Süddeutsche Zeitung

"Anziehsache" zu Bikinitrends:Sanduhr auf unserer Haut

Bikini mit Verbindungslappen oder Badeanzug mit Löchern? Nicht das einzig Fragwürdige am Strand-Trend des Sommers: dem Monokini.

Von Lena Jakat

Offenbar fürchtet die Frau weder gefährliche UV-Strahlung noch vorzeitige Hautalterung. Tief gebräunt und weder durch Schirm oder Hut geschützt liegt sie am Strand, bekleidet nur mit einem weißen Bikini. Ach nein: einem Badeanzug - ja, was denn nun? Monokini ist wohl der modisch korrekte Ausdruck für diesen Bikini mit Verbindungslappen, beziehungsweise: Badeanzug mit Riesenlöchern. Je nach verbleibender Stoffmenge heißt das Kleidungsstück auch Trikini (wenig Stoff, viel Loch) oder Badeanzug mit Cut-Outs (wenig Loch, viel Stoff).

Schon bevor die Bäume Blätter bekamen, trug in diesem Jahr ein Surfermädchen ein solches Cut-Out-Teil auf den Plakatwänden der Stadt und brachte mich zum Zittern. Seither versuchen allerlei Poster, Blogs und Magazine, allen Sonnenhungrigen den Trend zum Zwischendrin unterzujubeln. Der Monokini, Trend an Strand und Schwimmingpool, von Malle bis Malibu.

Ist der Monokini der stoffgewordene Flexitarier? Ausdruck der allgegenwärtigen Unentschlossenheit, Symptom der Beliebigkeitsgesellschaft? Wir wollen uns nicht auf ein festes TV-Programm festlegen, nicht entscheiden zwischen coolem Hipsterdasein und Beschaulichkeit im Reihenhaus, nicht zwischen Zweiteiler und Einteiler am Strand. Da gibt es nur ein Problem: Die Sonnende in Weiß habe ich nicht an einem echten Strand beobachtet und auch nicht in einem aktuellen Modeprospekt entdeckt. Sondern in "Komm mit ans Wasser", einem Bilderwimmelbuch von Ali Mitgutsch, veröffentlicht 1971 - was auch den mangelnden UV-Schutz erklären könnte.

1971! Mitten in der Zeit gesellschaftlicher Revolution und des basisdemokratischen Aufbruchs! Unweit von der Frau in Weiß singen am Bilderbuch-Strand sogar ein paar Hippies zur Gitarre, vermutlich hochpolitische Arbeiterlieder. Von wegen Beliebigkeitsgesellschaft.

Was sich aus diesem Buch - neben Vokabeln übrigens wie "Langleinenfischerei" - 44 Jahre später lernen lässt: 1. Neu ist am Trend zum Monokini höchstens die Suche nach immer neuen Namen für verschiedene Löchergrößen. 2. Der Monokini ist offenbar nicht nur ideologiefrei, sondern überhaupt unpolitisch. Was ich von einem anständigen Stück Lycra eigentlich auch erwarte - schon allein im Hinblick auf die aktuelle aberwitzige Bikini-Debatte in Frankreich. 3. Monokinis tragen in Wahrheit nur (weich)gezeichnete Menschen auf Papier. Das Mitgutsch-Buch liefert nach dem Surfermädchen und seinen Kumpaninnen das letzte Indiz in dieser Beweiskette.

In seinem natürlichen Umfeld dürfte der Monokini eher selten auftauchen, ist er doch schier untragbar. Im Gegensatz zum Bikini lenken seine Löcher den Blick schonungslos auf das Dazwischen, eine Körperregion, die viele nicht unbedingt zu ihren liebsten zählen. Und wer schwimmbeckenweise Schweiß und teure Fitnessstudio-Abos in den perfekten Bauch investiert hat, den muss der Monokini noch viel mehr frustrieren. Denn ausgerechnet dieser Bauch verschwindet dann hinter einem Stofflappen.

Vielleicht sollten wir dem Monokini ebenso ideologiefrei begegnen wie er uns. Immerhin gibt es ansehnliche Ausnahmen, oder besser gesagt: eine Ausnahme. Sie heißt Sharkini und sieht - mit dem aufgerissenen Haimaul in der Taillengegend - auch genauso aus. Ein Monokini, den selbst Mitgutschs Langleinenfischer gerne an der Angel gehabt hätte.

Kolumne Anziehsache

In ihrer Stilkolumne widmet sich unsere Autorin regelmäßig einer aktuellen Auffälligkeit aus der Modewelt - von A wie Adilette bis Z wie Zebraprint. Haben Sie eine Anregung? Dann schreiben Sie ihr!

Und wer - wie die Frau am Bilderbuchstrand - unermüdlich im Monokini brutzelt, kann sich auf eine Belohnung freuen. Der Sommer hinterlässt ihr ein sichtbares Pfand für sein Versprechen, auch im nächsten Jahr zurückzukehren: eine weiße Sanduhr auf gebräunter Haut.

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