Mode:Adiletten fürs Bücherregal

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Abschlusstraining der deutschen Fußball-Nationalelf im Stadion St. Jakob-Park vor ihrem jüngsten Spiel gegen die Schweiz. Leroy Sane kommt mit Adiletten zu einem Interview. (Foto: Christian Charisius/dpa)

Wurde früher kaum etwas aufgehoben, pflegen inzwischen fast alle Marken ein aufwendiges Archiv. Die ikonischen Schuhmodelle von Adidas sind nun sogar als Buch erschienen.

Von Silke Wichert

Alles muss raus. Das galt früher nicht nur beim Schlussverkauf, auch Designer und Marken wollten ihre alten Kollektionen möglichst schnell loswerden. Sie aufzubewahren kostete schließlich Platz, und nur einmal vorgeführte Musterstücke ließen sich noch an Stammkunden verkaufen oder als Gegenleistung für kleine Gefälligkeiten verschenken. In den Siebziger- oder Achtzigerjahren ahnte man noch nicht, dass im 21. Jahrhundert ständig von Dingen wie "Heritage" die Rede sein würde und ein Firmenarchiv nicht nur Inspirationsquelle für Nachfolger, sondern auch allgemeine Eintrittskarte in die vielbeschworene Welt einer Marke sein könnte.

Legendär ist die Geschichte von Alexander McQueen, der in den Neunzigerjahren eine seiner ersten Kollektionen, in einem Müllsack verstaut, versehentlich in einem Londoner Club liegen ließ, weil er sich die Garderobengebühr hatte sparen wollen. Am nächsten Tag war die Tüte natürlich entsorgt und die Kleider, die heute von unschätzbarem Wert wären, für immer verloren. Yves Saint Laurent war einer der wenigen, der schon seit 1964 seine wichtigsten Couture-Entwürfe aufhob.

Heute dagegen pflegen fast alle großen Marken ein Archiv. Bei Dior beispielsweise werden rund 10 000 Teile gehortet, von denen viele über die Jahre auf Auktionen und von Privatleuten zurückgekauft wurden. Alle fein säuberlich katalogisiert, bei konstanten 18 bis 19 Grad und 50 Prozent Luftfeuchtigkeit gelagert, berührt werden dürfen sie nur mit klinisch reinen weißen Handschuhen. Alles wie bei teuren Museumsstücken, die sie im Grunde ja auch sind: Dior und andere Häuser organisieren regelmäßig Ausstellungen mit ihren Schätzen, die heute weltweit ein Massenpublikum anlocken. Die Archive selbst sind jedoch hermetisch abgeriegelt und nur den jeweiligen Designern und ausgewählten Gästen zugänglich.

Turnbeutel und Schuhkartons unter Museumsbedingungen

Auch Adidas verfügt in Herzogenaurach mittlerweile über eine solche Sammlung. Ebenfalls unter Museumsbedingungen lagern hier die wichtigsten Produkte der Markengeschichte, Bälle, frühe Turnbeutel, Schuhkartons - und vor allem Schuhe mit den drei Streifen. Etwa die Fußballstiefel, mit denen Stürmer Max Morlock beim "Wunder von Bern" 1954 das Tor in der 10. Minute schoss - mit Stollen vorne und hinten. Oder ein reinweißer Tennisschuh namens "Robert Haillet" von 1965, der später in "Stan Smith" umbenannt wurde, heute einer der meistverkauften und -kopierten Sneaker überhaupt. Der "Ultrastar" erzählt von einer anhaltenden Allianz zwischen Sport und Musik: Nachdem Run DMC 1986 in "My Adidas" das Modell "Superstar" besungen hatten, bekamen sie mit dem "Ultra" ihren eigenen Entwurf, eine Ehre, die vorher nur Athleten zuteil geworden war.

Damit erzählt dieses Archiv neben der üblichen Designhistorie gleich noch Sport- und letztlich auch Kulturgeschichte. Weil es jedoch genau so wenig für die allgemeine Öffentlichkeit zugänglich ist, das Interesse vor allem an Turnschuhen aber in den vergangenen Jahren immens gestiegen ist, hat der Taschen-Verlag nun kürzlich die komplette Schuhkollektion als Buch veröffentlicht. "The Adidas Archive" ist ein 644 Seiten starker Katalog, der mit unzähligen Produktabbildungen zunächst einmal die Evolution des Sportschuhs erzählt, quasi vom harten Neandertaler-Lederleisten hin zum Hightech-Sportgerät und bunten Fetischobjekt von heute. Anschaulich ist das allein schon deshalb, weil viele Modelle tatsächlich gelebte, beziehungsweise "getragene" Geschichte sind: Sie wurden hier in all ihrer ausgebeulten Pracht abfotografiert, ein echter Beckenbauer mit Rissen, Löchern und abgewetzten Streifen, Stefan Edbergs "Torsion"-Tennisschuhe von 1992 sind rot gefärbt von langen Sandplatzmatches, manch besonders erfolgreiches Paar wurde im Anschluss sogar vergoldet, wie das Modell "Hat-Trick", das Gerd Müller bei der WM 1974 trug.

Natürlich wird anhand der verschiedenen Entwicklungen auch die Firmengeschichte erzählt. Von den frühen Entwürfen der Gebrüder Dassler in der elterlichen Waschküche Mitte der Zwanzigerjahre, zu den ersten Erfolgen bei den Olympischen Spielen 1936, bis zur Umstellung auf Kriegsproduktion 1943 und der Trennung der Brüder wenige Jahre später. Rudolf gründete daraufhin Puma, während Adolf, "Adi", Dassler 1949 seine neue Firma Adidas nannte.

Zuletzt fielen die Schlagzeilen weniger positiv aus

Bald rüstete der ewige Tüftler die deutsche Fußballnationalmannschaft aus und stieg zum "Schuster der Nation" auf. Heute ist aus Adidas ein Weltkonzern geworden, der Kollektionen mit Stella McCartney, Beyoncé und unlängst Prada lanciert und 2019 knapp zwei Milliarden Euro Gewinn erzielte. Zuletzt fielen die Schlagzeilen bekanntlich weniger positiv aus. Erst weigerte man sich zu Beginn der Corona-Krise, die Ladenmieten zu zahlen, dann machten Rassismusvorwürfe innerhalb des Unternehmens die Runde. Nicht ganz so glorreiche Kapitel wie die aus den vergangenen Jahrzehnten, die im Taschen-Buch in kleinen Text-Häppchen erzählt werden.

Vieles davon dürfte auch für Nicht-Sneaker-Heads interessant sein: Bei einem handsignierten Stiefel von Muhammad Ali aus den Sechzigerjahren erfährt der Leser, dass dort noch die Troddeln am Schaft fehlen, die Dassler später hinzufügte, damit die tänzelnden Bewegungen des Box-Champions besser zur Geltung kamen. Kinder der Siebziger werden sich über das Wiedersehen mit der Anleitung zum "L.A. Trainer" freuen. Die auswechselbaren, farbigen "Fersenbolzen" sollten die Dämpfung der Mittelsohle variieren, wurden aber vor allem zum modischen Posen auf dem Pausenhof genutzt.

Unfreiwillig aktuell erscheint die Anekdote zur ersten, zunächst noch mit schmaleren Streifen versehenen Adilette, die Fußballer bei der WM 1970 in Mexiko trugen. Dass er damit einen Klassiker schaffen würde, der mittlerweile sogar auf der Straße getragen wird, wäre Dassler nie in den Sinn gekommen. Die Latschen sollten lediglich rutschfest und vor allem: desinfizierbar sein.

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