Zweite Bundesliga:Rausch vor dem Feiertag

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Als wäre es das Siegtor: Kölnes Torschütze zum 7:1, Louis Schaub, bejubelt seinen Treffer 78. Minute. (Foto: Roland Weihrauch/dpa)

Die zuletzt hart kritisierten Spieler des 1. FC Köln zaubern am Tag vor dem Sessionsauftakt. Beim 8:1 gegen Dynamo Dresden gelingt dem Bundesliga-Absteiger "so gut wie alles".

Von Milan Pavlovic, Köln

Es war eine wilde Woche rund um den 1. FC Köln. Sie begann am Montag mit einer 0:1-Niederlage in Hamburg, nach der den Spielern wahlweise mangelndes Können oder mangelnder Wille unterstellt wurde - man wusste bloß nicht, was schlimmer ist. Wie immer, wenn der größte Klub von Köln eine Misserfolgsserie hinlegt (zuletzt vier Spiele ohne Sieg), durchlebt die Stadt einen emotionalen Hänger, der selbst Unbeteiligten aufs Gemüt schlägt. Wobei klar zu unterscheiden ist: In der ersten Liga neigen die Anhänger zu Depressionen und Fatalismus, in der zweiten Klasse zu Aggressionen und Zynismus. Wenn man in solchen Situationen öffentlich die Buchstaben F und C kombiniert, wird der Tonfall merklich gereizter. Von Armseligkeit, einem zerstrittenen Haufen und aufgebrauchtem Vertrauen war die Rede.

Die mindestens 500 000 inoffiziellen FC-Trainer der Stadt hatten den Schuldigen sogleich ausgemacht: Trainer Markus Anfang half zuletzt auch nicht mehr, dass er einst in Köln geboren wurde. Wenn seine Kritiker nicht gerade bemängelten, dass die Abwehr zu löchrig sei, beklagten sie, dass der 44-Jährige am liebsten mit nur einer echten Spitze agieren lässt. Zwei Stürmer sollten es mindestens sein, am besten drei und am allerbesten bald wieder mit der FC-Legende von 2017, Anthony Modeste, der sich nach einem unbefriedigenden Gastspiel in China momentan beim FC fit hält. Der Franzose solle im Winter kommen - ganz so, als stelle der FC in Simon Terodde nicht ohnehin den besten Schützen der zweiten Liga.

Dresdens ungehöriger Anhang wird kollektiv bestraft - mit Toren

Die Beobachter redeten und schrieben sich in den vergangenen Tagen so in Rage, dass selbst gemäßigte Gemüter befanden, die Partie gegen Dynamo Dresden entscheide über die Zukunft des Trainers. Man konnte das Gefühl bekommen, das Müngersdorfer Stadion werde sich am Samstag ins Kolosseum verwandeln, in dem die Zuschauer nach einer weiteren schlechten Heimvorstellung wie einst im alten Rom den Daumen senken würden, um ungnädig über den Zeremonienmeister Anfang zu urteilen. Den passenden Rahmen dazu bildeten zehn Hundertschaften der Polizei, die zu Fuß, zu Pferd oder in der Luft im Einsatz waren, wenn auch in erster Linie wegen der zahlreich angereisten Gäste-Anhänger, deren zerstörerischer Ruf ihnen vorausgeeilt war.

Das Scharfgericht über Anfang wurde dann erst einmal vertagt, das 8:1 (2:0) der Kölner lieferte den Nörglern und Besserwissern keine Nahrung, wenn man mal davon absieht, dass der Sieg mit zwei Stürmen erspielt wurde und der "Siehste!"-Fraktion Recht gab. Das Spiel hinterließ Dresdner Spieler, die vor Scham und Verzweiflung in der Kabine oder direkt vor der Kamera schluchzten, was ihrem Trainer Maik Walpurgis die einzige positive Beobachtung des Tages ermöglichte: "Das zeigt, dass die Jungs mit dem Herzen dabei sind." Etwas drastischer formulierte es Kapitän Marco Hartmann, als er mit den Tränen ringend sagte: "Man wusste nicht, wem man nach den Gegentoren in den Arsch treten sollte, jeder hatte krass mit sich zu tun."

Höchster Kölner Sieg seit 2005

Die Kölner hingegen jubelten in ihren herrlichen Karnevalstrikots mit Ringelmuster fast ungläubig über den höchsten Zweitliga-Sieg seit 2005 (8:1 gegen Burghausen). Sie hatten neun Chancen in acht Tore verwandelt, eines schöner als das andere, und sie hatten "immer zum richtigen Zeitpunkt" (Anfang) die wichtigsten Tore erzielt: das erste nach nicht einmal 150 Sekunden, das zweite kurz vor der Pause, das dritte 19 Sekunden nach Wiederanpfiff. Die Dresdner Fans reagierten auf dieses 0:3 mit gelbschwarzen Rauchschwaden und allerlei anderem Unfug. Wie zur Kollektivstrafe für dieses pennälerhafte Verhalten gab es noch fünf weitere Gegentore.

Nach dem Schlusspfiff passte FC-Geschäftsführer Armin Veh am Spielfeldrand Felix Brych ab. Auch der Fifa-Schiedsrichter ist höhere Spielklassen gewöhnt, aber sein ungläubiges Lächeln signalisierte, dass er einen Nachmittag wie diesen selten, wenn nicht sogar noch nie erlebt hat. Veh wiederum, der nach dem 0:1 in Hamburg noch schwer gegrantelt hatte, ließ das Spiel für sich selbst sprechen, er entschwand in seinen abgewetzten Designer-Jeans kommentarlos. Es hätte ja vielleicht unpassend gewirkt zu sagen, dass man dieses 8:1 nicht auf den Restverlauf der Saison hochrechnen darf. Nicht immer wird Jhon Cordoba so genau treffen wie beim 1:0 (3.) und 4:0 (51.). Nicht immer dürften verlorene Bälle den Kölnern wieder fußgerecht überlassen werden wie vor Teroddes Treffern zum 2:0 (42.) und 3:0 (46.), nicht immer wird Jonas Hector so frei an den Ball kommen wie vor dem 5:0 (56.) und 8:1 (83.), nicht immer werden die Risikopässe von Marcel Risse zu drei Assists in einer Partie führen und nicht allzu oft wird Louis Schaub so traumhaft dribbeln können wie vor dem 2:0 und dem 3:0 und dem 5:0 sowie fabelhaft treffen können wie zum 7:1 (78.). Am Samstag allerdings hat "fast alles geklappt", wie Torwart Timo Horn genüsslich beobachtet hatte.

Das Schönste aus Kölner Sicht: Die wilde Woche war nach dem 8:1 längst nicht vorbei. Am Sonntag stand noch der Sessionsauftakt an, "der Beginn der fünften Jahreszeit", wie Anfang vielleicht glaubte, den Gästen aus Sachsen erklären zu müssen. "Sie sollen es krachen lassen", sagte der Trainer mit Blick auf seine Spieler, "aber sich dabei benehmen."

© SZ vom 11.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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