125 Jahre Reißverschluss:Zipp, zipp, hurra!

panorama reißverschluss

In den 1920er Jahren waren Zipper noch etwas Besonderes. Welcher Schuhhändler würde heute mit dem Zusatz "Mit Reißverschluss" werben?

(Foto: goodrich)
  • Am 29. August 1893, also vor genau 125 Jahren, meldete Whitcomb Judson seinen so genannten "Klemmöffner und Klemmschließer für Schuhe" zum Patent an.
  • Die Erfindung brachte Veränderungen mit sich, die über das Öffnen und Schließen von Schuhen und Taschen weit hinausgehen.
  • Mittlerweile ist der Reißverschluss uns so vertraut, dass uns seine Existenz vor allem dann bewusst wird, wenn er klemmt.

Von Violetta Simon

Wenn man bedenkt, wie Schnürstiefel, Korsetts und Kleider bis Mitte des 19. Jahrhunderts zusammengehalten wurden, grenzt es an ein Wunder, dass die Menschheit im Biedermeier nach all dem Gefummel an Ösen, Schnüren und Haken überhaupt noch die Energie hatte, sich fortzupflanzen. So gesehen ist es wirklich ein Glück, dass der Amerikaner Whitcomb Judson einige Jahre später die Geduld verlor. Am meisten ärgerte ihn, dass die Schnürsenkel hoher Stiefel so viel Zeit beanspruchten.

Schon vor ihm hatten sich Ingenieure und Erfinder an der Lösung des Problems versucht. Doch erst mit dem sogenannten Klemmöffner und Klemmschließer für Schuhe, den Judson am 29. August 1893, also vor genau 125 Jahren, zum Patent anmeldete, entstand ein brauchbares Exemplar. Zwar schloss es noch mit Haken und Ösen und wies ein paar Schwächen auf, doch nach einigen Verbesserungen durch Judson selbst sowie den amerikanisch-schwedischen Ingenieur Gideon Sundback kam 1909 ein hakenloses Modell auf den Markt, wie wir es heute kennen.

Die Erfindung von Judson und seinen Kollegen brachte Veränderungen mit sich, die über das Öffnen und Schließen von Schuhen und Taschen weit hinausgehen. Als Erstes wurde das US-Militär auf das Potenzial der neuartigen Technik aufmerksam: Mit einem einzigen Handstreich Wind und Wetter ausschließen zu können, bedeutete eine entscheidende Verbesserung, und so wurden die Kampfanzüge der Marinesoldaten und Lotsen im Ersten Weltkrieg entsprechend ausgestattet.

Nach Kriegsende fand der Zipper recht schnell Eingang in die Bekleidungsbranche. Heute ist er von Hosen, Röcken, Jacken, Handtaschen und Stiefeln nicht mehr wegzudenken, auch als optisches Accessoire wird er häufig eingesetzt. Ende der 1920er-Jahre hingegen konnte man mit ihm noch schockieren: Die Designerin Elsa Schiaparelli etwa versetzte die Modewelt nicht nur mit Hosenröcken und Keilabsätzen in Aufregung, sondern, was als absolut vulgär galt, mit sichtbar eingesetzten Reißverschlüssen. "Sie ohrfeigte Paris, sie peitschte, sie folterte es - und Paris liebte sie dafür", schrieb Yves Saint Laurent über die Schiaparelli.

Stones-Cover mit funktionsfähigem Reißverschluss

Selbst Coco Chanel hat vom Reißverschluss profitiert: Die bekannteste kleine Handtasche der Welt, die Flap Bag, wäre wohl nur halb so berühmt ohne ihre Details. Dazu gehören neben dem Kettenriemen auch das Innenfach mit Reißverschluss, in dem die Modeschöpferin Briefe ihres Geliebten zu verstecken pflegte.

Eine besondere Würdigung erhielt der Reißverschluss jüngst als Kunstform durch den Bildhauer Alex Chinneck im englischen Ashford: Anfang August verwandelte der für seine architektonischen Illusionen bekannte Brite ein leer stehendes Bürogebäude in ein surreales Kunstwerk namens "Open To The Public". Indem Chinneck die Front mit einem gigantischen Reißverschluss versah, bekommt der Betrachter den Eindruck, er könne ins Innere hineinschauen.

Neues Kunstwerk in Großbritannien

Alex Chinneck, Erschaffer des Kunstwerks "Open to the public" vor dem riesigen Reißverschluss, der die Wände des leeren Bürogebäudes öffnet.

(Foto: Kirsty O'connor/dpa)

Auch in der Popkultur hat der Zipper Verwendung gefunden. Berühmtestes Beispiel: das von Andy Warhol entworfene Cover des Stones-Albums "Sticky Fingers" von 1971, das eine knallenge Jeans mit einem funktionsfähigen Reißverschluss zeigt. Ein wichtiges Detail, das auf späteren Auflagen fehlte, weil es angeblich andere Platten im Regal verkratzte.

Ein Reißverschluss birgt eben immer auch ein gewisses Risiko. Etwa, sich zu blamieren: Wehe, man präsentiert sich unfreiwillig und ahnungslos mit offenem Hosenstall. Wer die US-Komödie "Verrückt nach Mary" lustig fand, dürfte sich besonders über die Toilettenszene amüsiert haben: Da wird dem Bräutigam, gespielt von Ben Stiller, schmerzlich bewusst, dass er in einer Schrecksekunde den Reißverschluss seiner Hose zu schnell zugezogen hat.

Unvergessen auch, wie Roger Moore als James Bond mithilfe einer magnetischen Rolex mal eben den Reißverschluss des Kleides einer Frau öffnet. Und im Film "Man's Favorite Sport?" verfängt sich Rock Hudson als Sportartikelverkäufer Roger mit seiner Krawatte im Reißverschluss einer Damenhandtasche und muss der zugehörigen PR-Agentin Abigail hinterherhecheln - eine Szene, die den deutschen Filmtitel "Ein Goldfisch an der Leine" noch treffender erscheinen lässt. Einen größeren Auftritt hat später nur der Reißverschluss von Abigails Kleid, der an einem Stuhl hängen bleibt und beim Aufstehen ihre komplette Rückseite freilegt.

Der Reißverschluss ist der Freund des Grobmotorikers, er beeindruckt durch leichte Handhabung, nicht durch Raffinesse. Autofahrer haben das Prinzip aus gutem Grund zum Einfädeln übernommen. Und Internetvideos beweisen: Sogar Pferde sind in der Lage, einen Reißverschluss zu bedienen.

In der Mode jedoch wird aus Bequemlichkeit schnell Faulheit. Eine mit Zipper und Klettverschluss sozialisierte Generation beherrscht häufig nicht einmal das Binden einer klassischen Schleife. Und es bleibt die Frage, ob es in der Liebe nicht sinnlicher ist, ein Kleidungsstück langsam aufzuknöpfen als schnell aufzuzippen.

Mittlerweile ist der Reißverschluss uns so vertraut, dass uns seine Existenz vor allem dann bewusst wird, wenn er klemmt. Was genau da schiefgeht, ist den meisten bis heute unbegreiflich: "Kein Mensch kann sich erklären, warum der Reißverschluss funktioniert", schrieb schon Kurt Tucholsky 1928. "Niemand weiß es. Die Fabrikanten können ihn herstellen, aber sie wissen eigentlich auch nicht ganz genau, was sie da fabrizieren. Ich weiß es nicht. Du weißt es nicht. Wir wissen es alle nicht."

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