Zweite Liga:Erstmals seit 1954

Hamburger SV v FC St. Pauli - Second Bundesliga

Die Nummer eins in der Stadt: St. Paulis Torschütze Henk Veerman feiert mit seinen Teamkollegen den Erfolg über den Hamburger SV.

(Foto: Stuart Franklin/Getty Images)

St. Pauli gewinnt auch das zweite Saisonderby gegen den HSV. Das könnte die Bundesliga-Ambtionen der Unterlegenen ins Wanken bringen.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Wer schon im Februar 2011 im Volksparkstadion dabei war, als St. Paulis Torwart Benedikt Pliquett nach dem 1:0-Sieg in der Bundesliga die HSV-Eckfahne im Überschwang umnietete, fühlte sich am Samstag daran erinnert. Diesmal war es St. Paulis Abwehrspieler Leo Östigard, der in seiner Begeisterung über das 2:0 der Außenseiter vom Kiez die Rauten-Flagge mit Füßen trat. Es war eine weitere erstaunliche Partie in der Derbyhistorie zwischen dem Hamburger SV und dem FC St. Pauli, wenn auch diesmal nur in der zweiten Liga. Aber zum ersten Mal seit 1954 hat der kleinere Klub beide Saisonspiele gewonnen: Vor fünf Monaten hat St. Pauli den Favoriten mit dem gleichen Ergebnis besiegt.

"Häme und Spott müssen wir hinnehmen", sagt der frustrierte HSV-Trainer Dieter Hecking

HSV-Trainer Dieter Hecking schob die Schuld für die Niederlage nicht auf seine Spieler, sondern nahm sie auf sich. Er sprach von einem "gebrauchten Tag als Trainer" und hielt sich vor, "in der Pause nicht die richtigen Worte gefunden zu haben". Das nimmt womöglich Druck von seinen Profis. Trotzdem könnte dieser Rückschlag mit dem Sturz auf Tabellenplatz drei Zweifel geweckt haben, ob sie das fast "alternativlose Ziel" Bundesligaaufstieg (Klubboss Bernd Hoffmann) wirklich problemlos erreichen - auch wenn Kapitän Aaron Hunt das vehement zurückwies.

Doch was macht es mit HSV-Angestellten, wenn St. Paulis Anhänger die Stadt nun mit Aufklebern "Hamburg ist braun-weiß" vollpflastern? Schon nach dem Schlusspfiff wurde ein großes Plakat mit diesem Satz hochgestemmt. "Häme und Spott müssen wir hinnehmen", sagte der gefrustete Hecking. Man müsse sich "drei, vier Tage schütteln und dann wieder unser Ziel verfolgen, das Aufstieg heißt. Punkt".

St. Paulis Trainer Jos Luhukay, der den ersten Auswärtssieg nach fast einem Jahr zelebrierte, wünschte "dem Dieter sehr viel Glück, dass er seine Ziele erreicht". Anders als die Fans der beiden Klubs, die sich in Abneigung gegenüberstehen und wieder für ein 1500-köpfiges Polizeiaufgebot und einige Konfrontationen sorgten, verbindet die Fußballlehrer eher eine Freundschaft. Zwanzig Jahren gibt es schon dieses Trainerduell. Einmal hat Hecking mit dem 1. FC Nürnberg in der Relegation dem von Luhukay betreuten FC Augsburg den Aufstieg in die Bundesliga weggeschnappt. Nun könnte Luhukay seinem Kollegen, mit dem er die A-Lizenz erlangt hat, einen Strich durch die Rechnung machen. Denn diesmal hatte er die bessere Taktik.

Luhukay ließ die HSV-Innenverteidiger Rick van Drongelen und Timo Letschert früh von seinen Angriffsspitzen Henk Veerman und Dimitrios Diamantakos stören und schnitt so die Versorgungswege zu HSV-Sechser Guido Jung ab. Der HSV habe das Spiel dennoch in der Anfangsphase verloren, weil er da zu gut war, fand Luhukay. Die Gastgeber trugen "die besten 20 Minuten des Jahres" (Martin Harnik) vor, scheiterten zweimal am Aluminium - Sonny Kittel traf die Latte (7.), Joel Pohjanpalo den Pfosten (10.). Dann spielte Louis Schaub nach 20 Minuten ein Fehlpass. St. Paulis Ryo Miyaichi schickte Veerman in ein Duell mit seinem niederländischen Landsmann van Drongelen - der 2,01 Meter große Riese war schneller und geschickter und lupfte den Ball zum 0:1 ins Tor.

Auch beim 0:2 neun Minuten später zeigte der FC St. Pauli jene "Effektivität, die wir sonst oft vermissen lassen", wie Luhukay sagte. Diesmal zog der Engländer Matt Penney aus 20 Metern ab. Es war sein erstes Profi-Tor. Danach war es endgültig vorbei mit dem guten HSV-Auftritt. Die hohen Flanken hat Verteidiger Östigard "weggeschädelt", wie es Torwart Robin Himmelmann formulierte. Und in der zweiten Halbzeit hatte St. Pauli die besseren Chancen.

Auch bei zwei wegen Eingreifens des Video-Assistenten nicht gegebenen Toren von St. Paulis Rico Benatelli (67. Minute) und Hamburgs Lukas Hinterseer (81.) hatte der HSV eher Glück. Während Pohjanpalo vor dem vermeintlichen 1:2 klar den Ball mit der Hand berührte, war die angebliche Abseitsstellung von Miyaichi zumindest diskutabel: Stand er dem HSV-Keeper Daniel Heuer-Fernandes wirklich im Weg?

Jos Luhukay, der nach dem Sieg sagte, er halte "nicht so viel vom Belohnen", hat seinen Profis dann doch zwei Tage freigegeben vor dem Heimspiel gegen Osnabrück. Vielleicht wusste er nichts von dem Fluch, der angeblich auf Derbysiegen liegt. 2011 stieg St. Pauli nach dem 1:0 im Volkspark noch aus der Bundesliga ab, der HSV verspielte den Aufstieg 2019 nach einem 4:0 am Millerntor. Dieter Hecking verändert vor der Partie in Aue nichts. Vielleicht ist ja Beständigkeit doch der Schlüssel zur Beförderung.

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