Anzugmode:Das Schönste, was ein Mann tragen kann

Anzug, Mode, Evergreen Scharnigg

Nie sieht ein Mann so gut aus wie dann, wenn er einen Anzug trägt.

(Foto: johannes85 / photocase.com)

Erst mit Turnschuhen, später figurbetont, heute unstrukturiert. Wie soll er denn nun sitzen, der perfekte Anzug? Und wer kann ihn überhaupt noch tragen? Eine kleine Bestandsaufnahme zum Evergreen der Herrenmode.

Von Max Scharnigg

So ist das heute: Der letzte große Anzugschneider Deutschlands lädt zu einer Soiree seines Labels "Regent", und fast alle Gäste kommen in Jeans und Sakko. Das ist so, als würde man mit dem iPod im Ohr ins Kammerkonzert gehen. Denn diese Kombination ist wahrscheinlich das, was dem Anzug seit Jahren am meisten zusetzt.

Würde man alle Fernsehmoderatoren unter 50, BWL-Studenten, Journalisten auf Pressekonferenzen und schwäbische Mittelständler zu einer einzigen Schaufensterpuppe verschmelzen, sie hätte eine Jeans und ein dunkelblaues Sakko an. Man geht damit ins Stadion und zum Candle-Light Dinner, kann Vernissagen eröffnen und Österreich-Chef von Google werden.

Aber das ist in Ordnung, sogar für den Anzugschneider und seine kleine Veranstaltung am heutigen Tage. Schließlich sind die Herren immerhin gekommen, hier in die Feinstoffabteilung von Loden-Frey, um zu sehen, wie das mit dem richtigen Anzug funktioniert, und zum Friseur geht man ja auch nicht mit gewaschenen Haaren. So begutachtet die zwar gut, aber noch nicht optimal betuchte Runde Schneiderkreide, Acht-Kilo-Bügeleisen und Näherinnen, die mit der Hand Knopflöcher säumen, schätzt Stoffe zwischen den Fingern und spricht, ach, vom Brioni-Kanzler.

In der Mitte seiner Schneider steht Detlev Diehm, Geschäftsführer von "Regent", er ist es, der an diesem Abend den Champagner bezahlt. Er betont den Namen seiner Marke auf dem zweiten e, wie in "Prinzregent". Diehm ist ein überaus freundlicher Mann und so schmal, dass er angesichts der breit schulterklopfenden Münchner Prominenz etwas instabil wirkt. Nie würde er über Jeans und Sakko etwas anderes sagen als: "Ein gutes Sakko ist auch eine schöne Sache."

Wiederaufbau mit Schneiderkunst

Aber seine Firma Regent ist aus mancherlei Gründen ein paar Worte mehr wert. Zum einen, weil sie sofort nach Kriegsende und gegen alle Materialengpässe anfing, im fränkischen Weißenburg Hemden und Anzüge zu machen, was eine ziemlich schöne Art des Wiederaufbaus ist. Zum anderen, weil die Firma damit nicht aufgehört hat. Bis heute macht Regent in Weißenburg Anzüge, bis heute in der obersten Schwierigkeitsklasse, unfixiert und lose auf Rosshaar gearbeitet. Diehm zeigt es an einer halb fertigen Schulter, streichelt die dünne Wattierung aus Pferde- und Kamelfasern zwischen der italienischen Baumwolle und lächelt in die Runde: "Das ist quasi eine selbsttragende Karosserie."

Autovergleiche, das wird er später unter vier Augen sagen, sind sehr wichtig, wenn man Anzüge Made in Germany verkaufen will. Ganz einfach, weil der deutsche Anzug keine Lobby hat und sich deshalb eine borgen muss. Es gibt amerikanische Anzüge - etwas weiter geschnitten, siehe Michael Douglas in "Wall Street". Es gibt englische Anzüge - steifer und schmaler, siehe Prinz Edward VIII. in Windsor Park. Und dann gibt es natürlich noch italienische Anzüge, leicht und elegant, siehe den Hafen von Portofino.

