Süddeutsche Zeitung

Appartment-Stores:Shoppen nur nach Voranmeldung

Was tun, wenn durch Onlinekäufe immer mehr Läden schließen? Apartment-Stores eröffnen, die dem Kunden das Gefühl geben, ins Allerheiligste des Hausherrn vorgelassen zu werden.

Von Silke Wichert

Kein Schild an der Tür, keine Klingel. Mit Laufkundschaft rechnet in dieser Pariser Boutique unweit des Élysée-Palasts offensichtlich niemand. Wer sich im neuen "Society Room" umschauen möchte, muss vorher einen Termin vereinbaren. Bei Freunden steht man heutzutage ja auch nicht mehr unangemeldet auf der Matte. So soll auch das hübsche Backstein-Häuschen im Hinterhof verstanden werden: als eine Art Zuhause. Mit dem Unterschied, dass man dort alles kaufen kann, was einem gefällt.

Es gibt keine Preisschilder, aber alles ist käuflich. Die Alabaster-Lampe an der Decke im Flur, die goldenen Kommoden von Pierre Cardin, die Anzüge und Jacken des hauseigenen Labels im Schrank. Neulich waren die Besitzer Yvan und Fabrice mal kurzzeitig ohne Geschirr, weil das alte englische Porzellan bei einem Essen so gut ankam, dass ein Gast es sich einpacken ließ.

Der im Oktober eröffnete Society Room gehört zu einer neuen Art von Läden, die sich momentan in den großen Metropolen etablieren: "The Line" von Vanessa Traina in Los Angeles, "Alex Eagle Studio" in London, die Dependance des Labels "The Row" in New York. Genannt werden sie Apartment Stores, weil sie weniger wie klassische Geschäfte, sondern wie Wohnungen aussehen - von sehr geschmackssicheren, ordentlichen Leuten, versteht sich. Statt Reihen vollgestopfter Regale und der Ladentheke mit Registrierkasse soll die Atmosphäre zwischen Bett, Sofa und persönlichen Sachen gemütlicher, vor allem intimer sein. Als würde man in das Allerheiligste des Hausherrn vorgelassen.

Die italienische Agentur Nextatlas, die für Unternehmen soziale Netzwerke nach Trends durchforstet, sieht in Apartment Style Boutiques bereits eines der vielversprechenden Konzepte für die Zukunft von Mode- und Lifestylemarken. Während das Onlineshopping auch hierzulande von Jahr zu Jahr wächst, geht der Handelsverband Deutschland von einem Verschwinden von 50 000 Geschäften in den nächsten Jahren aus. Seit die Pariser Instanz "Colette", der berühmteste Concept Store der Welt, im Dezember zugemacht hat, scheint kein Laden mehr sicher. Und das, obwohl es dort exklusive Kooperationen mit Designern gab und kunstvolle Fotobände wie kleine Gadgets für jeden Geldbeutel.

Nicht überall liegt Ware, damit es wohnlicher und nicht zu kommerziell aussieht

"Die Art, wie wir einkaufen, hat sich fundamental geändert. Je mehr wir uns an das schnelle, zweidimensionale Shoppen am Bildschirm gewöhnen, desto mehr suchen wir zum Ausgleich wieder das besondere Erlebnis", glaubt Chris Glass, der seit September mit Partnern das "aptm" in Berlin betreibt. Eine 230 Quadratmeter große ehemalige Fabriketage im Stadtteil Wedding, komplett eingerichtet mit Bad, offener Küche und Wohnzimmer. Klar, solche Wohnlandschaften mit Zeitschriften auf dem Tisch und "Kunst" an den Wänden gibt es bei Ikea auch, aber dort sieht es am Ende doch nach Attrappe aus, während das aptm mit außergewöhnlichen Produkten und einer eigenwilligen Mischung an Stilen deutlich authentischer wirkt. Neben Topfpflanzen steht in dem Loft auch mal ein Fahrrad herum, viele Möbel sind Vintage-Stücke, die Olivenölflasche in der Küche ist wirklich mit Olivenöl gefüllt.

Die Idee zu dieser "living gallery" hat sich eher nebenbei ergeben, sagt der gebürtige Amerikaner Glass. Bei seinem früheren Job für die Hotelkette Soho House begleitete er die Eröffnung neuer Standorte mit individuellem Design. "Immer wenn dann Leute bei mir zu Besuch waren, entdeckten sie etwas, das sie mir ab- oder nachkaufen wollten. Möbel, Fotobücher, antike Kissenbezüge, die ich in Istanbul erstanden hatte." Bevor ihm ständig seine eigene Wohnung leer geräumt würde, gründete er das "shoppable apartment".

Auch bei ihm muss man sich vorher anmelden, an Werktagen ist aber immer jemand vor Ort. Zweimal pro Jahr wird komplett umdekoriert, sonst wäre das Angebot zu eintönig, außerdem würde es irgendwann arg leer werden. "Die Leute kaufen immer noch gern schöne Dinge. Aber sie suchen nach Orten, an denen sie sich geborgen fühlen," so Glass. Wie das eigene Zuhause oder eben Läden, die einem diese Atmosphäre vermitteln. Überflüssig zu erwähnen, dass es in Apartment Stores keine Verkäufer gibt, die den Besucher auf Schritt und Tritt beschatten.

Selbst Modelabels, die in ihren Geschäften sonst naturgemäß vor allem ihre eigenen Kollektionen ausstellen, gehen in den neuen Stores dazu über, auch andere Produkte anzubieten. Ähnlich wie in den Concept Stores Ende der Neunziger, wo Einzelhändler begannen, Mode mit Kunst, Beauty und Interior zu mischen, nur eben in klassischem Ladenambiente. Bei The Row, dem Label der Olsen-Schwestern in New York, stehen auch Schuhe von Manolo Blahnik, neben dem Sofa liegen Original-Tagebücher von Jean-Michel Basquiat, im Flur begegnet man antikem Schmuck. Und natürlich ist der Store unterteilt wie eine schicke Wohnung an der Upper East Side, mit gewundener Treppe in der Mitte, genannt "escargot", die Schnecke.

Während traditionelle Läden die teure Verkaufsfläche meist maximal ausnutzen, wird hier der Platz regelrecht verschwendet. Nicht überall liegt Ware, damit es wohnlicher und nicht zu kommerziell aussieht. Die beiden "L'appartements" von "Sézane", einem französischen Label, das es zunächst nur online gab, erreichen laut Business of Fashion so eine Abverkaufsquote von über neunzig Prozent. Eher kein Zufall, dass große Ketten anfangen, eilig Sofas, Teppichware und Antiquitäten in ihre Flagshipstores zu räumen. Die spanische Marke Uterqüe hat einen ihrer Läden in Barcelona bereits wie ein "Designer-Apartment" umgestalten lassen. Womöglich nicht ganz so authentisch, wenn man sich überlegt, wer hier der Hausherr ist: der Zara-Mutterkonzern Inditex, der größte Textilhändler der Welt.

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Quelle:
SZ vom 17.03.2018/ick
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