Süddeutsche Zeitung

Anziehsache zu Festtagsmode:Schneeflöckchen, Glitzerröckchen

Wenn die Tage kürzer werden, verwandeln sich Fußgängerzonen in Bedarfshandel für Oscar-Nominierte: Glitzer, Glamour, Abendkleider so weit das Auge reicht. Wer soll das alles tragen?

Von Lena Jakat

Gut, das Licht in der stickigen Halle war recht schummrig. Aber als mich kürzlich auf einem Konzert ein Mädchen mit Headset mit den Worten ansprach: "Du gehörst zur Band, oder?" rechnete ich das auch dem kurzen schwarzen Paillettenkleid zu, das ich unter dem Sweatshirt trug. Das ich so mag, obwohl es an den Armen kratzt und das ich schon immer insgeheim das Rockstarkleid genannt habe. Was ich damit sagen will: Ich habe rein gar nichts gegen Pailletten.

Doch derzeit wird mein Verhältnis zu Glitzerkram auf eine harte Probe gestellt. An welchem Schaufenster man auch vorbeigeht, welchen Laden der Blick noch aus dem äußersten Augenwinkel streift, alles ist voll von dem, was früher unter "Festtagskleidung" gelaufen wäre. Bodenlange Roben mit Wasserfallausschnitt, glitzernde Blusen und Smokings mit Fliegen aus Samt, opulente Gewänder, die im Schaufensterlicht funkeln. Die ganze Fußgängerzone sieht aus wie ein Fachhandel für Oscar-Nominierte.

Ich mag das, denn genauso wie die mechanisch winkenden Stofftiere und die Lichtersterne an den Laternen sind diese Schaufenster ein untrüglicher Hinweis darauf, dass es auf Weihnachten zugeht, dass die Jahreszeit angebrochen ist, in der man Sofa und Rotwein Biergarten und Radler vorziehen darf und Zimtschnecken der Freibadfigur. Doch wenn ich, in solche warmen Gedanken versunken, Frostwolken atmend, die Schaufenster mit den Paillettenroben betrachte, frage ich mich schon: Wer soll das alles anziehen?

Abendmode vom Textildiscounter

Das Phänomen der glamourösen Abendmode erstreckt sich zum Jahresende vom Textildiscounter für Teenager über die mittelpreisigen Ketten bis zu gehobenen Kaufhäuser und Designerläden. Im Vergleich zu diesem Massenmarkt dürfte die Anzahl der Menschen, die das Jahresende auf Bällen oder Banketten mit geprägter Einladung verbringen, überschaubar sein.

Kolumne Anziehsache

In ihrer Stilkolumne widmet sich unsere Autorin regelmäßig einer aktuellen Auffälligkeit aus der Modewelt - von A wie Adilette bis Z wie Zebraprint. Haben Sie eine Anregung? Dann schreiben Sie ihr!

Womöglich bin ichirgendwie komisch, aber ich käme nicht auf die Idee, mich in der Abendrobe unter den Christbaum zu setzen. Samtfliegen sind beim Absingen von Weihnachtsliedern genauso im Weg wie beim Tranchieren einer Gans. Es soll ja Leute geben, die an Silvester tatsächlich einen Ball besuchen. Alle Menschen, die ich kenne, verbringen den Abend mit Raclette essen, trinken oder tanzen oder einer Mischung aus alldem. Niemand von ihnen hat Verwendung für ein bodenlanges Oscar-Kleid. Im Gegenteil. Haben Sie schon mal erlebt, wie erbarmungslos sich Fäden geschmolzenen Käses in Pailletten verheddern? Ist Ihnen im Klub schon permanent auf den Saum getreten worden? Von Polyesterröcken und Feuerwerk gar nicht erst zu reden.

Nun ist es ja gerade das Privileg der Mode, nicht immer praktisch sein zu müssen. Wer wäre ab und zu nicht gern so elegant wie Marion Cotillard? Und sich für ein gutes Essen, für Menschen die man mag, schick zu machen, kann ein Zeichen von Respekt sein.

Aber es braucht Eskalationspotenzial im Leben. Der 27. oder 34. Jahreswechsel im Leben muss noch Luft lassen. Und diese Roter-Teppich-Garderobe sollte man sich womöglich für die wirklich großen Momente aufsparen. Für die Gelegenheit, wenn man tatsächlich mal über einen läuft, zum Beispiel. Falls das mit dem Rockstardasein doch noch was wird.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2746824
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/vs
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.