Mode:Androgyne Mode: Unfassbar untragbar

Mode: Ein David-Bowie-Installation an der New Yorker U-Bahn-Station Broadway-Lafayette Street.

Ein David-Bowie-Installation an der New Yorker U-Bahn-Station Broadway-Lafayette Street.

(Foto: Angela Weiss/AFP)

Mann, Frau - oder irgendwas dazwischen? Der Androgyn-Look ist ein Muss: Er verspricht individuelle Freiheit und Toleranz. Doch er ist auch eine Zumutung.

Von Tanja Rest

Die Braut war so unvorsichtig gewesen, zu ihrer Hochzeit einen Haufen Supermodels einzuladen, weshalb sie in der Berichterstattung später nur am Rande vorkam. Die Klatschmagazine huldigten lieber Kate Moss (Kleid mit Polka Dots), Naomi Campbell (Kleid mit Federn) oder Poppy Delevingne (fliederfarbenes Kleid mit Lochstickerei), alle waren auf hohem Niveau auf spießig gebürstet, hatten den Fascinator aufgesetzt und einen Mann im Cutaway am Arm.

Man muss sich eine Royal Wedding in Windsor als die konservativste Party des Planeten vorstellen, und bei der Vermählung von Prinzessin Eugenie von York mit Jack Brooksbank war der Gendercode in Marmor gemeißelt: "Morning Coat" für die Herren, "Day Dress with Hat" für die Damen, ein Dazwischen war undenkbar. Bis Cara Delevingne eintraf.

Sie trug einen nachtschwarzen Smoking von Giorgio Armani, dazu Hemd, Krawatte, Kummerbund, auf ihrem Kopf saß ein Zylinder. Sie lief auf sehr hohen Pumps. Mit den geschwärzten Augenbrauen und dem reduzierten Make-up sah sie wie ein wunderhübscher Kobold aus, der sich nur leider in der Adresse geirrt hatte. Auf dem königlichen Rasen von Windsor Castle sind Mann und Frau durchaus noch disparate Konzepte.

Im Kontext der Mode aber, da las sich Delevingnes Auftritt an diesem 12. Oktober wie ein Ausrufezeichen hinter den soeben zu Ende gegangenen Fashion Weeks, die das Verwirrspiel der Geschlechter auf die Spitze getrieben hatten. Männer mit Röcken und Schluppenblusen bei Gucci, Frauen mit Sakkos und breitschultrigen Lederjacken bei Louis Vuitton und Givenchy, Legionen kurz geschorener Modelköpfe nach dem Vorbild der pixiehaarigen Ruth Bell, die bei Dior eine Art Schutzheilige geworden ist. Bei Calvin Klein und JW Anderson zeigen sie längst schon Unisex; die Zahl der Designer, die Männer- und Damenkollektion in einer Show zusammenlegen, wächst mit jeder Saison. Immer öfter sitzt man jetzt blinzelnd am Laufsteg, zu gleichen Teilen verwirrt und fasziniert: Ist es ein Mädchen? Ist es ein Bübchen?

Androgyn, aus den griechischen Wörtern für Mann (andros) und Frau (gyne) zusammengesetzt, ist neben Streetwear das zweite große Fashion-Statement, das ein Designer heute im Sortiment haben muss, um den Leuten da draußen zu zeigen, dass er den Zeitgeist verstanden hat. Der Zeitgeist sagt, dass männlich oder weiblich keine Frage der Chromosomen ist, sondern der Einstellung. Wenn es beliebt: der individuellen Laune an einem Samstagabend um viertel vor zehn.

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Sein femininer Look schrieb Modegeschichte: David Bowie alias Ziggy Stardust, 1973.

(Foto: imago/United Archives)

Androgyn bedeutet, dass du eine maskuline Frau sein darfst oder ein femininer Mann oder ein schillerndes Neutrum, dein Kleiderschrank lässt dir die Wahl. Das klingt nach einem fabelhaften Trend - eine Maßanfertigung für alle, die sich von ihrem biologischen Geschlecht nicht länger vorschreiben lassen wollen, wie sie zu sein haben. Die Frage ist, ob der Androgyn-Look das Versprechen individueller Freiheit und allumfassender Toleranz auch einlöst. (Und klar, wir würden sie nicht stellen, wenn die Antwort am Ende "Ja" lauten würde).

