Aperol Spritz:Der Sonnenuntergang geht unter

Aperol Spritz: Ledigleich ein Reflex - oder ein Prinzip, das funktioniert? Der Aperol-Spritz ist einfach nicht totzukriegen.

Ledigleich ein Reflex - oder ein Prinzip, das funktioniert? Der Aperol-Spritz ist einfach nicht totzukriegen.

(Foto: imago)

Offenbar langweilen sich Barkeeper bei der Zubereitung von Aperol Spritz dermaßen, dass sie das Getränk immer öfter abwandeln. Hat die Aperolisierung ihren Zenit endgültig überschritten?

Von Violetta Simon

Eierlikör und Bowle, Kir Royal und Schirmchen-Cocktails, Caipirinha und Wodka Red Bull: Jeder Drink hat seine Zeit. Bis 2004 der Getränkegigant Campari das Familienunternehmen Aperol kaufte und das italophile Lebensgefühl einen Namen bekam: Aperol Spritz. Von da an scheint die Zeit still zu stehen. Seit gefühlten Jahrzehnten sieht man Großstädter vor bauchigen Gläsern sitzen. Den Blick in leuchtendes Orange versenkt, als blickten sie in ein Lagerfeuer. Zwischendurch schießt jemand ein Selfie und postet es unter #aperol als einen von mehr als 700 000 Beiträgen. Oder unter #aperolspritz zu weiteren fast 1,3 Millionen Posts.

Das Prinzip "Sonnenuntergang im Glas" funktioniert. Zu jeder Tages- und Jahreszeit, in Steakhäusern und Fußballstadien, auf Privatpartys und in der Systemgastronomie, unter sämtlichen Heizpilzen der Welt. Es ist nicht einfach, am Aperol Spritz vorbeizukommen. Aber möglich. Wer im Patolli abends einen Aperol Spritz ordert, kriegt einen Korb. Marco Beier, Chef der Münchner Bar am Sendlinger Tor, serviert das Trendgetränk nach 19 Uhr nicht mehr. Für Beier ist Spritz ein Angebot für Gäste, die sich keine Gedanken machen wollen. Eine bequeme Lösung auch für Barkeeper, weil man ihn schnell zusammenschütten kann: "Erfrischend, quietschbunt und nett dekoriert."

Mit dem Boykott versucht der 38-Jährige, seine Gäste zu bekehren. Damit sie bewusster entscheiden, was sie abends trinken. "Das tun sie beim Essen ja auch." Beier hat keine Lust, diesen Reflex länger zu bedienen - denn um nichts anderes handelt es sich seiner Ansicht nach: "Die Leute setzen sich auf die Terrasse, und bestellen ohne zu überlegen Aperol Spritz oder Hugo." Dabei sei ein knackiger Daiquiri oder ein Gimlet geschmacklich bestimmt die spannendere Wahl.

Sicher kann man sich der Zubereitung und dem Verkauf unliebsamer Drinks entziehen, indem man sie einfach nicht mehr anbietet. Auch kann man seine Gäste dazu bringen, Neues auszuprobieren, indem man ihnen das Gewohnte vorenthält. Allerdings nur, solange die nächste Bar nebenan die entstandene Lücke nicht füllt und weiterhin den Reflex bedient.

45 Millionen Liter Aperol

Seit der Übernahme durch Campari hat sich der Umsatz von Aperol kontinuierlich vervielfacht, Tendenz weiterhin steigend. Mehr als 30 Millionen Liter Aperol wurden 2016 ausgestoßen, im vergangenen Jahr waren es knapp 45 Millionen Liter. Den größten Anteil davon gießen Barkeeper in bauchige Gläser auf Prosecco oder Weißwein, Soda und Eiswürfel.

Seinen Instagram-tauglichen Farbton verdankt der Aperol Spritz dem bittersüßen Likör aus Rhabarber, gelbem Enzian, Blutorange und Kräutern - seine Monopolstellung den offensiven Kampagnen des Campari-Konzerns. Seit nunmehr 15 Jahren taucht der Aperol Spritz die Barszene wie ein künstlicher Sonnenuntergang in zuckriges Orange. Nur, dass diese Sonne einfach nicht untergehen will. Und das, obwohl der Sommerdrink in den vergangenen Jahren nach jeder Saison erneut totgesagt wurde, von Barkeepern, von den Medien. Nichts hat geholfen.

Inzwischen langweilen sich Barkeeper bei der Zubereitung dermaßen, dass sie unablässig am Spritz herumdoktern und ihn abwandeln, nach dem Motto: Hauptsache, nicht orange. Da wird roter, grüner oder gelber Likör mit Prosecco gemischt, ein Rosmarinstengel oder ein Gurkenscheibchen darin versenkt - fertig ist der Cranberry, Waldmeister oder Limoncello Spritz. Selbst auf Almhütten begegnen einem neuerdings Kreationen wie Tropical Spritz mit sämigem Maracujanektar oder Bergamotte Spritz, der an Earl-Grey erinnert. Die letzten Zuckungen eines Totgesagten?

Um den Spritz ist es nicht schade

Helmut Adam, Herausgeber des Berliner Magazins Mixology, glaubt, dass der Spritz seinen Zenit erreicht hat. "Eine gute Cocktailbar lebt davon, dass sie etwas zu bieten hat, was der Gast nicht ohne Weiteres überall bekommt oder selbst herstellen kann", sagt der Schweizer. Seit selbst Supermärkte den Spritz in sämtlichen Variationen als Fertigmischung in Flaschen oder Dosen verkauften, würden sich innovative Bars zunehmend von der Idee distanzieren, einen Aperitif als Cocktail anzubieten, nur weil er so beliebt ist.

Barchef Beier ist egal, was aus dem einstigen Sommerdrink-Star wird. "Um den Spritz ist es nicht schade, er hat es nicht verdient, erhalten zu bleiben, auch nicht in Varianten."

Dass der Aperol Spritz angezählt ist, würden nicht einmal seine Erfinder bestreiten: "Niemand will das trinken, was seine Eltern getrunken haben", sagte Campari-Chef Bob Kunze-Concewitz einmal der SZ. So gesehen könnten Barchefs wie Beier nun entspannt das Ende des orangefarbenen Freizeitgesöffs abwarten. Allerdings werden sie dazu einen langen Atem brauchen. Bis die nächste Generation sich an den Tresen lehnt und nach Neuem verlangt, wird es noch dauern: Kunze-Concewitz zufolge ist dieser Punkt erst nach 25 Jahren erreicht - das wäre dann 2029.

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