Altbau:Früher war alles schöner

Lesezeit: 5 min

Böden aus alten Villen, antike Holztüren, Dachbalken aus Abbruchhäusern: Warum historische Baustoffe gerade so gefragt sind.

Von Anne Goebel

In der britischen Comedy-Serie "Harry & Paul" verkauft ein Endvierziger in Notting Hill überteuerten Ramsch an Kundinnen, die jedesmal beseelt den Laden verlassen. "Ich weiß, was Sie suchen", sagt der Schauspieler Harry Enfield einmal zu einer Klientin, die unschlüssig seufzt zwischen all dem alten Plunder. "Sie suchen etwas, mit dem Sie sich individuell fühlen." Staunendes Nicken, große Augen. Der vorgeschlagene, schlaff durchhängende Stoffsessel kostet eine lachhaft hohe Summe. Die Kundin nickt wieder, zahlt, zieht ab. Der Gesichtsausdruck, mit dem Enfield "individuell" sagt, irgendetwas zwischen Ekel und Erbarmen, ist großartig.

Die Serie ist schon ein paar Jahre alt, aber sie trifft immer noch den Zeitgeist: diese Schwäche für Altes, die Sucht nach Dingen mit Geschichte, die Vorstellung, gegen das kalte Einerlei der Datenströme draußen helfe am besten eine originell bestückte (pardon, kuratierte) Wohnung. Denn es geht ja nur vordergründig darum, dass all die Schiffslaternen, Jugendstilkacheln und anderen Einrichtungsgegenstände mit echter oder falscher Patina, die Enfield und seine realen Kollegen überall auf der Welt zu Geld machen, besondere Dinge sind. Im besten Fall schöne, kultivierte Objekte, die Begehren wecken. Viel entscheidender ist: Die Menschen möchten damit nicht nur ihre Wohnung, sondern vor allem sich selbst veredeln. Eigenart und Klasse, die den Gegenstand aus alter Zeit umwehen, sollen auf den Besitzer übergehen.

Mit 300 Jahre alten Badfliesen aus Portugal gibt man sich als Feingeist zu erkennen

Dahinter steckt einerseits ein grundsätzliches, sehr menschliches Bedürfnis nach Unverwechselbarkeit. Aber es gibt doch Phasen, in denen der Reiz des Vergangenen stärker ist als sonst. Oft sind es Perioden des Umbruchs, man schwelgt im Früher, wenn die Gegenwart voller Zumutungen steckt. In der postnapoleonischen Ära träumte sich Europa ins Mittelalter zurück und fand Häuser mit Zinnen schick. Heute folgt ein Rückwärtstrend dem nächsten. Mal sind Midcentury-Samtsessel en vogue, dann feiert die Mode das Comeback der Hip-Hop-Looks. Online-Plattformen für Vintage-Kleidung boomen, und ohne Shabby Chic, Möbel mit vorgetäuschten Abnutzungsspuren, kommt kein Interior-Blog mehr aus.

Noch einen Schritt weiter geht eine Bewegung, die beständig und ohne großes Aufhebens den Herkunftskult belegt: der Handel mit historischem Baumaterial. Vor 25 Jahren gründeten Liebhaber alter Fenster, Dachbalken oder Keramikfußböden einen Verein, um ihr Sortiment effizienter zu vermarkten, den Unternehmerverband Historische Baustoffe (UHB). Und seit einiger Zeit bewegen sich dort die Umsätze in einer neuen Größenordnung. Was nach spleenigem Klub klingt, ist kein Spielplatz für weltfremde Nostalgiker mehr.

Der Verband mit Sitz in St. Georgen im Schwarzwald organisiert die Vernetzung der 30 Mitgliederbetriebe untereinander und ist die zentrale Adresse für Bauherren, Architekten, Denkmalämter. Wer in Deutschland ein schützenswertes altes Gebäude besitzt, ob als Privatperson oder öffentliche Hand, kann marode Bestandteile nicht einfach durch neue aus dem Baumarkt ersetzen. Die Auflagen sind streng, und bei der Suche nach einer barocken Eichentür oder handbemalten Wandkacheln aus dem Biedermeier hilft der UHB.

Küche mit alten Baumaterialien: In unruhigen Zeiten erfüllen Gegenstände mit beruhigend hohem Alter die Sehnsucht nach Geborgenheit. (Foto: Nico Hensel)

Allein die Zentrale erreichen jedes Jahr Hunderte Anfragen. Solche Zahlen wären früher undenkbar gewesen. Direkte Kontakte zwischen Kunden und einzelnen Händlern - das Netz erstreckt sich über alle Landesteile, Schwerpunkt Südwesten - sind da noch nicht mitgerechnet. Auch Hausbesitzer mit persönlicher Schwäche für antike Baustoffe, also ohne behördlichen Zwang, versorgen sich beim UHB. Ihr Anteil steigt. Es macht eben etwas her, sich nicht nur mit Kenntnissen über biologisch angebaute Spitzenweine, sondern auch mit 300 Jahre alten Badfliesen aus Portugal als Feingeist erkennen zu geben. Was die Wertschätzung solcher Kleinode betrifft, bleibt man schön unter sich. Vintage ist ein Markt für Connaisseure. Plumper Markenfetischismus gilt als unfein.

Und dann gibt es noch die Klientel, die sich nur ein einzelnes Stück Vergangenheit gönnt. Diese Schatzjäger besuchen eine der Scheunen oder Anwesen, in denen die alten Sachen verkauft werden, schnuppern eine Dosis Staub der Geschichte und ziehen mit einer Trophäe ab. Das, sagt Martin Häberle, "sind die neuesten Kunden". Häberle ist Mitglied im Vereinsvorstand und hat sich mit seiner Firma vor zehn Jahren selbständig gemacht im Weiler Söhnstetten auf der schwäbischen Alb. "Hätte mir damals jemand gesagt, welche Entwicklung das Geschäft nimmt, ich hätte kein Wort geglaubt", sagt er.

