Süddeutsche Zeitung

"Anziehsache" zu Farben:Hafergrütze im Kleiderschrank

Tragen Sie Senf nur auf der Wurst oder auch auf der Haut? Und kennen Sie schon die Trendfarbe Holz? Warum Gelb und Beige nicht mehr so heißen dürfen.

Von Lena Jakat

Die Frau im Asia-Markt sah mich an wie ein Arzt auf der Suche nach der Diagnose. "Welches Masala meinen Sie? Tandoori Masala? Tikka Masala? Garam Masala?", fragte sie, "für Gemüse, Geflügel, für Lamm?" Und dann, zunehmend ratlos: "Wir haben Pulver oder Pasten. Aber flüssiges Masala gibt es nicht." Ich resignierte und kaufte Chicken Masala, die Paste. Nur um wenig später festzustellen, dass das Rezept Marsala verlangte. Einen sizilianischen Likörwein, der hauptsächlich in Großbritannien konsumiert wird. Hmpf.

Ob der US-Konzern Pantone solche Verwechslungen billigend in Kauf genommen hat, als er Marsala zur Farbe des Jahres erkor? Ist am Ende egal, denn in irgendeinem Winkel Indiens lässt sich bestimmt eine Masala-Mischung finden, die ebenso dunkelrotbraun ist wie Marsala 18-1438.

Überhaupt: Könnten Sie spontan sagen, wie die Farbe Provence aussieht? Kaktusblüte? Oder umgekehrt: Haben Sie Ihre Wurst schon einmal in Senf dieser Färbung getunkt? Wenn das alles nur bedingt Sinn macht, warum finden Firmen - auch solche, die nicht wie Pantone unmittelbar daran verdienen - immer ausgefallenere Bezeichnungen für die Farben ihrer Produkte? Und zwar ohne, dass die Farbe selbst unbedingt so ausgefallen ist?

Zum einen sollen die Begriffe zusätzliche Botschaften transportieren. Diese Botschaften handeln von Wärme, Natürlichkeit, Geborgenheit. Deswegen heißt das gerade zurückgekehrte Beige jetzt Holz, wie ein Zeit-Kollege kürzlich ausführte. Deswegen heißt Dunkelrotbraun jetzt Marsala. Und vielleicht heißt deswegen dieses blasse Rosé auch Hafergrütze.

Eine Excel-Zelle als letzter Hort der Fantasie

Hafergrütze? Klingt für mich ähnlich attraktiv wie das unsägliche Seekuhgrau, das einmal für Aufregung sorgte. Beide sprechen bei mir jedenfalls andere Reize an als den Kaufreiz.

Ich glaube ja, diese verbale Explosion der Farbpalette hat etwas mit dem boomenden Online-Handel zu tun, oder genauer gesagt mit dem damit einhergehenden Zwang, jedes Shirt und jede Socke bis ins Detail zu beschreiben.

Ich stelle mir einen Junior Sales Assistant Trainee vor. Auf dem Tisch in seinem fensterlosen Büro liegt eine Damenhose. "Beständiger Baumwollstoff, Reißverschluss, Loose Fit, Seiten- und Gesäßtasche ...", tippt der Trainee. "Waschbar bei 40 Grad." Dann das Formularfeld "Farbe". Diese eine Excel-Zelle ist der letzte Hort von Fantasie, der Fluchtpunkt für den Junior Sales Assistant Trainee, der eigentlich so gern ins Marketing will. Er nimmt seine Kreativität und seinen Ehrgeiz, seinen Überlebensdrang zusammen und tippt: Mazarine Navy, Mood Indigo, Maisblau.

Kolumne Anziehsache

In ihrer Stilkolumne widmet sich unsere Autorin regelmäßig einer aktuellen Auffälligkeit aus der Modewelt - von A wie Adilette bis Z wie Zebraprint. Haben Sie eine Anregung? Dann schreiben Sie ihr!

Auf meinem armen Hühnchen landete am Ende statt Marsala eine andere Art von Alkohol. Sollte mir der Wein irgendwann noch einmal unterkommen, werde ich das wieder gutmachen. Und mit dem Rest auf den namenlosen Trainee trinken, der sich in seinem Kellerbüro in die Welt träumt.

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