Accessoires:Neue Tragweiten

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Taschen "made in Germany" waren einst weltberühmt. Mit Stiebich & Rieth, Tsatsas und PB 0110 wollen nun drei neue deutsche Labels die Erfolgsgeschichte fortführen.

Von Quynh Tran

Es ist nur noch ein Fragment, aber das Fabrikportal auf dem Vorplatz des Offenbacher Ledermuseums lässt erahnen, dass hinter dieser Schwelle einmal etwas Großes gewesen sein muss. Auf dem Medaillon des Torbogens steht er noch: J. Mayer & Sohn, ein Name, den kaum noch jemand kennt, der aber einst als weltgrößter Produzent von hochwertigem Chevreauleder den Glanz der deutschen Lederindustrie verkörperte.

1776 begann hier mit der Gründung einer Etuifabrik ein Gewerbe, das mehr als zweihundert Jahre florierte und eine ganze Reihe ikonischer Taschen hervorbrachte. Zum Beispiel die Aktenkoffer von Seeger und Mädler, die als die besten der Welt galten und von Leonard Bernstein, Frank Sinatra und Margaret Thatcher getragen wurden. Oder die Damentaschen von Goldpfeil: Die Marke betrieb sogar Läden auf der Fifth Avenue und dem Rodeo Drive. Zeitweise wurden sie in einem Atemzug mit Louis Vuitton und Chanel genannt. Deutsche Luxusmarken wie Aigner, Escada, MCM, Jil Sander und Montblanc haben hier auch produziert, ebenso wie Christian Dior in den Fünfzigerjahren.

In den Siebzigerjahren kam jedoch der Einbruch. Firmen wanderten ab, weil sie plötzlich in anderen Ländern mit größerer Arbeitskraft zu einem geringeren Preis produzieren konnten. Zudem griffen die Konsumenten immer häufiger nach niedrig- und mittelpreisigen Produkten. Traditionsmarken wie Seeger, Mädler und Goldpfeil meldeten Konkurs an. Picard blieb, um das Premiumsegment und Gütesiegel "Made in Germany" zu verteidigen, galt aber schnell als verstaubt.

Schultertaschen vom Designer-Duo Stiebich & Rieth. (Foto: Stephan Abry)

"Die klassische deutsche Lederindustrie in Offenbach war bis vor Kurzem fast am Boden. Aber in den letzten Jahren haben sich ganz neue Ansätze mit einer reduzierten Sprache entwickelt," sagt Julia Rieth. Sie hat mit ihrem Partner Detlef Stiebich 2012 in Hamburg das Taschen-Label Stiebich & Rieth gegründet. Im selben Jahr haben Esther Schulze-Tsatsas und Dimitrios Tsatsas mit ihren schlichten TsatsasTaschen wieder Aufbruchstimmung nach Offenbach gebracht. In Hannover hat sich Philipp Bree vom Familienbetrieb Bree losgesagt und mit PB 0110 eine minimalistische Linie entwickelt, die deutsches Design und Handwerk neu interpretiert.

Stiebich & Rieht, Tsatsas und PB 0110 gehören zu einer Klasse neuer deutscher Taschenmacher, die mit ihrem Namen alte Handwerkstugenden in die Jetztzeit tragen und damit so erfolgreich sind, dass man sie fast schon als kleines Phänomen bezeichnen könnte.

Die Taschen von Julia Rieth und Detlef Stiebich werden von Anfang bis Ende in der Umgebung von Hamburg hergestellt. Statt am Computerbildschirm und auf Papier technische Skizzen zu wälzen, entstehen die Prototypen hier gleich dreidimensional in Handarbeit. Jedes Modell wird probegetragen, bis es in Produktion geht, und die ist aufwendig und zeitintensiv. Allein das Gerben des Leders mit pflanzlichen Mitteln kann bis zu 40 Tage dauern. Dann werden die Einzelteile, je nach Modell sind es 30 bis 45 Lederbausteine plus Messingbeschläge, händisch zugeschnitten. Die Nähte werden vorgestanzt und mit dem zweinadeligen Sattlerstich zusammengenäht, weil das Leder so fest ist, dass es maschinell nicht zu machen wäre. Diese Herstellungsart, die übrigens der von Hermès durchaus ähnelt, hat ihren Preis: 800 bis 2500 Euro kosten die Taschen. "Darüber hat sich aber bisher niemand gewundert. Weil die meisten verstehen, wie viel Arbeit dahintersteckt," sagt Julia Rieth.

Der Shopper "Fluke" von Tsatsas. (Foto: Tsatsas)

Die Verbindung zwischen Design und Verarbeitung ist auch bei Tsatsas das Kerngeschäft. "Für uns ist eine Tasche kein modisches Accessoire, so denken wir nicht, und so produzieren wir nicht. Unsere Tasche muss Jahre überdauern können, und das muss die Gestaltung, in der Ästhetik und Funktionalität gleichwertig sind, mittragen", erklärt Esther Schulze-Tsatsas.

