Zwischenbilanz der DFB-Elf:Löws Händchen und die Stinkefinger-Gefahr

Die deutsche Elf hat die EM-Vorrunde gemeistert - und wie: Der Bundestrainer verlässt sich auf sein Bauchgefühl, Lukas Podolski trifft sogar mit dem rechten Fuß, die Bayern-Profis haben ihre Chelsea-Trauer verarbeitet. Und dann sind da auch noch diese schönen Stewardessen. Die EM-Trends.

Thomas Hummel

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Zwischenbilanz der DFB-Elf:Der ewige Poldi

Denmark vs Germany

Quelle: dpa

Die deutsche Elf hat die EM-Vorrunde gemeistert - und wie: Der Bundestrainer verlässt sich auf sein Bauchgefühl, Lukas Podolski trifft sogar mit dem rechten Fuß, die Bayern-Profis haben ihre Chelsea-Trauer verarbeitet. Und dann sind da auch noch diese schönen Stewardessen. Die EM-Trends.

Aus Danzig von Thomas Hummel

Der ewige Poldi: Lukas Podolski gehört inzwischen zur deutschen Nationalmannschaft wie der Adler auf der Brust. Er gehört zu Joachim Löw wie die dichten schwarzen Haare. Sein Torjubel gehört zum Leben wie der Tatort am Sonntag. Lukas Podolski ist mit 27 Jahren der jüngste Fußballprofi, der je 100 Länderspiele für sein Land bestritt. In einem möglichen Finale zieht er mit Franz Beckenbauer gleich. Schießt er dabei noch ein Tor, steht er auf einer Stufe mit Karl-Heinz Rummenigge. Für jemanden, der gerade zum dritten Mal abgestiegen ist, nicht schlecht.

Lukas Podolski aber zeigte in dieser Vorrunde auch einen Reifeprozess. Als ihm der Bundestrainer gegen Portugal und die Niederlande sagte, er müsse fleißig in der Defensive mitrennen, tat er das vorbildlich. Podolski und Defensive ging mal zusammen wie Köln und Düsseldorf. Und sein Tor gegen Dänemark erzielte er mit dem rechten Fuß. Dabei hat der Tatort-Kommissar normalerweise einen talentierteren rechten Fuß als Lukas Podolski.

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Zwischenbilanz der DFB-Elf:Löws Händchen

EURO 2012 - Dänemark - Deutschland

Quelle: dpa

Löws Händchen: Mats Hummels? Mario Gomez? Jérôme Boateng? Lars Bender? Nun gut, keine schlechten Spieler. Aber hat der Bundestrainer nicht auf ewig seine erste Elf formiert. Würde nicht Miroslav Klose noch 2022 in Katar mit 44 Jahren Gerd Müllers Torrekord in den heißen Grund und Boden schießen? Und hinten organisiert Per Mertesacker mit 38 Jahren wie einst der Lothar die Abwehr.

Als am Nachmittag vor dem Portugal-Spiel in Lemberg die Aufstellung kursierte, sah man ausnahmslos in erstaunte Gesichter. Klose raus, Mertesacker raus. Dafür Hummels (ein Dortmunder!) und Gomez (ein Gomez!) rein. Und rechts Boateng (Kamikaze-Grätsche!). Ergebnis: Boateng stoppte Ronaldo, Hummels war bester Mann und Gomez schoss das einzige Tor. So ging es weiter: Gomez schoss im zweiten Spiel sogar zwei Tore, und als außer Löw keiner mehr Lukas Podolski sehen wollte, erzielte er das 1:0 gegen Dänemark. Das zweite, natürlich, gelang Lars Bender, dem Überraschungsgast rechts hinten. Joachim Löw hat ein sicheres Händchen entdeckt, seine Mannschaft im Kleinen zu erneuern. Wann wohl urplötzlich Miroslav Klose in der Startelf auftaucht?

