Hamburger SV:Kino mit Dino

Hamburger SV: Jean-Luc Dompé (rechts) stand zuletzt auch abseits des Fußballplatzes in den Schlagzeilen

Jean-Luc Dompé (rechts) stand zuletzt auch abseits des Fußballplatzes in den Schlagzeilen

(Foto: Justus Stegemann/Imago)

Trotz diverser Nebenschauplätze mit einem Investor, einem Dopingverfahren und einem mutmaßlichen Autorennen gewinnt die Elf von Trainer Walter munter weiter. Optimisten glauben: Diesmal könnte es klappen mit dem Aufstieg.

Von Thomas Hürner, Hamburg

Wer Hamburg mag, der liebt in der Regel auch Gegensätze. Die größten Frachter der Welt legen am Containerhafen an, während auf der Alster die Kleinsten das Segeln lernen, in Booten, die interessanterweise "Optimisten" heißen. Und auch der ortsansässige Hamburger Sport-Verein pendelt ja bekanntermaßen ständig zwischen Extremen.

Nicht anders ließ sich jedenfalls ein Satz des Fußballtrainers Tim Walter auf der Pressekonferenz deuten, die dem Zweitliga-Heimspiel des HSV gegen den Absteiger Arminia Bielefeld vorausgegangen war. "Der Dino liefert großes Kino", hatte Walter frohlockt: "Am Wochenende wird das wieder so sein, deswegen kommen die Leute zu uns!" Abgesehen davon, dass die Umschreibung "Dino" jenem fossilen Zeitalter entstammt, in dem der HSV noch ein unabsteigbares Erstligamitglied war, hatte Walter recht mit seiner Einschätzung.

Der HSV hat zehn von zwölf möglichen Punkten im Kalenderjahr gesammelt

Der HSV produziert auch in dieser Saison wieder unterhaltsames Material, auf und neben dem Rasen - und die Leute sind davon so angetan, dass die Stadionkulisse eher an Europapokal als an Unterhaus erinnert. Am Sonntag gegen Bielefeld waren wieder 57 000 Zuschauer im ausverkauften Hamburger Volkspark zugegen. Die Wenigsten dürften ihr Kommen bereut haben: Der HSV gewann 2:1 und hat damit zehn von zwölf möglichen Punkten im Kalenderjahr 2023 eingesammelt. Der daraus resultierende Tabellenplatz zwei lässt nicht nur Optimisten (die Menschen, nicht die Boote) daran glauben, dass es dieses Mal wirklich klappen könnte mit der Rückkehr in die Erstklassigkeit.

Wie viele diesem Ziel hinderliche Nebenschauplätze es zuletzt beim HSV gab, darüber lieferte die Anwesenheitsliste im Stadion ein wenig Aufschluss. Nicht da gewesen sein dürfte etwa der Investor Detlef Dinsel, der gerne Anteile beim Traditionsklub gekauft hätte, davon allerdings absah, weil die HSV-Anhänger gegen den in der Branche mitunter als "Heuschrecke" bezeichneten Private-Equitiy-Mann mobilgemacht hatten. In der Innenverteidigung fehlte der talentierteste Verteidiger, Mario Vuskovic, weil gegen ihn aktuell ein Dopingverfahren beim DFB-Gericht in Frankfurt läuft. Dafür spielte im Angriff der Franzose Jean-Luc Dompé, der neulich seinen BMW bei einem mutmaßlichen Autorennen zu Schrott gefahren hatte, aber vom Klub sein Spielrecht nicht entzogen bekam.

Jener Dompé war dann auch, wie so häufig in dieser Saison, einer der entscheidenden HSV-Akteure. An der Entstehung des Treffers war er zumindest indirekt beteiligt. Dompé dribbelte, der Verteidiger Miro Muheim steuerte einen Hackentrick bei - und Ludovit Reis' doppelt abgefälschter Schuss landete im Bielefelder Tor (26. Minute). Diese Mischung aus Kreativität und Glück war mit Blick auf die Taktik der Gästeelf auch dringend notwendig. Die Arminia versuchte es mit einem Tannenbaumsystem aus fünf Verteidigern und drei Mittelfeldspielern davor, die im Grunde auch nur zum Verteidigen da waren. Das ist meist die große Herausforderungen bei Heimspielen des HSV: Die Mannschaften kommen, um Fußball zu verhindern - und die auf dominanten Ballbesitzfußball getrimmte Walter-Elf muss sich überlegen, wie sie Lücken zwischen all den Spielerbeinen findet, die sich um den gegnerischen Strafraum herum postiert haben.

Am Sonntag gelang das der Heimelf nur mäßig, wie auch Walter urteilte: Zu wenig Tiefe, zu wenig Konsequenz, zu wenige Flanken, zu wenige Abschlüsse - "aber wir haben trotzdem verdient gewonnen", sagte der HSV-Coach. Bielefeld verteidigte konzentriert und schaffte mit einem Abstaubertor von Bastian Oczipka das 1:1 (51.), während der HSV zwar die Initiative behielt, aber nur selten zu großen Chancen kam. Für eine Ausnahme sorgte der rasende Dompé. Mit einer feinen Flanke bediente der Franzose den in den Strafraum gelaufen Bakery Jatta, der zum 2:1-Endstand traf (57.).

"Wir müssen auch mal dreckig gewinnen", sagte Torwart Daniel Heuer Fernandes, der sowohl eine Stärke als auch eine Schwäche des HSV in dieser Saison offenlegte. Einerseits sind Hamburger keine Fähnchen-im-Wind-Mannschaft mehr, die sich schon vom geringsten Gegendruck umpusten lässt. Das war in der Vorwoche etwa in Heidenheim zu beobachten, als die Walter-Elf aus einem 0:3 noch ein 3:3 machte. Andererseits sind souveräne Siege selten in dieser Saison. Das Risikostreben ist beim HSV stets größer ist als der Sinn für defensive Balance, weshalb kleinste Fehler im Spielaufbau bereits schwerwiegende Folgen nach sich ziehen können.

Hanseatischer Optimismus ist daher nur in dezenten Dosen geboten, zumindest vorläufig. Denn auch die Aufstiegskonkurrenten Heidenheim, Paderborn und Darmstadt gewannen am Wochenende ihre Spiele - und auch sie haben ähnlich gute Serien vorzuweisen wie der HSV. Tim Walter ist das egal, er ist ein überzeugter "Wir-schauen-nur-auf-uns"-Dauerprediger. Und zur Verdeutlichung dieser Anschauung hat er stets einen imaginären Abreißkalender dabei: Nach Spielen rechnet er den Journalisten gerne vor, wie viele Partien noch auf dem Programm stehen, und die Zahl wird erwiesenermaßen immer kleiner. Nach dem Sieg gegen Bielfeld sind es nur noch 13 Pflichtaufgaben bis zum erklärten Ziel Aufstieg.

"Alles andere interessiert uns nicht", sagte Walter, der aber genau weiß: Alles andere dürfte in Hamburg am Saisonende auch kaum akzeptiert werden.

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