Zweite Liga:Eine Stadt in Blau-Gelb

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Es geht nach oben: Braunschweigs Angreifer Domi Kumbela (links) lässt Berlins Mittelfeldmann Stephan Fürstner im Kopfball-Duell unter sich. (Foto: Rust/imago)

3:1 gegen Union Berlin: 50 Jahre nach dem Gewinn der deutschen Meisterschaft zieht es Eintracht Braunschweig mit Macht zurück in die Fußball-Bundesliga.

Von JÖRG MARWEDEL, Braunschweig

Am Ende des aus Braunschweiger Sicht großartigen Montagabends hat Eintracht-Trainer Torsten Lieberknecht noch einmal die Sinne geschärft für die letzten Aufgaben der Saison: "Das Navi ist noch auf Bielefeld eingestellt und nicht auf München oder Dortmund." Das sollte heißen: Der Blick ist erst einmal auf die beiden letzten Zweitliga-Partien gerichtet, zunächst beim kämpferischen Abstiegskandidaten Arminia Bielefeld und dann am letzten Spieltag daheim gegen den feststehenden Absteiger Karlsruher SC, der gerade in Fürth 1:0 gewonnen hat.

Dabei war auch Lieberknecht vom 3:1- Sieg seines Teams im Aufstiegsduell gegen Union Berlin begeistert. Nicht nur, weil sich das Team nun wieder am Rivalen Hannover 96 vorbei auf den zweiten Rang geschoben hat. Die Profis hätten "gezeigt, diesen Traum leben zu wollen", meinte er - nämlich im 50. Jahr nach der einzigen deutschen Meisterschaft wieder in der obersten Klasse mitzuspielen. Anders als bei den Konkurrenten VfB Stuttgart und Hannover 96, bei denen der Aufstieg schon aus finanziellen Gründen Pflicht ist, ist er in Braunschweig eben ein Traum - allerdings ein zunehmend realistischer.

Die Spieler hingen nach ihrem Triumph am Zaun, um mit den in den Braunschweiger Farben Blau und Gelb gekleideten Fans den nächsten Schritt in Richtung erste Liga zu feiern. "Die ganze Stadt ist im Moment blau-gelb, die haben alle mitgekämpft", schwärmte Domi Kumbela, der Torschütze zum 3:1, und fügte an, man könnte noch den "ganzen Abend sitzen und die Mannschaft loben". Weil sie "von der ersten bis zur letzten Minute präsent" war. Auch Trainer Lieberknecht lobte das Spiel seiner Profis, hob aber, was für ihn ungewöhnlich ist, zwei Spieler eigens hervor: den zweimaligen Torschützen Ken Reichel und eben Kumbela.

Reichel, der Kapitän, ist als linker Außenverteidiger nicht in erster Linie für das Toreschießen zuständig, trotzdem schraubte er sein Konto in dieser Saison schon auf sieben Treffer. Immer wieder schlich er sich nach vorne und hätte, wie er selber feststellte, "sogar einen Dreierpack machen können", wäre sein 18-Meter-Geschoss in der 32. Minute nicht knapp links am Kasten vorbeigeflogen.

"Irgendwie hatten die Berliner mich nicht auf dem Schirm", staunte der gebürtige Berliner, der mit seinen strammen Schüssen in der 6. und 64. Minute Torhüter Daniel Mesenhöler bezwingen konnte. Die Union-Spieler, analysierte deren Trainer Jens Keller, hätten die Braunschweiger "eingeladen", ihr Umschaltspiel aufzuziehen. Dass die Hauptstädter mit ihrem Chef Felix Kroos 57 Prozent Ballbesitz hatten (am Anfang sogar 70 Prozent), hat den Niedersachsen nur in die Karten gespielt.

Und die Geschichte von Domi Kumbela, dem Deutsch-Kongolesen, ist natürlich auch eine, die zum zweiten Aufstieg nach 2013 passen würde, bei dem Kumbela wie auch Reichel und Spielmacher Mirko Boland schon dabei war. Seit Mitte Dezember hatte der Stürmer seinen elf Hinrunden-Treffern keinen mehr hinzufügen können. Nun aber ließ er "den Knoten platzen", wie der dynamische Vorlagengeber Julius Biada anmerkte - beim entscheidenden 3:1 in der 75. Minute. Kumbela hatte sehr wohl gelitten unter seiner persönlichen Flaute. Aber er hatte, von Lieberknecht wohlwollend beobachtet, schon in den Wochen vor diesem "Törchen" (so Kumbela in bester Rudi-Völler-Diktion) versucht, erfolgreich für "die Mannschaft zu arbeiten".

Doch fehlende Tore könnten sowohl die Hannoveraner (die am Sonntag Tabellenführer Stuttgart empfangen) als auch die Braunschweiger noch am direkten Aufstieg hindern. Am Ende kommt es womöglich auf jeden Treffer an, und auch interne Kritiker bedauerten, dass es gegen Union nicht mindestens ein 4:1 oder sogar ein 6:1 geworden ist. Schließlich gab es gleich eine Handvoll hochkarätiger Konterchancen gegen die trotz des Platzverweises für Abwehrspieler Roberto Puncec (54. Minute) nicht aufgebenden Berliner, denen nur 67 Sekunden nach dem 2:0 der Anschlusstreffer durch Maximilian Thiel gelungen war. Gleichwohl sehen die Eintracht-Profis mit dem erhebenden Gefühl, im "Stile einer Spitzenmannschaft" (Julius Biada) zu Werke gegangen zu sein, eine "große Chance", den Traum zu verwirklichen. Und so sieht es nicht nur Kapitän Reichel.

Bei Union Berlin sieht man die Sache derweil nüchtern: "Sechs Punkte und sechs Tore Rückstand, zwei ausstehende Spiele, wir haben den Sprung verpasst", sagte Trainer Keller und fügte an, man sei "realistisch". Dann musste er noch die Frage eines Berliner Journalisten beantworten: Ob es nicht auch etwas Gutes habe, vor den Verhandlungen über eine Vertragsverlängerung Klarheit zu haben, in welcher Klasse man nächste Saison spiele, wollte dieser wissen. "Super Frage nach so einem Spiel", antwortete Keller, "ich hätte gern noch zwei Wochen länger Unsicherheit gehabt."

© SZ vom 10.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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