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Zwischenbilanz der DFB-Elf:Freudiges Reservistendasein

Germany's Klose, Kroos,  Reus  and Goetze  sit on the bench their Group B Euro 2012 soccer match against Denmark at New Lviv stadium in Lviv

Quelle: REUTERS

Freudiges Reservistendasein: Dennoch hat Bundestrainer Löw bislang auf eine klare erste Elf gebaut. Da war kein Reinkommen für die zwölf Ersatzspieler, allein die Gelbsperre Boatengs öffnete die kleine Tür für Lars Bender. Trotzdem drangen bisher - außer einer harmlosen Bemerkung von Toni Kroos - keinerlei Stänkereien oder Misstöne aus dem deutschen Quartier. Dabei hat die Stänkerei beim DFB durchaus Tradition.

Löws Vorgänger machten ganz schön was mit. Helmut Schön verlor mal die Macht über die Aufstellung (Franz Beckenbauer 1974), Beckenbauer selbst wurde mal zum Suppenkasper (Uli Stein), Berti Vogts Opfer eines Stinkefingers (Stefan Effenberg). Löw aber darf zusehen, wie Mario Götze, Andre Schürrle und Marco Reus beim Aufwärmen und in der Halbzeit wie C-Jugendliche auf dem Platz herumtollen und sich ihr Reservistendasein so schön wie möglich gestalten. Die Stinkefinger-Gefahr 2012 ist gleich Null.

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Zwischenbilanz der DFB-Elf:Nette Stewardessen

Flughafen München

Quelle: dpa

Nette Stewardessen: Beobachtern bleibt der Blick in den Mannschaftsflieger verwehrt. Zurecht, ein Nationalspieler darf auch mal für sich sein. Dennoch kann es gar nicht anders sein: Es müssen sehr freundliche Stewardessen in diesen Flugzeugen arbeiten. Denn der DFB-Tross hat einige Zeit mit ihnen verbracht und sich nie über die lange Flugzeit beschwert.

Zweimal von Danzig nach Lemberg (Lwiw) und einmal nach Charkow, das ergibt 5472 Kilometer in einer Woche. Ob die Spieler beim nächsten Urlaub einen Vielfliegerrabatt bekommen werden? Es ist bislang die EM der weiten Wege für die Deutschen. Und wenn es im Viertelfinale gegen Griechenland schief geht, dann kann es eigentlich nur daran liegen, dass es vom Mannschaftsquartier zum Danziger Stadion nur genau elf Kilometer sind. Oder wie Thomas Müller sagte: "Es ist ein Spiel ohne Flug."

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Zwischenbilanz der DFB-Elf:Schlagwort "Stabilität"

EURO 2012 - Deutschland - Portugal

Quelle: dpa

Schlagwort "Stabilität": "Ich habe in der Halbzeit gesagt, dass es wichtig ist, dass wir diese Stabilität erhalten."

Wer durch das Tal des Todes reiten will, der darf nicht umfallen. Bundestrainer Joachim Löw führte deshalb den Begriff der Stabilität als Schlagwort ein. Dabei ist das auch als Weiterung der Arbeit seines Vorgängers Jürgen Klinsmann zu verstehen. Der beklagte stets die mangelnde Fitness der deutschen Spieler, besonders die Stabilität im Rumpfbereich. Von Rumpfbereich zur defensiven Gruppendynamik hat es acht Jahre gedauert.

Die Portugiesen rüttelten dabei gewaltig an der deutschen Stabilität, die Niederländer noch phasenweise, die Dänen wagten sich nur noch zweimal heran. Der locker-flockige Flug durch die WM 2010 ist einem wuchtigen Stampfen durch die EM 2012 gewichen.

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Zwischenbilanz der DFB-Elf:Schlagwort Präsenz

Denmark v Germany - Group B: UEFA EURO 2012

Quelle: Getty Images

Schlagwort Präsenz: Neben "Stabilität" und "Wundliegen" das Wort der deutschen Vorrunde. Die Enzyklopädien beschreiben das Wort als Ausdruck für ein "räumliches und zeitliches Zugegensein". Viele Beobachter fanden, dass Bastian Schweinsteiger im ersten Spiel gegen Portugal des Öfteren nicht dort zugegen war, wo es gerade notwendig gewesen wäre, weshalb Joachim Löw sich genötigt fühlte, die Präsenz, also das Zugegensein Schweinsteigers ausdrücklich zu loben.