Diese Geschmacksverteilung in der Herrenmode hat seit jeher Bestand. Aber den deutschen Anzug gibt es nicht mehr, er ist frei von Attributen, dabei hatte das Land durchaus mal eine hochstehende Schneiderkultur. Sie wurde, ähnlich wie die herausragenden Wiener Schneider, erst durch die Kriege und später irgendwo zwischen dem Pragmatismus der Bausparer und dem Leiden der Banklehrlinge aufgerieben. Letztere sollen hier nur stellvertretend für den größten Fehler stehen, den man im Umgang mit einem Anzug machen kann: selbst zum Anzug werden. Ein Anzug verlangt einen Träger, einen der ihn bewegt, nicht darin verkümmert.

So böllernd es klingt, er verlangt nach einem Mann. Und das macht ihn heute mehr denn je zum interessantesten Kleidungsstück in der an interessanten Kleidungsstücke armen Herrenmode.

Der Anzug, ein wandlungsfähiger Botschafter

Um das zu begreifen, muss man kurz zu den Anfängen tauchen, sie liegen irgendwo in den Zwanzigerjahren, mit Jazz am Horizont. Damals war der Anzug schon mal eine Befreiung, nämlich vom Diktat des Cut und Frack, die bis dahin in den Kontors und Bürovorläufern zu tragen waren. Mit ihnen ließ sich aber schlecht nach der Arbeit Lindy-Hop tanzen und das nagelneue Weekend begehen, also wurde stattdessen der einfache "lange Anzug" zur liberalen Klamotte und mehrheitsfähig.

Er hat sich seither in seiner Form nicht mehr besonders verändert, sieht man von den Gezeiten der Taille und Hosenbeine ab, die regelmäßig zu- oder abnehmen. Was sich wohl verändert hat, ist die Botschaft eines Anzugs. Anfangs alternativlose Herrenkleidung, später Uniform der White-Collar-Worker, Arbeitsgewand in den Wolkenkratzern und bei der Mittelschicht, die ja gewissermaßen im Polyester-Anzug erfunden wurde.

Mit der abnehmenden Attraktivität von Großraumbüros und dem Hang zum Individualismus geriet der Anzug dann plötzlich in Verruf. Bieder, langweilig, unfrei, das haftet ihm seitdem am Revers und wird gerade hierzulande weiterhin ernst genommen. Der Begriff "Typen in Nadelstreifen" taugt immer noch als Verleumdung, und jeder, der es wagt, im Alltag einen Anzug zu tragen, womöglich gar mit Einstecktuch, muss sich intime Fragen gefallen lassen.

Die Fragen, die Detlev Diehm im Laufe des Abends so gestellt bekommt, sind dagegen schnell beantwortet: 15 Stunden Handarbeit stecken in einem seiner Anzüge, ja, made-to-measure und nicht bespoke im traditionellen Sinn, fester Kundenstamm, der Vater bringt's dem Sohne bei, und, nein, der Schnitt der Anzüge ist nicht "so sackartig", sondern an das allgemeine Bedürfnis angepasst, eine schmale Silhouette zu zeigen.

Eng geschnitten gegen die Tradition

Denn so sehr der "gute Anzug" immer noch eine nebulöse modische Maßeinheit ist, ähnlich wie das "gute Buch" in der Literatur, so verändert hat sich das, was die Anzugträger darunter verstehen. Diehm zeigt auf die Auslage mit Anzügen von Tom Ford, Stangenware zum Preis einer Maßanfertigung aus der Savile Row. "Lange Zeit war es ja so, entweder man kaufte einen modischen Anzug oder einen guten geschneiderten. Beides war nicht zu haben. Dabei kann jeder Schneider natürlich auch einen Slim-Fit-Anzug schneidern, den meisten geht das allerdings gegen die Handwerkstradition." Denn die zeichnet sich seit jeher dadurch aus, dass sie die figurativen Mängel des Kunden auffangen und die weitverbreitete Hängeschulter vergessen machen kann, ein paar Zentimeter Bauchumfang kaschiert, hier streckt und dort überspielt.

Diese kosmetischen Dienste sind aber gar nicht mehr so gefragt, und vieles von dem, was er noch an den paar Traditionsadressen in London zu sehen bekommt, mutet den jungen Mann von heute deswegen stark folkloristisch an. Wer zum Anzug greift, weil er ihn stolz tragen möchte, der muss auch meistens seine Figur nicht verstecken, er will damit außerdem radfahren und abends ausgehen, nicht zum Lindy-Hop, aber zum Hip-Hop. "Die Männer sind athletischer geworden, bis in die Chefetagen, die Körper werden gezeigt, nicht kaschiert", wie Diehm es beschreibt.

