Süddeutsche Zeitung

Arabische und israelische Küche:Halb kalt aus der Theke, halb warm aus der Küche

Die Kochbücher von Yotam Ottolenghi sind seit Jahren fester Bestandteil in vielen Küchen. Unser Autor war in seinem Londoner Restaurant und hat gekostet.

Von Max Scharnigg

Der anglophile ist sicher einer der angenehmsten Aggregatszustände des deutschen Touristen: Mit seinem Tweed-Sakko und der ulkigen Schiebermütze, mit Barbourjacke, Cordhosen und Krawattenschal schlendert er stolz wie Earl Bobby durch London. Neben Tower Bridge und dem Nostalgie-Kaufhaus Fortnum & Mason ist Ottolenghi für viele dieser schüchternen Freunde des Empires in den vergangenen Jahren zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt aufgerückt - schon allein, weil es sich daheim so schön sagen lässt: Wir waren bei Ottolenghi! Das hat einen guten Klang, denn der charismatische Koch Yotam Ottolenghi hat mit seinen Kolumnen und Bestseller-Kochbüchern europaweit die levantinische Küche bekannt gemacht. Grob vereinfacht könnte man auch sagen, er hat uns Kichererbsen und Auberginen neu beigebracht.

Nicht alle aber, die seine Bücher begeistert verschenken, wissen, dass der nun seit Jahren omnipräsente Koch einmal in London mit kleinen Delis anfing und bis heute fünf solcher Läden bewirtschaftet, die immer ein Zwischending aus Lokal und Mitnahme-Theke sind. Trotz des lockeren To-go-Charakters sollte man rechtzeitig im Voraus reservieren, denn viele Ottolenghi-Fans und auch die Londoner selbst erleben gerne live, wie die Rezepte vom Meister eigentlich gedacht sind. Bei der Ottolenghi-Filiale in Spitalfields, gelegen mitten am noch halbwegs vibrierenden Übergang von Bankenhochhäusern zu pakistanischen Kleidermärkten, sitzt man in einer schlicht schönen Einrichtung aus hellem Holz und kann sehr angenehm das Treiben draußen beobachten.

Der professionell relaxte Kellner erläutert das Konzept der Karte. Es handelt sich dabei gänzlich um kleine Gerichte, halb kalt aus der Theke, halb warm aus der Küche. Man bestellt pro Person so zwei bis vier Sachen, jeder Teller kostet zwischen neun und 15 Euro und kommt irgendwann, schließlich wird Essen hier nicht als strenge Abfolge, sondern als lockeres Nebenbei verstanden. 16 Einträge verzeichnet die Karte an diesem Tag, jeden einzelnen will man sofort probieren. Erst mal muss es aber natürlich die Burrata-Kugel mit Rhabarber, Datteln und einem kleinen Hagelschaden aus karamellisiertem Schwarzkümmel sein. Das ist eines der Signature-Gerichte und man versteht schnell warum: Die Burrata hat eine Qualität, die man sonst nur in Süditalien bekommt. Hier aber wird der zerfließende Frischkäseteig von seiner ungewöhnlichen Begleitmannschaft noch perfekt akzentuiert, vor allem der süß-orientalische Schwarzkümmel gibt eine Note dazu, ohne die man fortan keine Burrata mehr essen möchte. Vorzeigegericht ist es auch deshalb, weil dabei Ottolenghis Philosophie so schön sichtbar wird: einfache, aber gewürzeffektive Herzensangelegenheiten. Teller, die das Produkt hochleben lassen und ein Fenster aufmachen, hinter dem der Mittlere Osten mal nicht Konfliktregion, sondern einzig Heimat für eine Allianz aus perfekten Genüssen ist.

Einmal alles zum Mitnehmen, bitte!

Der zweite Klassiker hier ist die geröstete Aubergine mit Mandeln und Chili. Der gewünscht lockere Plauderton bei Tisch wird von genau diesen Kleinigkeiten torpediert, denn sie reißen bei der ersten Gabel alle Aufmerksamkeit an sich. Die Ottolenghi-Version einer Baba Ghanoush ist jedenfalls meisterhaft ausgewogen, ohne jegliche Bitternis stattdessen genießt man eine übervolle, cremige Frucht, die viel Sonne gesehen hat, abgerundet mit etwas Tahin, kitzelnden Röstnoten und einer mildgrünen Kräutermischung. Ein simpler und dabei wirklich aufsehenerregender Teller. Wer je daran zweifelt, dass sich Vegetarier glücklich essen können, sollte bei Ottolenghi vorbei.

Mit solch' pflanzlicher Power kann das dünn und kalt aufgeschnittene English Beef in Folge nicht mithalten, das nur mit süßlichem Dressing aus Senf und Koriander beträufelt ist und keinen großen Eindruck hinterlässt. Als erstes warmes Tellerchen kommen mürbe short ribs vom Rind, die aufreizend langsam in eine Kichererbsen-Curry-Matrix zerfallen, garniert mit Palmkohl und Minze. Das Fleisch ist gut, aber wieder ist es vor allem das Gemüse, das uneitel glänzt. Der empfohlene Dabouki-Weißwein von Cremisan Wine Estate aus Bethlehem ist bis hierher ein sehr guter und politisch spannender Begleiter, das Prinzip der ewig anfliegenden Tellerchen verführerisch, man könnte ewig so weiterordern, schließlich sind die Gerichte leicht bekömmlich und die Portionen nur gerade so groß, dass man einen guten Eindruck bekommt. Also noch den gebratenen Oktopus mit Edamame und Sprossen. Da sind Jod, Umami, Röstaromen und Frühling auf jeder Gabel, ein kräftiges Geschmackskarussell, das sich nur eine Kritik gefallen lassen muss - es war immer noch zu wenig, um Ruhe einkehren zu lassen.

Wer bis an diesem Punkt das Gefühl hatte, vielleicht die Gerichte auch zu Hause irgendwann so hinzukriegen, lässt an der Dessert-Theke alle Hoffnung fahren. Herr Ottolenghi war zu Beginn seiner Karriere Patissier und hat aus dieser Zeit eine kapriziöse Auswahl an Küchlein, Törtchen, Pudding hinübergerettet. Einmal alles zum Mitnehmen, bitte! Nur gut, dass eine Barbourjacke so viele Taschen hat.

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SZ vom 15.04.2017/vbol
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