Zunächst einmal muss man kein Modehistoriker sein, um nach flüchtigem Nachdenken festzustellen, dass Androgyn nicht neu ist. 1915, die Frauen waren gerade das Korsett losgeworden, da steckte Coco Chanel sie schon in Hosen und hatte die "Garçonne" erfunden. 1930 küsste Marlene Dietrich, als Mann ausstaffiert, in Josef von Sternbergs "Marokko" eine Frau, Katharine Hepburn bot auf der Leinwand Cary Grant die Stirn und trug privat am liebsten Hemden von Brooks Brothers, die sie bei dem New Yorker Herrenausstatter in einem verschwiegenen Hinterzimmer kaufte, das nur für Frauen bestimmt war.

Dann kam der Krieg und hob die Rollenteilung der Geschlechter vorübergehend so gründlich auf, dass sie in den Fünfzigern umso entschiedener wieder festgezurrt wurde. Der Mann verließ morgens mit Anzug und Hut das Haus, die Frau blieb im Tageskleid bei den Kindern sitzen. Basta.

Seinen wirklichen Durchbruch erlebte der Androgyn-Look in den Sechzigerjahren. Für die Frauen erledigte das Yves Saint Laurent, als er 1966 "Le Smoking" erfand. Im gleichen Jahr eröffnete drüben in London ein Designer namens Michael Fish seine Boutique in Mayfair, die zur Topadresse flamboyanter Eleganz werden sollte. Was bisher den Damen vorbehalten war, die Samtjacken, Brokatmäntel, Spitzenblusen und Federboas, das gab es hier für die Herren zu kaufen.

Damit begann die "Peacock Revolution", die Revolution der Pfauen, und Mr. Fish war ihr Ausstatter. Die weiße Tunika mit Puffärmeln und Rüschenkragen, in der ein mädchenhafter Mick Jagger 1969 über die Bühne im Hyde Park wirbelte, war von ihm; ebenso das elegische Samtkleid, in dem David Bowie auf einer Chaiselongue drapiert war (1971, auf dem Cover seines Albums "The Man Who Sold The World"). Da wartete Ziggy Stardust schon in der Kulisse.

Es geht um Aufmerksamkeit

Givenchy Spring/Summer 2019 collection...

Auf dem Laufsteg sahen Männer zuletzt oft wie Frauen aus - und umgekehrt. Hier ein Entwurf von Givenchy.

(Foto: Jonas Gustavsson/MCV Photo For The Washington Post via Getty Images)

Die Siebziger wirbelten dann endgültig durcheinander, was die Fünfziger so fein säuberlich getrennt hatten: Frauen trugen Schlaghosen, Männer Blümchenhemd und lange Haare, im gleichen Atemzug wurde in vielen Ländern die Homosexualität legalisiert. Als Jean Paul Gaultier 1984 aber seine "Men in Skirts"-Kollektion vorführte, lachte sich die Welt schon wieder kaputt. Stattdessen setzten sich die breiten Schultern bei den Frauen durch, und keine trug sie mit mehr maskulinem Wumms als Grace Jones.

Alles, was danach kam, war dann eigentlich nur noch Zitat: Kurt Cobain, der mit Eyeliner experimentierte und sich im Babydoll mit Tiara fotografieren ließ; Cindy Crawford, die auf dem Cover von Vanity Fair die lesbische Sängerin Kathryn Dawn rasierte; die couturehafte Androgynie einer Tilda Swinton. 2011 schmückte erstmals ein transsexuelles Model das Cover eines Mainstream-Magazins (Lea T in der brasilianischen Elle), inzwischen läuft die Französin Casey Legler so selbstverständlich bei den Männerschauen mit wie das australische Transgender-Model Andreja Pejić bei den Frauen.