Präsenter, also zugegener, war dabei eigentlich Sami Khedira, Schweinsteigers Kompagnon in der Platzmitte. Der Madrid-Profi hat vielleicht den größten Sprung gemacht seit der WM 2010, er entwickelte sich in der Vorrunde zu einem kleinen Chef im Mittelfeld. Doch Obacht! Kleiner Chef kann auch als Chefchen missverstanden werden. Und wer dieses Wort noch einmal in den Mund nimmt oder in den Computer tippt, der muss mit einem sehr präsenten Bastian Schweinsteiger rechnen.

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Zwischenbilanz der DFB-Elf:Der zwölfte Mann

EURO 2012 - Public Viewing Nürnberg

Quelle: dpa

Der zwölfte Mann: Er kam mit dem Taxi von der Grenze, weil er sein Mietauto nicht mit in die Ukraine bringen durfte. Er kam mit einem Geländewagen die 2000 Kilometer gefahren. Er kam mit dem Zug, mit dem Bus, mit dem Flieger. Der zwölfte Mann auf den Tribünen folgte der deutschen Mannschaft wieder einmal in Scharen. 12.000 gegen Portugal in Lemberg, 10.000 gegen die Niederlande in Charkow, geschätzte 15.000 in Lemberg gegen Dänemark.

Gut, die Schweden waren noch mehr. Warum aber mehr als 20.000 Menschen in gelben Trikots nach Kiew fliegen, um ihre Mannschaft verlieren zu sehen, bleibt ein Rätsel. Für die Deutschen geht es nun weiter, es werden noch mehr dazukommen im Viertelfinale im nahen Danzig. Für diejenigen, die das Abenteuer Ukraine überstanden haben, sollten eigentlich die schönsten Plätze reserviert werden.

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Zwischenbilanz der DFB-Elf:Trauerverarbeitung

Denmark vs Germany

Quelle: dpa

Trauerverarbeitung: In jeder internationalen Pressekonferenz vor und nach einem Spiel stellt ein Reporter (meist einer aus England!) diese Frage: Beeinträchtigt die dramatische Niederlage im Champions-League-Finale die Bayern-Spieler? Trauert Bastian Schweinsteiger noch? Vor dem zweiten Gruppenspiel gegen die Niederlande kam dann auch noch Roman Abramowitsch ins deutsche Mannschaftshotel.

Ausgerechnet der Chef des FC Chelsea. "Ich habe ihm nur gratuliert zum Finalsieg", berichtete Schweinsteiger. Und Joachim Löw erzählte: "Beide haben ein bisschen gelacht." Es war das letzte Zeichen, besonders für alle Engländer: Nein, Schweinsteiger trauert nicht mehr! Ja, er kann immer noch Fußballspielen! Und ja: Im Viertelfinale haut er euch den Elfmeter so dermaßen ins Kreuzeck!

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Zwischenbilanz der DFB-Elf:Der neue Schollismus

Reden, reden, reden

Quelle: hsv

Der neue Schollismus: Zeitweise mutete das Spiel der deutschen Mannschaft recht unspektakulär an - die Übertragungen der deutschen TV-Sender waren es definitiv nicht. ARD-Experte Mehmet Scholl genügte bereits die Moderation nach dem Auftaktspiel gegen Portugal, um die halbe Fußballnation und vor allem Mario Gomez gegen sich aufzubringen ("Wundlieg"-Debatte). Und Oliver Kahn im ZDF sprach so oft von Druck, dass die Frage erlaubt sein musste, ob Kahn nicht selbst - auch Jahre nach seinem Rücktritt - immer noch gehörig unter Druck steht. Die Spanier standen unter Druck, die Holländer sowieso, die Italiener, die Polen, die Ukrainer - Kahn hatte für alles eine Erklärung parat.

Und dann war das natürlich noch Waldemar Hartmann, der den schmerzfreiesten Menschen unter den Fußballfans noch bis spät in der Nacht schönste Kalauer bereitete. Als Lothar Matthäus seine Teilnahme an "Waldis EM-Club" absagte, kicherte Hartmann: "Lothar will bei der Geburt seiner zukünftigen Frau dabei sein." Hochspektakulär, aber wirklich.

© Süddeutsche.de/ebc
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