Süddeutsche Zeitung

"Anziehsache" zu Neon: Ikea killed my Lieblingskleid

Wenn ein Trend zu Ende geht, kann das wehtun. Wie immer, wenn es wehtut, sucht man Verantwortliche. Die Politik. Die Schulweghelferin. Oder ein Möbelhaus.

Von Lena Jakat

Heute Morgen sah ich eine Schulweghelferin. Sie stand da in neongelbem Zeltregenmantel samt neongelbem Regenhut und winkte mit ihrer Schulweghelferkelle. Ich musste an mein Lieblingskleid denken. Und fast weinen. Die schmerzhafte Erkenntnis: Das Neon gehört wieder den Warnern.

Manchmal, wenn ein Trend zu Ende geht, macht mich das traurig. Wenn ich zu bestimmten Kleidungsstücken eine Beziehung aufgebaut habe. Vielleicht keine ernsthafte Beziehung wie zu einem Haustier; eher vielleicht wie zu einer Pflanze oder einer Serienfigur. So geht es mir in diesen Tagen mit Neon.

Gelb, Grün, Pink, Bäm! Die letzten Sommer haben nur so gescheppert vor schreienden Farben. Neon war überall, ohne dass dabei die Gefahr bestanden hätte, in die Aerobic-Falle der Achtziger zu tappen. Nicht nur Leggings und Sporttops, sondern auch Sneakers, Sonnenbrillen, Spitzenkleidchen: Alles leuchtete. Ich besitze ein Kleid, dessen Orange einen Kollegen einmal derart irritiert hat, dass er gegen eine Glastür lief. Mit dieser angenehmen Art der Irritation ist es nun vorbei.

Gewonnen haben jene, die ehrenamtlich, beruflich oder aus der Ernsthaftigkeit eines ambitionierten Amateurs heraus Neon tragen: Schulweghelfer, Baustellenmitarbeiter, Kampfradler. Adieu Spaß, hallo Vorsicht! Die Allgemeinheit gibt sich in diesem Sommer lieber dem Seventies-Revival hin. Zwischen den Ethnodrucken und Fransenvorhängen sucht man Neon vergeblich.

Diese Entwicklung auf das Wechselspiel der Mode zu schieben oder auf das Verkaufsstreben der Klamottenkonzerne, reicht mir nicht. Dafür ist der Abschied vom Neon zu bitter.

Ich vermute, dass die Politiker dahinterstecken. Und Ikea, natürlich. Mit der Novelle von § 31b der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung wurde vor einem Jahr auch für deutschen Fahrzeugführer Warnwestenzwang eingeführt. Was wiederum unser aller liebstem Möbelhaus, das den Massenbedarf an Warnwesten längst erkannt hat, enorme Umsatzsteigerungen beschert haben dürfte. "Schatz, lass' uns doch noch die hübschen Servietten mitnehmen - und zwei Warnwesten, sind ja auch so günstig." Man könnte auch sagen: Warnwesten sind die neuen Teelichter.

Das finstere Machtgeflecht aus Verkehrspolitikern und Möbelhäusern ist also schuld, dass nicht mehr nur Kinder auf dem herbstdusteren Schulweg, sondern auch ausgewachsene Menschen auf dem Fahrrad Warnweste tragen. Mitten im Juni stemmen sie ihre Trekkingsandalen in die Pedale, ziehen an mir vorbei.

Halt, Stopp, Achtung, ihr Warner! Völlig kampflos überlasse ich euch nicht Feld, nicht Farbe, nicht Fahrradweg. Ab morgen radle ich auch in Neon. Mein Lieblingskleid wird ein legendäres Comeback feiern.

Kolumne Anziehsache

In ihrer Stilkolumne widmet sich unsere Autorin regelmäßig einer aktuellen Auffälligkeit aus der Modewelt - von A wie Adilette bis Z wie Zebraprint. Haben Sie eine Anregung? Dann schreiben Sie ihr!

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