Zweite Liga:Sie verstehen Spaß!

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Waren zur Stelle, als es drauf ankam: Torschütze Niclas Füllkrug (links) und sein Sturmpartner Eren Dinkci. (Foto: Kokenge/Imago)

Werder Bremen erlebt beim 1:0 im Zweitliga-Spitzenspiel gegen Darmstadt 98 einen Abend, der an alte Zeiten erinnert.

Von Thomas Hürner, Bremen

Und dann huschte ihm dieses Wort noch von den Lippen. Es habe "Spaß" gemacht, sagte Romano Schmid, der junge Spielmacher des SV Werder Bremen. Schmid, 22, ist nicht sonderlich groß, die Angaben variieren zwischen 1,67 und 1,68 Metern, doch auf dem Platz ist er zu einem echten Giganten herangewachsen. Und das hat auch einiges mit dem Wort zu tun, das der Österreicher am Samstag aussprach, unter Flutlicht und direkt vor der Ostkurve im Bremer Weserstadion: Spaß!

Die Werder-Fans haben lange auf so einen Abend verzichten müssen, so lange, dass auf der Tribüne das Wühlen in den prallen Geschichtsbüchern des Traditionsklubs in Gang gesetzt wurde. Wer da nicht alles seine Unterschrift hinterlassen hat, ehe er im nahegelegenen Osterdeich versenkt wurde: Diego Maradona verlor in Bremen mal 1:5, ähnlich erging es den Mannschaften von Real Madrid, Juventus Turin und Inter Mailand. In Bremen erzählen sie sich heute noch von diesen magischen Momenten unter Kunstlicht, von den sogenannten Werder-Wundern bei Nacht - und wer weiß, ob dieser 1:0-Heimsieg gegen den SV Darmstadt 98 von Fußballhistorikern zumindest mal als Mini-Klassiker eingestuft werden wird?

"Es war unfassbar heute", sagt Werder-Stürmer Niclas Füllkrug über die Atmosphäre im Weserstadion

Klar, der Gegner war einige Konfektionsgrößen kleiner als früher. Doch das musste ja nicht heißen, dass Flair und Kulisse so zweitklassig waren wie der offizielle Rahmen der Partie. "Es war unfassbar heute", sagte der Siegtorschütze Niclas Füllkrug, andere Werder-Akteure beschrieben die Atmosphäre mit "Gänsehaut" oder "richtig geil". Gemessen am Aufwand war der Treffer ein geringer Ertrag, denn die Statistiker zählten 26 Torschüsse der Bremer, fast 600 gespielte Pässe und einen Ballbesitz von 61 Prozent. An solchen Werten lässt sich der Begriff "Dominanz" definieren, der Rest war eine Mischung aus juveniler Spielfreude und abgeklärter Spielkultur.

Die bislang letzte echte Flutlicht-Attraktion war vor zwei Jahren ein Pokalsieg gegen Borussia Dortmund gewesen, danach verlor Werder seine Erstliga-Zugehörigkeit, seine Überzeugung und sein offensives Leitbild. In der Pandemiezeit wurde Fußball verhindert, nicht gespielt, und die Bremer konnten sich das erlauben, weil mit den Zuschauern auch das Korrektiv auf den Tribünen verschwand. Das ist jetzt wieder anders. Am Samstagabend türmte sich hinter dem Bremer Team eine Mauer des Optimismus auf, aufgebaut von den 41000 Zuschauern im Weserstadion, das nur deshalb nicht ausverkauft war, weil im Gästeblock ein paar Plätze leer blieben.

Auch ohne einige Leistungsträger zeigte Werder eine seriöse Darbietung

Insbesondere auf die jungen Akteure schien das eine Wirkung zu entfalten. Der Spielmacher Schmid zeigte eine seiner besten Darbietungen im Werder-Trikot, er drehte sich um seine Gegner wie ein Kreisel, ehe er das Geschehen mit klugen Pässen an seine Mitspieler verlagerte - etwa zum pfeilschnellen Angreifer Eren Dinkci oder, auf kurzer Distanz, zu seinem Mittelfeldkollegen Niclas Schmidt. In einem Gemeinschaftsakt konnten die drei Nachwuchskräfte kaschieren, dass die Bremer ohne einige etablierte Kräfte antreten mussten, neben den verletzten Verteidigern Ömer Toprak und Marco Friedl fehlten die Corona-positiven Offensivmänner Leonardo Bittencourt und Marvin Ducksch. Die "reife Leistung", die Werder-Trainer Ole Werner seinem Team attestierte, war deshalb als doppeltes Lob zu verstehen.

Der zehnte Sieg in Werners seit Dezember währenden Amtszeit war einer souveränsten, den Werder in dieser Saison eingefahren hat. Da tat es auch wenig zur Sache, dass sich der Darmstadt-Coach Torsten Lieberknecht am Spielfeldrand wie ein Rumpelstilzchen aufführte, weil er das Strafmaß für den in der 23. Minute mit Rot vom Platz gestellten Klaus Gjasula in Zweifel zog. Der Mittelfeldabräumer, berüchtigt für seine rüde Gangart in allen Nahduellen, traf Werders Schmid mit der offenen Sohle am Knie, was für Lieberknecht "nicht zwingend" mit dem vorzeitigen Ende des Arbeitstages hätte verbunden sein müssen.

Die Bremer rücken durch den Erfolg an die geteilte Tabellenspitze vor

Das sah Werner naturgemäß anders, nur dass er die Entscheidung mit seinem norddeutschen Stoizismus kommentierte: Es habe "selten eine klarere rote Karte" gegeben, sagte der Werder-Coach, der überdies die Seriosität seines Teams im Umgang mit der langen Überzahlsituation lobte und den einzigen "Schönheitsfleck" im Auslassen bester Torgelegenheiten identifizierte.

Aber hatte Werner auch Spaß? Immerhin war dies ja ein Abend, an dem die Bremer mit einem Erfolg gegen einen direkten Konkurrenten ihren Aufstiegsanspruch demonstrierten, an dem sie an die geteilte Zweitliga-Tabellenspitze mit dem FC St. Pauli rückten und sich vor der entscheidenden Saisonphase der uneingeschränkten Unterstützung des eigenen Anhangs versicherten - und all das unter Flutlicht, wie in den großen Zeiten, als die Protagonisten auf dem Rasen noch bei Spielen im Europapokal ausgeleuchtet wurden.

Ja, sagte Werner, das Erlebnis sei "schön" gewesen. Klingt unterkühlt. Für seine Verhältnisse war das aber ein nahezu ekstatischer Gefühlsausbruch.

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