Das Ganze wird in der heimischen Produktionsstätte von Dimitrios Tsatsas Vater realisiert, der als Offenbacher Feintäschner schon über Jahrzehnte für Escada und MCM produzierte. Nach der Schließung vieler heimischer Marken ging es auch für ihn bergab. Jetzt ist Tsatsas wieder auf Wachstumskurs. ",Made in Germany' wird wieder wichtiger, es wird vor allem in Asien nachgefragt und geschätzt. Und wir wollen den Familienbetrieb aufrechterhalten. Es gibt noch Kapazitäten, die man ausbauen kann", so Tsatsas.

Der Nachwuchs steht für puristisches Design, Qualität und Funktionalität

Auch bei Philipp Bree liegt das Handwerk in der Familie. Seine Eltern Wolf Peter und Renate Bree haben in den Siebzigerjahren Taschen aus Naturleder hergestellt, die zu Ikonen einer ganzen Generation wurden. Ausgangspunkt für Philipp Brees eigenes Business war ein Weekender, den sein Vater ihm vor 28 Jahren geschenkt hat und der ihn seitdem treu begleitet.

Die Beständigkeit dieses Produkts will er bei PB 0110 fortführen. Insgesamt fünf Designer feilen an den Kollektionen; Bree und seine Frau überprüfen vom Design über die Produktion in einem polnischen und einem tschechischen Familienbetrieb alles ganz genau. Dass bisher nicht in Deutschland produziert wird, hat - wenig verwunderlich - auch mit den Kapazitäten zu tun. "Für unsere Art von gegerbtem Leder sind die Betriebe in Tschechien und Polen europaweit die Experten", sagt Bree. Er kenne sie seit Jahren persönlich, wisse, was sie können und was nicht. "Das hat weniger etwas mit den Produktionskosten, sondern viel mehr mit der Qualität zu tun. Momentan sind wir aber auch mit deutschen Betrieben für künftige Produktionen im Gespräch."

Eine Umhängetasche von PB 0110. (Foto: PB0110)

Im Gegensatz zu den rustikalen Bree-Taschen denkt man aber bei PB 0110 sofort an Bauhaus-Funktionalität und zeitgenössischen Minimalismus. "Das Zurückgenommene ist zu einem Zeichen unserer Zeit geworden, und da passen wir und auch die deutsche Ästhetik ganz gut rein", glaubt Philipp Bree. "Wenn wir im Ausland sind, wird uns häufig gesagt: ,It's very German' - aber im guten Sinne."

Genau diese Verbindung zwischen zeitlos puristischem Design, der Funktionalität und dem Qualitätshandwerk eint PB 0110, Tsatsas und Stiebich & Rieth. Die jungen deutschen Taschenmacher machen kein vorübergehendes Mode-, sondern ein langlebiges Designprodukt und treffen damit ein Lebensgefühl, das mit dem Überkonsum der letzten Dekaden nichts zu tun hat und Reduktion und Beständigkeit umso mehr schätzt.

Zudem hat sich in den letzten Jahren die Wahrnehmung von dem, was deutsch ist, verändert. "Die Leute interessieren sich dafür, wie Dinge hergestellt werden. Gleichzeitig steht Deutschland durch die politische Diskussion international in einem anderen Licht da und genießt eine positive Aufmerksamkeit, von der auch die Kultur- und Kreativindustrien profitieren", sagt Bree. "Made in Germany", so hat die Schweizer Universität St. Gallen erst in diesem Sommer in einer Umfrage ermittelt, ist im internationalen Vergleich zum beliebtesten Länderprädikat für Waren und Dienstleistungen geworden.

Das spiegelt sich auch in der Entwicklung der deutschen Taschenmacher: Man sieht sie nicht nur hierzulande in Hochglanzmagazinen wie Vogue, sondern auch in internationalen Editorials und Design-Heften wie Wallpaper. Stiebich & Rieth und PB 0110 sind seit ihrer Gründung jedes Jahr um 50 Prozent gewachsen, Tsatsas hat sich bisher sogar jedes Jahr verdoppeln können.

Stiebich & Rieth ist vor allem in Deutschland, der Schweiz und Frankreich vertreten. Für Tsatsas hat es erst im Ausland mit Bestellungen aus Zypern und London angefangen, danach entwickelte sich das Geschäft in Asien immer besser. Erst vor ein paar Wochen trug Hillary Clinton ein Modell des Duos auf einer Wahlkampfreise. Deutschland ist, obwohl sie bei bekannten Einkaufsadressen wie dem Store von Andreas Murkudis in Berlin oder Bungalow in Stuttgart vertreten sind, weniger relevant. PB 0110 ist mittlerweile in mehr als hundert Shops vertreten, sowohl in Deutschland als auch international, bei Matches in London, The Broken Arm in Paris oder Isetan in Tokyo.

Vielleicht ist es mit dem deutschen Taschenhandwerk wie mit guten Songs: Manchmal werden sie vergessen. Wenn sie aber als Coverversion wiederkommen, sind sie beliebter als je zuvor.

© SZ vom 19.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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