meter hoch. Fertig geliefert, müssen sie nur noch zusammengesetzt werden, fast wie bei einem Fertighaus.

Holz hat aber auch einen entscheidenden Nachteil: Es brennt ganz gut. In Deutschland darf man Holzhäuser deswegen höchsten vier bis fünf Stockwerke hoch bauen. Wer darüber hinaus gehen will, braucht eine Sondergenehmigung. Er muss unter anderem nachweisen, dass sein Holzhaus Feuer genauso lange stand hält wie andere Gebäude. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern gilt die 90-Minuten-Regel. Solange muss ein brennendes Haus standhalten, bevor es zusammenbricht. Weil in Deutschland die Genehmigung auch von den Bauordnungen der einzelnen Bundesländer abhängt, ist die Lage kompliziert, sind die Anträge aufwendig und die Unsicherheiten groß. "Für viele Bauherren ist das abschreckend", sagt Martin Gräfe, Bauingenieur an der TU München, spezialisiert auf Holzbau und Brandschutz.

Technisch sei ein sicheres Holzhochhaus jedenfalls kein Problem. Gräfe rechnet vor: Holz brennt ganz kontrolliert ab, 0,7 Millimeter pro Minute. Ist ein Balken also zwei Zentimeter dicker, als er sein müsste, gewinnt man dadurch etwa 30 Minuten Zeit. "Stahl dagegen wird heiß und verliert irgendwann seine Tragfähigkeit", sagt Gräfe. Das sei schwieriger zu kalkulieren. Holzwände könne man zudem mit einer Gips-Verkleidung vor Feuer schützen.

Prenzlauer Berg, sieben Stockwerke

In Berlin hat Tom Kaden im Prinzip vorgemacht, was Folkhem nun in Stockholm plant: Er hat 2008 das allererste Holzhochhaus mitten in der Großstadt gebaut, Prenzlauer Berg, sieben Stockwerke. Kadens Decken bestehen aus Holz-Beton-Verbund, nicht nur wegen des Brandschutzes. "Wir mischen gerne", sagt der Architekt. So könne er die Vorteile beider Materialien nutzen. Beton macht die Decken dünner, das bedeutet auch höhere Räume für die Bewohner.

Das Berliner Hochhaus hat Kaden für eine private Baugemeinschaft entworfen. Seine Kunden beschreibt er als "A-Gruppe", Akademiker, Anwälte, Ärzte, Architekten. Menschen, die Biosupermärkte mögen und sie sich leisten können - genauso wie Holz: Möbel aus Holz, Kinderspielzeug aus Holz, Häuser aus Holz. Die baut Kaden schon seit 25 Jahren. Lange Zeit habe sich auf dem Gebiet nicht viel getan, sagt er. Sein Hochhaus allerdings habe immense Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Inzwischen hätten auch städtische Wohnungsbaugesellschaften die Vorteile von Holz entdeckt. "Der Holzbau in der Stadt geht gerade erst los", sagt Kaden.

In Stockholm geht er derweil in die nächste Runde. Dicke Wände sind für Folkhem kein Problem, solange nur alles Holz ist. Die Bauherren haben zwischen der Decke der einen und dem Fußboden der nächsten Wohnung sogar extra Luft gelassen, um den Schall zu dämmen. Eine Wohnung im dritten Stock steht leer, Sandra Frank schließt die Tür auf. Drinnen: Alles klinisch weiß, das Holz an Wänden und Decke ist hinter Putz versteckt. "Da waren wir nicht mutig genug", sagt Frank. Als sie das Haus vor fünf, sechs Jahren geplant haben, war Weiß modern, alles musste reduziert und schlicht sein. Holz? Viel zu provinziell. "Wir dachten, wir können nicht 60 Wohnungen verkaufen, die drinnen aussehen wie Ferienhäuser aus Holz", sagt Frank. Die Wohnungen in Sundbyberg sehen nun sehr edel aus. Holz scheint nur noch dort durch, wo die Wände durchbrochen sind. Türen und Fensterrahmen sind mit Holz verkleidet. Umgerechnet mehr als 630 000 Euro kosten die 124 Quadratmeter.

Beim Zedernhaus will Folkhem jetzt mutiger werden und auch in den Wohnungen mehr Holz zeigen. Die Baugesellschaft plant auch schon das nächste Holzhochhaus und überholt sich damit quasi selbst. Es soll in einem Vorort stehen und mit 22 Etagen noch viel höher werden als die 13 Stockwerke im Zentrum. Auch die Materialforschung geht weiter. Noch besser, als das gesamte Haus aus Holz zu bauen, ist nur, das gesamte Haus aus schwedischem Holz zu bauen, findet Folkhem. Ein weiteres Stadthaus soll deswegen nicht mit kanadischer Zeder, sondern mit der Rinde heimischer Bäume verkleidet werden. Über die Sorte wurde noch nicht entschieden, wahrscheinlich wird es Kiefer werden. Old Tjikko, die Fichte, der älteste Baum der Welt, kann aufatmen.

© SZ vom 03.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: