Ein Anruf bei dem Herrenschneider Detlev Diehm:"Begreife ich meinen Anzug als Kulturgut, habe ich ein viel besseres Auftreten"

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Verdrängt der lässige Start-up-Stil den guten alten Herrenanzug? Adrett gekleidete Männer im Jahr 1923. (Foto: Topical Press Agency/Getty Images)

Wenn selbst die Bank Goldman Sachs die Kleiderordnung lockert und Anzüge nicht mehr Pflicht sind, was bedeutet das für den Berufsstand der Anzugschneider?

Interview von Max Sprick

Die einflussreichste Investmentbank der Welt, Goldman Sachs, hat ein überraschendes Memo an ihre mehr als 30 000 Mitarbeiter verschickt. Weil sich die Arbeitswelt wandelt und lässiger wird, entschloss sich die Leitung der Bank, den bisherigen Dresscode zu verändern. Da 75 Prozent der Mitarbeiter "Millennials", also nach 1981 geboren seien, sollten sie sich auch so kleiden dürfen. Lockerer und moderner. Was bedeutet es, wenn Highend-Bänker vom Stil des Silicon Valley erfasst werden? Gehören Kostüme und Anzüge in den Schrank der Vergangenheit? Detlev Diehm, Modedesigner und Schneidermeister, war 20 Jahre lang Creative Director bei einem Herrenausstatter und betreibt nun sein eigenes Atelier im Münchner Stadtteil Obermenzing. Nicht nur deswegen sagt er: Anzüge haben Zukunft.

SZ: Herr Diehm, was halten Sie denn vom neuen Dresscode bei Goldman Sachs?

Detlev Diehm: In dem Memo steht ein Satz, den ich genau so unterschreibe: "Wir alle wissen, was angemessen ist, und was nicht." Es geht Goldman Sachs weniger um ihre Mitarbeiter als um ihre Kundenansprache, würde ich sagen. Unterm Strich bedeutet das Memo: Wenn ihr zu den Tech-Leuten ins Silicon Valley fahrt, zieht euch an wie die Tech-Leute im Silicon Valley.

Also in T-Shirt und Jeans.

Genau. Das kommt von diesem Mythos der kleinen Garage, in der man eine Firma gründet, die dann in zwei Jahren Microsoft Konkurrenz macht. Diese Denke hat unheimlich eingeschlagen. Da herrscht ein Kulturwechsel nach dem Motto: Wir sind jung und dynamisch, wir machen es anders als die alten Spießer. Dieses Denken hat aber auch seine Schärfe verloren.

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Erst mit Turnschuhen, später figurbetont, heute unstrukturiert. Wie soll er denn nun sitzen, der perfekte Anzug? Und wer kann ihn überhaupt noch tragen? Eine kleine Bestandsaufnahme zum Evergreen der Herrenmode.

Von Max Scharnigg

Wie meinen Sie das?

Heute steht in jedem Büro ein Tischkicker, Kühlschränke mit Bio-Limonade, und an geteilten Schreibtischen sitzen Leute in gestreiften Pullovern. Klar ist es da schwer, für formellere Kleidung zu sein. Aber Sie haben auch gesehen: Wenn es ernst wird für Zuckerberg und Co., ziehen sie sich plötzlich um. Seine Aussage vor dem US-Kongress machte Zuckerberg im Anzug.

Weil Anzug oder Kostüm Glaubwürdigkeit ausstrahlen?

Wenn ich den Menschen kenne, dem ich gegenübersitze, und weiß, er ist Facebook-Chef, hat er eine wahnsinnige Autorität, egal, was er trägt. Kenne ich ihn aber nicht, und er trägt einen Anzug, der perfekt passt, nehme ich ihn ganz anders wahr.

Detlev Diehm war Geselle an der Bayerischen Staatsoper, studierte Modedesign in Mailand und kleidete Roger Moore und Richard Gere ein. Einen maßgeschneiderten Anzug fertigt er in bis zu 80 Stunden. (Foto: Daniel Kraus)

Inwiefern?

Idealerweise bildet der Anzug seinen Träger ab und gibt eine verbesserte Version seiner selbst wider. Ich sage nicht, jeder sollte täglich Anzug tragen, um Himmels willen! Aber: Begreife ich meinen Anzug als Kulturgut, habe ich ein viel besseres Auftreten.

Sollte man dann nicht Dresscodes strenger statt lockerer definieren?

Obwohl es mein Geschäft ist, bin ich dagegen, Leute zum Anzugtragen zu verdonnern. Wenn man Menschen zu etwas zwingt, handhaben sie es auch wie etwas Aufgezwungenes. Dass in vielen Berufen aber immer noch genau so ein Denken herrscht, trägt dazu bei, dass der Anzug unter einem so schlechten Ruf leidet.

Was muss sich also ändern?

Ich will nicht wie ein Missionar rüberkommen, aber ich finde, man muss dem Thema seine Steifigkeit nehmen. Ein Anzug kann Menschen helfen, sich besser zu fühlen, auch, wenn sie gerade vielleicht eine schlechte Zeit haben. Mit einer guten Passform unterstützt ein Anzug das Körpergefühl, gibt Sicherheit und verleiht eine ganz andere Haltung.

Kommt im Job allerdings, so könnte man das ja auch sehen, einer Uniform gleich.

Das kann man positiv und negativ verstehen. Positiv gesehen, muss ich mir nie Gedanken machen, was ich anziehe. In einem guten Anzug kann ich drei Tage verreisen, brauche nur das Hemd wechseln und bin perfekt angezogen. Uniformität hat auch mit Universalität zu tun.

© SZ vom 08.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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