Zweitligist Dynamo Dresden:Weg vom Image der Menschenfresser

1. FC Union Berlin - Dynamo Dresden

Dynamo Dresden feiert sich selbst zum 60. Geburtstag

(Foto: dpa)

Dynamo Dresden hat den wohl miesesten Ruf im deutschen Fußball. Dabei unternehmen Verein und Fanszene viel, um Missständen entgegenzuwirken. Die Aura des "Wiederholungstäters" wird Dresden auch vorm DFB nicht los - der entscheidet gerade, ob es beim Pokalausschluss bleibt.

Von Saskia Aleythe, Dresden

Einfach mal auf Neustart zu gehen und von vorn zu beginnen, ist unmöglich. Christian Kabs weiß das, er arbeitet beim Fanprojekt Dresden und ihm ist klar: Wer hier lebt und Fußball liebt, muss vieles abkönnen. Das Image vom Gewalt- und Neonazi-Klub lebt, ist tief verbunden mit der Vereinsgeschichte - aber auch etlichen negativen Klischees und Vorurteilen. Zum Teil auch aus der eigenen Stadt.

"Das große Problem ist, dass Dynamo nicht wieder bei Null anfangen kann", sagt Kabs mehr erklärend als anklagend, "die alten Gewaltgeschichten werden immer wieder in Chronologien aufgegriffen." Chronologien, die er nicht mag, aber Tatsachen beschreiben. Sie tragen Schlagworte wie "Europapokal-Ausschluss 1991", "Straßenschlacht im Pokal gegen Lok Leipzig 2007" oder "Randale beim Pokalspiel in Dortmund 2011". All das hat den Ruf des Vereins geprägt. Seine Anhänger gelten inzwischen als "Wiederholungs- täter". Das klingt nach schwieriger Resozialisierung. Nicht ohne Grund.

Momentan kämpft der Verein nicht nur um den Verbleib in der zweiten Liga, sondern auch gegen den Ausschluss vom DFB-Pokal für die kommende Saison. Mal wieder. Im zweiten Berufungsverfahren ist Dynamo vor das Ständige Schiedsgericht des Deutschen Fußballbundes (DFB) gezogen. Der Grund für die ersten Urteile: der Platzsturm von Dynamo-Fans beim Pokalspiel in Hannover im Oktober 2012. Und der Ruf, ein Wiederholungstäter zu sein.

Dresden hat ein Gewaltproblem, das es in anderen Fußballstadien auch gibt, mit Sicherheit ist das der Sachsen etwas stärker ausgeprägt. Doch der Verein arbeitet dagegen an, seit Jahren. "Die positiven Bemühungen in Dresden werden leider nur selten wahrgenommen", sagt Kabs. Frustration klingt da nicht mit, Kabs weiß, dass die Fans Schuld tragen. Ein bisschen mehr Aufmerksamkeit für das, was richtig läuft, wünscht er sich aber schon. Es gibt ja durchaus Anzeichen, dass manches auch gut läuft. Über dem Block K im Stadion hängt die Anzeigetafel, direkt unter dem Spielstand leuchtet der gelbe Schriftzug "Rassismus ist kein Fangesang". Die rechte Szene wurde in den vergangenen Jahren weitgehend aus dem Stadion verdrängt, durch Aufklärungsarbeit, Projekte, Selbstregulierung.

Auf kaum etwas reagieren die Dresden-Fans so sensibel wie auf das Gefühl, beeinflusst zu werden. Eine Herausforderung für soziale Projekte ist das, und umso wertvoller sind die kleinen Erfolge. Der starke Drang nach Selbstverwirklichung ist auch eine Erklärung für die Vielfalt der Fangruppen: Neben den 46 offiziellen Fanklubs ist auf der Homepage des Vereins von fünf Fan-Initiativen zu lesen. Eine setzt sich die Bekämpfung von Diskriminierung zum Ziel, eine andere ermöglicht sozial benachteiligten Kindern den Stadionbesuch. Einen eigenen Sicherheitsbeauftragten beschäftigt der Klub, einen Fanbeauftragten ohnehin. Hinzu kommt das Fanprojekt mit fünf Angestellten, für das Kabs seit dem Start vor zehn Jahren vor allem jugendliche Dynamo-Anhänger im Fan-Haus in Dresden Mitte einen Weg in die Gesellschaft ermöglichen will, mit Beratungsangeboten und Workshops.