Gußeiserne Fenstergitter. (Foto: Historische Baustoffe Ostalb)

Häberle empfängt an einem warmen Frühlingstag in T-Shirt, Trekkingschuhen und kniekurzer Zimmererhose auf seinem Gelände, das so groß ist wie ein Fußballfeld. Tuffsteinblöcke, Marmorsäulen, ein Jugendstilpavillon und sogar das komplette Türmchen vom Dach einer Spielzeugfabrik lagern auf dem Kiesboden wie die Pappmaché-Requisiten einer Opernbühne. Nur dass hier alles echt ist.

In der Küche des Ziegel-Fachwerkhauses, das ihm als Büro und Lager dient, berichtet Häberle von seinen Anfängen. Wie er sich in ein altes Gemäuer verliebte und unter den Linoleum-Scheußlichkeiten nach und nach die alte Substanz freilegte. Er machte sich auf die Suche nach Originalbaustoffen und merkte, dass es einen Markt dafür gibt. Zuerst war es eine Nische. Seit dem Start seines Online-Shops 2010 bewegten sich die Geschäfte "auch preislich auf neuem Niveau". Früher war der gelernte Zimmerer ein Ein-Mann-Unternehmen, inzwischen hat er drei Mitarbeiter und einen Lastwagen angeschafft.

Ihre Ware holen sich die UHB-Mitglieder aus Abbruchhäusern, aufgelassenen Fabriken, baufälligen Schulen oder Gasthäusern. Die Zeiten, in denen sie als Sonderlinge bestaunt wurden beim Abtransport von Treppengeländern, ganzen Klinkerwänden oder Waschtischen aus fleckigem Porzellan, sind vorbei. Viele arbeiten mit örtlichen Behörden und Vereinen zusammen, man informiert sich gegenseitig über Abrissprojekte.

Und dass die Inhaber der betreffenden Immobilie kein Geld wollen für das Ausweiden, weil sie froh sind, die Kosten der Entsorgung zu sparen, kommt auch nicht mehr oft vor. Geschichte ist ein Geschäft geworden. Spezialisierung inklusive: Ein Anbieter im Breisgau beschränkt sich auf Kleinteile, Beschläge, Haken. Martin Häberle hat unter seinem Dach 1300 historische Lampen gelagert. Man passiert beim Hinaufsteigen ein Depot ausgesucht schöner Jugendstilfliesen und ertappt sich kurz bei dem irrwitzigen Gedanken, zuhause spontan das Bad ganz neu, also auf alt zu machen. Oben dann die Leuchten, vom klassisch schlichten Bauhausmodell bis zur abmontierten Fabriklaterne in der Größe eines Kühlschranks.

Handbemalte Wandfliesen. (Foto: Historische Baustoffe Ostalb)

Ein Stück wie die enorme Laterne muss natürlich zur Frage nach den Abnehmern führen. Wer kauft das? So einen gewaltigen Leuchtkörper oder den geschmiedeten Pavillon draußen, all die geschnitzten Türrahmen? "Idealisten laufen genug herum", sagt Häberle. Leute, die ihr Domizil bis zum letzten i-Tüpfelchen authentisch herrichten. Ein Faible für sperrige Einzelteile haben viele der neuen Kunden, die es ohne große Sammlerleidenschaft auf ein markantes Objekt abgesehen haben. Übrigens oft für die recht konventionell eingerichtete Doppelhaushälfte, berichtet Häberle. "Aber das eine verwitterte Fenster als Durchreiche, die riesige Industrieuhr an der Wand, das muss sein."

Er ließ das Haus abtragen, auf Laster laden und 25 Kilometer weiter wieder aufbauen

Soziologen und Architekturhistoriker sehen darin eine zeittypische Sehnsucht nach Verankerung. Der virtuelle Raum ist endlos, die Gegenwart bedrohlich mit jäh wechselnden Konflikten, Naturphänomenen, Konjunkturen. Was tröstet, sind kleine Fluchten in die Geschichte. Ein Gegenstand mit beruhigend hohem Alter wird, egal wie zweckentfremdet, zum Geborgenheitsversprechen. Oder, noch so ein schönes Wort aus der Forschersprache, zur "Verortungsgeste".

Da ist es dann nicht weit zum einen oder anderen grotesken Auswuchs, wie sie Harry Enfield parodiert. Natürlich haben die Baustoffhändler solche Geschichten auf Lager, von der Frau Doktor aus der Großstadt, die ihre Fünf-Meter-Bohlen aus Pitchpine Holz im Smart abtransportieren wollte. Oder der Professor mit den gedrechselten E-Mails, der für sein Heim ein wirklich absonderliches Stil- und Epochensammelsurium anschaffte.

Häberle ist Kaufmann genug, um für sie alle Verständnis zu haben. Außerdem ist er selbst Idealist. Sein Firmensitz ist eine alte Schreinerei aus der Gegend - und ein Beispiel dafür, wie weit man gehen kann, wenn man sich mit historischen Materialien umgeben will. Das Fachwerkhaus wurde von den Dachsparren bis zum Holzboden sorgfältig abgetragen, auf Laster verladen und in 25 Kilometer Entfernung auf der Höhe über Söhnstetten wieder aufgebaut. Translozierung nennt sich so eine aufwendige Aktion. "Man kann süchtig werden nach den alten Sachen", sagt er.

© SZ vom 10.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: