Süddeutsche Zeitung

Ladies & Gentlemen:Die High(way)-Society

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Statt auf Schaulaufen setzt man in Hollywood aufs Schaufahren - aber wie soll man sich bei diesem neuen Gesellschafts-Genre richtig präsentieren?

Von Julia Werner & Max Scharnigg

Für sie: Den Rahmen sprengen!

Das Autokino erlebt eine Renaissance, weil Social Distancing inklusive ist. Und auch in Hollywood muss es weitergehen, weswegen die Drive-in-Premiere das neue Red-Carpet-Event ist - die Stars fahren dabei vor die Fotowand. Das Autofenster ist dann das neue Instagram-Quadrat, das es mit Präsenz auszufüllen gilt. Early Adopter und Schauspielerin Angela Bassett, hier bei einem Screening des Films "One Night in Miami", definiert schon mal eine Stil- Checkliste für das noch neue Genre: eine voluminöse Frisur und das Weitvorlehnen suggerieren dem Betrachter, dass diese Frau jeden vorgegebenen Rahmen sprengt. Und das sollte im Leben einer Frau, mal abgesehen von Gerichtsterminen, immer Stilcredo sein. Der Öffentlichkeit eitel Sonnenschein mit dem Lebenspartner vortäuschen geht jetzt natürlich nicht mehr so leicht, die Begleiter sind wirklich nur noch Beifahrer. Eine weitere Gefahr ist die Vereinnahmung durch Sponsoren, also Automarken, die jetzt Lunte riechen. Solange die sich nichts Extravagantes für die Gestaltung des neuen Rahmens ausdenken, also Hasenohren oder Werbeslogans, die das Gesicht umlaufen, sollte jede Frau jetzt über die Wirkung ihres Gefährts nachdenken. Die Möglichkeiten sind grenzenlos: Man kann mit dem wüstenstaubigen Defender über den roten Teppich poltern, mit einem 911er eine Vollbremsung machen oder in einer knatterigen Ape für den Weltfrieden werben. Autos sind nämlich viel besser zum Unterstreichen der eigenen Persönlichkeit geeignet als langweilige Abendroben.

Für ihn: Im Wagen mehr wagen!

Nach hundert Jahren Verkehrshoheit schien das Auto als überflüssiger, multipler Gefährder (Feinstaub, Rechtsabbieger, etc.) angezählt zu sein. Die Pandemie aber hat es als private Sicherheitszelle rehabilitiert und als nahezu einzige Möglichkeit, Stadt, Land und Aerosol-Wolken zu durchqueren. Dass man bei den Drive-In-Erfindern jenseits des Atlantiks jetzt motorisierte Rote Teppiche veranstaltet, um wenigstens irgendeine Form von buzz möglich zu machen - okay, das ist lustig. Zumal das Auto in den USA, dank Valet-Parken, ja stets Teil des großen Auftritts war: Man fährt hier schon immer schön vor, das hat man in Hunderten Filmen gesehen. Neu ist, dass die Promis nun sitzen bleiben, zumindest wenn es sich um ein Autokinoevent handelt. Wer gesellschaftliche Verpflichtungen bisher anstrengend fand, hat damit gewonnen - bequemer kann man wohl nicht ausgehen. Banaler allerdings auch nicht, im Auto gucken, essen, trinken und grüßen, das ist schon eher das Gegenteil von Kultiviertheit. Für das Outfit gilt dabei aber das gleiche wie bei Videochats - Schuhe, Hose und Gesamtensemble sind nicht mehr wichtig, dafür aber adrettes Konterfei und übertriebene Mimik. Der Musicaldarsteller Leslie Odom Jr. muss das, wie wir alle, noch ein bisschen trainieren, er wirkt im Fahrersitz vor den Fotografen jedenfalls nur etwa so happy, als wäre er an eine ungeplante Mautstelle gekommen. Merke: Wenn man viel Karosserie um sich hat, ist schmales Lächeln oder elegantes Understatement nicht mehr genug. Overacting und Charme-Explosion sind beim Autofenster-Pitch dann Pflicht. Vielleicht nächstes Mal die Ehefrau ans Steuer lassen?

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