Wider den ewigen Unernst

Es waren Hedi Slimane und Thom Browne, die den Anzug auf diese neue Körperlichkeit hin umdeuteten und mit überkurzen Jacketts oder derart knackengen Hosen ausstatteten, dass jede Anprobe ein komödiantisches Happening wurde. Diese Revolution prägt die Anzugästhetik in abgemilderter Form bis heute und führte letztlich auch zu einem ebenso paradoxen wie populären neuen Merkmal, es nennt sich: unstrukturiert. Einreihiges, unstrukturiertes Jackett mit zwei bis drei Hornknöpfen zu einer Hose ohne Bügelfalten, das ist der Anzug, wie ihn alle zeitgeistigen Herrenausstatter derzeit führen, von Oliver Spencer über A.P.C. bis Filippa K.

Ein unstrukturiertes Jackett ist natürlich eine ziemlich schlichte Angelegenheit, verglichen mit schwimmend verlegtem Rosshaar-Inlet oder Hängeschulter-Prophylaxe. Ohne solche Struktur wird der Anzug auf seine allerpuristische Definition zurückgeworfen: Hose und Jacke aus gleichem Stoff. Fertig. Das ist sicher nichts für Anzugliebhaber und ehrwürdige Botschafter, aber es ist gut für die Sache an sich, den Anzug zu defragmentieren und wieder zu einer simplen Angelegenheit zu degradieren. Er braucht ja nicht zwingend das Hoflieferanten-Wappen und die goldenen Manschettenknöpfe.

Die neue Einfachheit ist auch das entscheidende Argument gegen die Übermacht von Jeans & Sakko, der Tracht der ewig Unernsten. Der unstrukturierte Anzug trägt sich ebenso lässig, sieht aber gleich viel besser aus und eben überhaupt nicht nach Saarbrücker Autorentreffen. Und überhaupt, unstrukturiert, das passt hervorragend zum Leben zwischen Krisengesprächen mit dem Chef, Kita-Demo und Shopping-Wochenende in Kopenhagen. Das unstrukturierte Jackett ist ehrlich, trägt nicht auf, lässt sich hochkrempeln.

Es kann beides, Arbeiterkluft und bella figura, und damit passiert es bereits zum zweiten Mal in seiner Geschichte: dass der Anzug die Männer lockerer macht. Praktisch, dass sich darüber hinaus auch noch die komplizierte Sache mit den dicken oder dünnen Stoffen erledigt hat, weil keiner, und schon gar kein Mann mehr Winter und Sommer in seiner Garderobe richtig unterscheidet, und Büros, Autos und sogar Café-Terrassen immer gleich warm sind. So muss man auch nicht mal mehr in die gefürchtete Herrenabteilung, ein derart einfacher Anzug lässt sich ja mit dem überschaubaren Risiko eines Pullovers kaufen, es gibt folglich auch schon eigene Online-Portale dafür.

Die Firma "Suitsupply" mit Sitz in Amsterdam etwa, die genau am anderen Ende von Detlev Diehm ansetzt. Er produziert für die, die sich vor einem schlechten Anzug fürchten, suitsupply.com für alle, die sich vor einem guten Anzug klassischer Prägung fürchten. Man kauft dort in einem ausgesprochen übersichtlichen Portal straff geschnittene Anzüge aus fair gehandelter Baumwolle, die Auswahl ist ganz klar gehalten, die einzige Botschaft ist: Anzug? Kannst du auch. Was nicht so gut sitzt, wird kostenlos zurückgesandt oder von Vertragsschneidern geändert.

Neues Web vs. alte Weberei, das ist ein Kulturkampf, aber nur ein kleiner. Wichtiger ist, dass der Anzug vom Ballast befreit wird, den ihm Brioni-Kanzler und Firmung angetan haben. Ob dieser Ballast durch eine raffinierte, eingewobene Schicht Rosshaar oder durch Paypal-Bezahlung abgetragen wird, ist erst mal egal. Viel wichtiger ist das Bewusstsein, dass ein guter Anzug immer noch das Schönste ist, was ein Mann tragen kann. Abgesehen vom Frack, natürlich.

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