Fashion Week:Rückzug und Exzess

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Bei den Männerschauen in London reagieren die Designer auf die bedrückende Weltlage. Ihre Botschaften könnten kaum unterschiedlicher sein.

Von Dennis Braatz

Wer mit Mode nichts zu tun hat, bringt ihre Themen oft am besten auf den Punkt. Zum Beispiel der Taxifahrer im Stau auf dem Weg zur Burberry-Show, mitten auf der Bond Street, Londons teuerster Einkaufsmeile: "Das ist alles wunderschön", sagt er mit Blick auf die Schaufenster, "aber warum zum Teufel hängen mitten im Winter überall schon Sommerteile?"

Seit vergangenem Jahr sucht die Branche nach einer Ausfahrt von der Überholspur. Das Tempo ist zu hoch geworden. Manche haben schon einen Crash erlebt: Dior und Lanvin etwa, deren Designer im Oktober fast zeitgleich ausgestiegen sind oder gehen mussten. Sie wollten neben den Haupt- nicht auch noch immer mehr Zwischenkollektionen entwerfen und im Netz vermarkten müssen - um die Umsätze zu steigern und mit der Fastfashion-Konkurrenz Schritt zu halten. (Dadurch die immer früheren Liefertermine!) Die Männermodewoche in London war nun die erste nach diesen Ereignissen. Ihre Designer haben darauf reagiert, mit völlig unterschiedlichen Lösungsvorschlägen.

Allen voran Burberry, wo man wohl die Notbremse ziehen will. Im Vorfeld wurde bekannt gegeben, dass die Laufsteg-Linie "Prorsum" mit allen Untermarken zusammengelegt wird, um aus 18 Kollektionen im Jahr nur noch sechs zu machen. Das lässt schon mal auf weniger Metallic und Spitze als in den Vorjahren schließen, aber dafür mehr Tragbarkeit erahnen. Gezeigt wird vor allem militärische Outerwear, Trench- und Dufflecoats und Bomberjacken in Übergröße. Darunter sportive Zip-Tops, ausgestellte Hosen und ziemlich weite Zopfstrickpullover. Alles wunderschön, verkäuflich und wenig exzentrisch, bis auf die Pailletten-Teile. Einen klaren Trend gibt es nicht mehr. "Es geht jetzt darum, die unterschiedlichen Marken-Welten in eine Spur zu kriegen", sagt der Chef, Christopher Bailey, höchstpersönlich.

Es ist ein Schutzmechanismus im doppelten Sinne. Denn das erste große Mode-Thema für den Mann im nächsten Winter lautet: sich einhüllen und verstecken, vor der bösen Welt dort draußen. Dass die Nachrichten über Flüchtlingsströme, Terroranschläge und -regime die Arbeit der Designer nachhaltig beeinflusst haben, davon sprechen in diesen Tagen alle Kritiker.

In Erinnerung bleiben vor allem die gefütterten Teddy-Pullover von Lou Dalton. Natürlich auch Craig Greens Kapuzen, die sich über dem Kopf so zusammenziehen lassen, dass nur noch die Augen herausschauen. Der Titel von Christopher Shannons Kollektion: "The Comfort and the Terror." Und selbst bei der kommerziellen Biker-Marke Belstaff gibt es Parkas, die Polar-Expeditionen standhalten können. So viel zu der leisen Fraktion.

Ganz anders lief es dagegen bei J.W. Anderson ab. Der Mann drückte in letzter Zeit wie niemand sonst aufs Gaspedal, indem er das Gender Bending, das Spiel mit den modischen Geschlechtergrenzen, mit seinem eigenen Label etablierte, und nebenbei die Marke Loewe wieder auf Kurs brachte. Aktuelle Schlagzahl an Kollektionen pro Jahr: zehn - Accessoires-Linien noch nicht mitgezählt. Vor seiner Show wurde bekannt, dass sie im Livestream auf Grindr, der Dating-App für Homosexuelle, übertragen wird. Das hat #jwanderson auf Instagram natürlich schon zum Explodieren gebracht, bevor auch nur ein einziger Look öffentlich zu sehen war.

Grobes Thema der Kollektion? Die Raver der 90er-Jahre, davon zeugen metallisch schimmernde Westen und weit ausgestellte Hosen, Haare im Wet-Look samt Zickzack-Reifen und Plüschpelz. Es liegt Sex und Leichtsinn in der Luft. Das ist radikal, aber nicht immer schön, so wie das Symbol der Schnecke, das überall auf Anzüge, Jacken und Mäntel gesteppt, appliziert und gedruckt ist. Vielleicht ja eine Anspielung auf alle, die jetzt das Tempo verlangsamen wollen? Anderson sagt es backstage so: "Unsere Welt wird immer schneller. Nicht Schritthalten ist keine Option."

Hier liegt dann auch die zweite große Botschaft der Londoner Männermodewoche: Trotz all der schlimmen Nachrichten weitermachen, sich trauen, den Exzess leben, jetzt erst recht. Das wird bei Moschino deutlich, wo Techno-Beats in Rekordlautstärke schier untragbare Anzüge, Bomber- und Bikerjacken in Neonfarben begleiten. Die Kollektion wird übrigens mal wieder Wochen vor allen anderen im Laden hängen. Oder bei Diesel: Der Jeans-Gigant ist nur nach London gekommen, um zur Vorstellung seiner neuen Kampagne eine Party zu schmeißen. Sie thematisiert den Hype ums Digitale, Social Media, Instagram und Hashtags. Scheinbar nebenbei wurde dann auch noch erklärt, dass die Unterwäschelinie auf Youporn und Pornhub beworben wird, den weltweit größten Pornoseiten.

Man kann das jetzt natürlich alles etwas zu radikal finden. In jedem Fall aber ist es unterhaltsam. Und wie wichtig Unterhaltung ist, wird dann auch noch mal am letzten Tag in London klar. Es ist der Todestag von David Bowie. Stylisten und Redakteure schießen im Sekundentakt R. I. P.-Postings durchs Netz. Bei Burberry malt sich ein Model vor ihrem Auftritt "BO-WIE" in die Handflächen und hält sie im richtigen Moment den Laufsteg-Fotografen entgegen. Das Bild läuft sofort in den News-Portalen rauf und runter. Bis in die frühen Abendstunden trauert die Modewelt so um eine ihrer größten Ikonen.

Dann, ganz zum Schluss, kommt Bobby Abley. Der Newcomer wurde mit einer Show bekannt, für die er seinen Models mal mit Zahnspangen die Münder sperrangelweit geöffnet hat. Dieses Mal tragen sie ein Mash-up aus Disney und Karneval in Rio: Hoodies mit Donald-Duck-Prints und Hosen und Strümpfe aus Federn, knappe Badeshorts und sonst nichts. Applaus und Jubelrufe. In den Kritiken zur Show wird am nächsten Tag immer wieder ein Satz stehen: "Endlich was, das uns mal alle aufgeheitert hat!"

© SZ vom 16.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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