Lokaltermin:Ristorante Local, Venedig

In diesem schnörkelfreien, kleinen Restaurant vermisst ein junges Team Venedig und seine Schätze neu.

Von Max Scharnigg

Venedig gehört zu den Städten, von deren tatsächlicher Existenz man sich einmal im Jahr unbedingt selbst überzeugen sollte. Im frühen Winter, wenn Santa Maria della Salute nur halb aus dem feinschaumigen Nebel taucht und die Palazzi sich scharf gegen den grauen Himmel abzeichnen, ist es besonders berückend und auch vergleichsweise leer. Im Local sollte man dennoch reservieren, denn das Restaurant von Matteo Tagliapietra ist auch in einer Stadt mit so vielen Küchen etwas Besonderes. Der junge Koch hat nach einer Lehrzeit in diversen Sterneküchen, zuletzt im Kopenhagener Noma, den Weg in seine Heimatstadt zurückgefunden und stellt sich seit einem guten Jahr der Aufgabe, die zeitgeistige Produktakribie mit der stolzen venezianischen Küche zu vermählen.

Bedeutet: So modern wie in dem kleinen Gastraum an der Salizzada dei Greci geht es in der versinkenden Stadt selten zu. Schon die offene Küche und die Einrichtung sind betont anti-palazzo, allerdings auch weit weg von der einladenden Noma-Ästhetik. Wenn man puristisch die Teller auf den blanken Tisch stellt, sollte der nicht Eichenfurnier rustikal sein und die kühle Beleuchtung jede falsche Maserung bis an den Grund ausleuchten. Der Service aber ist vielgesichtig und das Team sehr jung, was den kühlen Raum zügig erwärmt. Auf Nachfrage werden auch Musik und Licht im Separee gedimmt, grazie.

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Das Menü (65 Euro) beginnt mit sehenswerten Kleinigkeiten: Chips von Wurzelgemüse und einem tiefgelben Kürbiswürfel, der rustikal abgeflämmt und auf Mandelmayonnaise drapiert wurde. Die schwarzgebrannten Kanten und das cremige Fleisch des Kürbis sind ein Punktgewinn beim Spiel mit den Texturen, das danach nicht mehr ganz so konzentriert verfolgt wird. Der nächste Gang überrascht weniger durch sein Wesen - schließlich ist Polpo hier allgegenwärtig - als durch die schiere Menge. Eine kapitale Tintenfischtube vom Grill, dazu noch zwei kleine Knusperkraken liegen auf Tellern, die aussehen, als hätte Cy Twombly seine Finger im Spiel gehabt: dramatisch abstrakte Landschaft aus Spinatklecksen und gelber Vinaigrette mit Kopffüßlern. Letztere sind eine wahre Freude, die scharfe Holzkohlenhitze und das frische Orangendressing sind genau der richtige Hebel für das mild-süßliche Fleisch. Einfach ist das, aber berauschend schön und eben: Venedig.

Gereicht wird dazu ein Orto di Venezia (48 Euro), der einzige Wein, der in der Lagune wächst und produziert wird, nämlich auf der kleinen Gemüseinsel San Erasmo. Sein mineralisch-salziger Charakter, die leuchtende Farbe und eine elegante, hohe Rostnote im Abgang machen den Wein zur Idealbegleitung für das Fischmenü - und er unterstreicht die Bemühung des Local, Schätze aus der Nachbarschaft zu feiern.

Aber sie machen hier auch kein Dogma daraus. Das gereichte Olivenöl "Tritone" etwa kommt aus Sizilien, und auch die Makrele im nächsten Gang war vermutlich etwas weiter hinten im Mittelmeer wohnhaft. Matteo Tagliapietra serviert rohe Tranchen von dem Fisch und schlägt dazu ein paar Aromensalti: Pastinakencreme, Passionsfrucht, Lebkuchengewürze und Löwenzahn bilden die Garnitur. Im Gaumen gibt das ein Orchester, bei dem alle Instrumente gleichzeitig gespielt werden: süß das Gewürzbrot, sauer-fruchtig das Passionsmark, hellbitter der Löwenzahn und schließlich salzig und umami die Makrele. Die Synapsen jodeln, trotzdem ist dieser Teller ein bisschen zu viel Theorie. Man staunt, aber vergisst dabei das Klatschen, vielleicht auch, weil Makrele nicht der tollste rohe Fisch ist.

In einem Satz

Keine karierten Tischdecken und tropfigen Kerzen: spannende venezianische Küche mal ganz ohne Gastro-Folklore.

Qualität: ●●●●○

Ambiente: ●●●○○

Service: ●●●●●

Preis/Leistung: ●●●●●

Helle Aufregung dafür beim "lebenden" Risotto. Hauchdünn gehobelte Fetzen vom getrockneten Bonito (dem in Japan so elementaren "Katsuobushi") stecken dabei in einer kleinen Lagune aus Risotto. Durch die Wärme der Reiskörner zappeln die Blättchen lebensecht wie winzige Schwanzflossen, sodass man eine Minute lang nicht zum Besteck greift. Der Duft, der aus diesem Schauspiel aufsteigt, ist betörend, den Fond für das Risotto kocht der Chef aus Schwarzgrundeln. Fingerlange und stiernackige Lagunenbewohner sind das, die bisher in der hohen Küche wenig Würdigung erfahren haben, da sie fast nur aus Kopf und Wirbel bestehen. Aber ihr Sud wärmt jetzt das Gemüt doch nachhaltig. Ja, denkt man, mit so einem Risotto und recht viel Grundelbrühe könnte man den Winter vermutlich auch im zugigsten Hotelzimmer dieser Stadt überstehen.

Endpunkt des Menüs im Local ist dann ein Filet vom Wolfsbarsch. Bei aller perlweißen Fleischigkeit ist der tadellose Fisch aber nicht der Star, denn er wird begleitet von der "Blüte des venezianischen Winters", dem Tardivo. Für diesen dekorativen Superradicchio wird in Venetien viel Aufwand betrieben. Den Gemüsebauern in Treviso verlangt er eine Menge Arbeit ab, bis er mit seinen extravagant tiefroten und eingerollten Langblättern verkauft wird; zwei Frostnächte auf dem Feld braucht er bis zur Marktreife. Kurz geschmort ist er, elegant und mild, viel mehr als nur Salat. Wie schön, dass es auch so farbenfrohes und delikates Wintergemüse gibt. Und wie schön, dass Venedig einen Koch hat, der zwischen Kirchen und Palazzi an einer ganz neuen Sehenswürdigkeit baut.

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