Kluft zwischen öffentlichem Bild und eigener Sicht

Erklärungsversuche, warum die Fans in Dresden scheinbar besonders ticken, münden oft in Verweise auf frustrierte Wende-Verlierer, die deshalb so zahlreich zu Auswärtspartien reisen, weil das der einzige Anker in ihrem Leben ist. Die Szene hat tatsächlich ihre Eigenheiten. Auf einige davon bereitet Kabs die gastgebenden Vereine vor: "Ich erkläre ihnen, dass die Fans sehr emotional sind und auch mal auf den Zaun klettern - aber eben nicht drüber. Oder dass es ihnen wichtig ist, ihre Fahnen aufhängen zu können."

In Dresden selbst gehen auch viele Familien ins Stadion, alteingesessene Anhänger - und Leute wie Peter Fiedler. Der 22-Jährige studiert Maschinenbau, er ist schmächtig und spricht mit leiser Stimme. Auch ihm war eine eigene Initiative wichtig, um sich für Dynamo einzusetzen. "Rote Karte gegen Pyro und Chaoten" nennt sich die Gruppe, die derzeit 100.000 Postkarten mit einem Appell an den DFB verteilt. "Wir wollen dem DFB zeigen, dass Kollektivstrafen nicht angebracht sind. Weil sich die große Masse an Dynamo-Fans friedlich auslebt", sagt Fiedler.

Nicht ohne Stolz erzählt er von der Feier zum 60. Vereinsjubiläum und dem Gespräch mit DFB-Präsident Wolfgang Niersbach. Das Wort "alternativlos" sei im Zusammenhang mit der Verhängung von Kollektivstrafen sehr häufig gefallen. "Das ist natürlich schade", sagt Fiedler, "aber wir sind froh, dass überhaupt ein Dialog angestoßen wurde. Dass wir zeigen konnten: Der Dynamo-Fan ist kein Menschenfresser."

Widersprüche tauchen auf, wenn es um "die Einzelnen" geht, die durch aggressives Verhalten immer wieder ein negatives Licht auf Dynamo werfen. Ausrastende Leute bei Auswärtspartien, die der DFB schnell als "Dynamo-Anhänger" bezeichnet, sind für viele Dresdner selbst "Krawalltouristen" und "Exil-Dynamos". "Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen", gibt Kabs zu, "der negative Ruf lockt natürlich auch eine gewisse Klientel an." Das können dann auch Leute sein, die weder Dynamo- noch Fußballfans sind, sondern einfach Lust auf Gewalt haben.

Auffällig ist: Berichte von aggressiven Dresdnern stammen meist von Auswärtsspielen. Was sich bei mancher Auswärtspartie abspielen mag, ist kaum objektiv nachzuzeichnen: Nach dem Spiel bei Union Berlin Anfang April war erneut von gewalttätigen Dynamo-Fans zu lesen, die unter anderem Polizisten verletzt haben sollen - beim Blick in die sächsische Presse tauchten hingegen ganz andere Schilderungen auf. Von schikanierten Dresdnern, die von gereizten Polizisten laut Erlebnisberichten "wie Vieh behandelt" wurden.

Wohin der Weg in Dresden gehen soll, ist klar. "Die Fan-Szene hat sich in der Vergangenheit zum Teil nicht genügend von der Gewalt distanziert - wichtig ist, den Chaoten zu zeigen, dass dieses Verhalten nicht gewünscht ist und sie keinen Schutz in der Masse genießen", sagt Kabs.

Die endgültige Entscheidung über den Pokalausschluss von Dynamo Dresden für die kommende Saison wird bis Mitte Mai erwartet. Sollte das Schiedsgericht erneut die Berufung der Dresdner zurückweisen, hält Kabs eine Trotzreaktion in der Fan-Szene für möglich. "Es würde hingegen etwas bewirken, die Fans nicht mehr nur in eine Ecke zu stellen und auch mal zu würdigen", sagt der Mitarbeiter des Fanprojekts, "dann könnte sich auch irgendwann das Gewaltimage ändern." So liegt das "irgendwann" in einer unbestimmten Ferne. Einfach mal auf Neustart zu gehen, ist eben unmöglich.

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