Seit sich der laut eigener Aussage herbstblonde Thomas Gottschalk auf einer Art Abschiedstournee durch die heimischen Wohnzimmer befindet, kommt gelegentlich die Frage auf, ob es so etwas noch mal geben könne: eine Unterhaltungssendung, die die ganze Familie vor dem Fernseher zusammenbringt. Meist wird diese Frage verneint und mit melancholischen Untertönen sowie kulturpessimistischen Anmerkungen unterlegt. Tenor: Nie wieder gebe es das, dass Kinder am Nachmittag leicht aufgeregt fürs Abendprogramm vorschlafen, um nach der Tagesschau dann im Schlafanzug und frisch geduscht vor dem Bildschirm zu sitzen.
Nun muss man dazu sagen, dass Torsten Mattuschka auf keinen Fall Thomas Gottschalk ist und, wie man zu seiner Ehrenrettung bemerken darf, auch gar nicht sein will. Aber als sogenannter „Zweitliga-Experte“ des TV-Senders Sky ist Mattuschka Teil eines Showformats, dessen Wetten zwar etwas monothematischer ausfallen als die in Gottschalks einst so heiliger Sendung, aber dafür umso spektakulärer. Nichts gegen einen Bagger, der mit sieben Streichholzschachteln Tango tanzt, aber was ist das schon gegen ein 3:4 von Fortuna Düsseldorf gegen den 1.FC Kaiserslautern! Oder ein 3:4 des 1.FC Kaiserslautern gegen Hertha BSC, ein 5:0 des 1.FC Köln gegen Eintracht Braunschweig oder ein 5:1 von Schalke 04 gegen Eintracht Braunschweig!
Eindrucksvolleres Entertainment als das Samstagabend-Topspiel der 2. Bundesliga findet sich im linearen Fernsehen kaum mehr - es sei denn, man schaut sich ein paar andere Spiele in dieser Liga an, in der zum Beispiel der 1.FC Nürnberg gegen Jahn Regensburg mit 8:3 gewinnt (mit dem Trainer Miroslav Klose am Spielfeldrand, der sogar auf dem sagenumwobenen asiatischen Markt ein Begriff ist, im Gegensatz zum Regensburger Trainer Joe Enochs, der, wenn auch nicht deshalb, am Sonntag entlassen wurde).
So viele verrückte Ergebnisse! So viele herrlich g'schlamperte Verhältnisse!
Ach, und: Wetten, dass Schalke 04 mit neuem Trainer 3:4 gegen Fürth mit neuem Trainer verliert, dabei aber zwei Tore in Unterzahl erzielt? Und dass der Hamburger SV eine 2:4-Niederlage bei einem Klub erleidet, der die SV Elversberg heißt und nicht der SV Elversberg? Nach einem knappen Drittel der Saison lässt sich sagen, dass die zweite Liga vieles von dem, was sie vor Saisonbeginn zu versprechen schien, auf imposante Weise einhält. So viele Traditionsklubs! So viele verrückte Ergebnisse! So viele herrlich g'schlamperte Verhältnisse!
Die Wildheit dieser zweiten Liga entspringt allerdings keiner Laune von Torsten Mattuschka oder Thomas Gottschalk, sondern hat System. Jede Volte und jede Spielwendung ist möglich, wenn Woche für Woche herbstblonder Ruhm aus Köln, Gelsenkirchen, Hamburg, Berlin oder Nürnberg auf frisches Potenzial aus Paderborn, Karlsruhe oder Elversberg trifft. Es ist immer dasselbe Muster und immer dieselbe Erkenntnis, aber beides wird gerade so unterhaltsam in Szene gesetzt wie selten zuvor: Die historische Wucht und das grundsätzliche Potenzial der Traditionsklubs ist in jeder Spielsekunde in Gefahr, sich gegen den Verursacher zu wenden – während sie in Paderborn und Karlsruhe genüsslich davon leben können, dass kein Gegner ein Spiel gegen sie als emotionalen Saisonhöhepunkt begreift. In Paderborn lässt sich deutlich ruhiger transferieren, deutlich ruhiger trainieren und im Zweifel auch deutlich ruhiger verlieren als in Köln.
Das hat einstweilen dazu geführt, dass jene Klubs, die die zweite Liga als ihre grundsätzliche Heimat begrüßen und begreifen, diese Liga viel eher in Richtung erste Liga verlassen (Kiel!) als Schalke, Köln, Hertha oder der HSV. Wobei Letzterer gerade dabei ist, ein etablierter Zweitligist zu werden, was seine Aufstiegschancen, so gesehen, wieder erhöht. An dieser Stelle noch schnell ein Fernsehtipp: Am nächsten Samstag um 20.30 Uhr spielt Hertha BSC gegen den 1. FC Köln.