Wenn es noch einen finalen Beweis gebraucht hätte, dass Androgyn da draußen keinen mehr aufregt, erbrachte ihn 2016 der damals 18-jährige Jaden Smith, Sohn des Schauspielers Will Smith: Er modelte in einer Anzeigenkampagne von Louis Vuitton die Damenkollektion.

Die Knöpfe, die hier gedrückt werden, sind die gleichen wie damals: Das alte Trompe-l'Œil, das Sehgewohnheiten herausfordert und so Aufmerksamkeit erzeugt. Das Versprechen grenzenloser Selbstentfaltung. Die Sehnsucht, den Käfig der eigenen Geschlechtlichkeit und Sexualität zu verlassen und einmal in den anderen Körper, den anderen Sex hineinzuschlüpfen. Anders als früher wird da aber kein Tabu mehr gebrochen, auch wenn mancher Laufsteglook immer noch mit dem Gestus des Skandals daherkommt. Im Gegenteil: eine Frau im Nadelstreifenanzug, ein Mann mit Schluppenbluse sind der narrensichere Beitrag der Mode zu einer Gesellschaftsdebatte, die engagierter denn je Genderrollen verhandelt.

Was davon beim Endverbraucher ankommt, ist eine ganz andere Sache. Denn hier greift das Geschlecht eben doch. Wie sagte Katharine Hepburn so schön zu Calvin Klein? "Jedes Mal, wenn ich mir von einem Mann anhören muss, dass er Frauen am liebsten im Rock mag, sage ich zu ihm: Probieren Sie es doch. Ziehen Sie mal einen Rock an!" Vergeblich. Während Frauen heute klassisch maskuline Teile tragen, haben sich Männer jenseits der Rockstar- und Fashion-Riege nie wirklich dazu entschließen können, Seidenblusen und Spitzenhemden, geschweige denn Kleider und Röcke in den Schrank zu hängen.

Man kann es so sehen, dass sich Frauen einen ganzen modischen Kosmos hinzuerobert haben und nun wählen können. Man kann es aber auch so sehen, dass die Sphäre des Männlichen als die erstrebenswerte gilt, während es offenbar lächerlich und erniedrigend ist, gekleidet zu sein wie eine Frau. Die Girlfriend-Jeans hat noch keiner erfunden.

Androgyn-Look - die wenigsten können ihn tragen

Noch einmal zurück zu Cara Delevingne mit Smoking und Zylinder: War das nicht ein großartig schräger Auftritt in Winsor? Also - ja. Aber es war eben auch eine Model-Nummer, inszeniert mit dem Körper und dem Gesicht eines Models. Die Wahrheit über den Androgyn-Look, der immer so furchtbar feministisch tut, ist nämlich: Die wenigsten Frauen können ihn tragen. Er verlangt schmale Hüften und einen kleinen Hintern und winzige Brüste und kein bisschen Fett auf den Rippen und ein perfekt symmetrisches Kurzhaarschnittgesicht. Und Jugend, das vor allem. Wenn man bei Google Bilder "androgyn" eingibt, landet man bei Tilda Swinton und einer Auswahl knabenhafter Modelmädchen. Man landet nicht bei: Conchita Wurst (Brüste zum Vollbart).

Coco Chanel sagte einmal: "Ich habe den Frauen ihre Körper zurückgegeben - Körper, die in Schweiß getränkt waren von all der Pracht der Mode, von Spitze, Korsetterien, Wäsche, Polsterungen. Ich habe ihnen ein Gefühl der Freiheit gegeben." Es wäre nun genauso albern, den Frauen die Hosen wieder wegzunehmen, wie sie abermals einzusperren, diesmal in das Korsett des Männlichen.

In ihren besten Momenten ist Androgynie in der Mode ein Spiel mit gleichem Einsatz auf beiden Seiten: Stella Tennant als lässiger "New Dandy", Andreja Pejić mit Bikerjacke, Kippe im Mundwinkel und Lockenwickler in den Haaren, oder auch als Braut in weißem Tüll auf dem Laufsteg von Jean Paul Gaultier: Das sind Modemomente, die tatsächlich Geschlechtergrenzen sprengen.

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