Zweite Bundesliga:Raus aus der Komfortzone, rein in den Keller

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Harter Winter in Hamburg: St. Pauli-Trainer Jos Luhukay. (Foto: Christian Charisius/dpa)

Dem strengen Trainer Jos Luhukay droht mit dem FC St. Pauli der Abstieg. Doch von seinen Vorgesetzten wird er nicht infrage gestellt.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Die letzten Momente des Zweitliga-Nordderbys am Montagabend zwischen Holstein Kiel und dem FC St. Pauli hatten es in sich. Immer wieder schaute der Videoassistent in Köln jene Szene an, in der Kiels Kapitän Hauke Wahl dem Ball mit dem Oberarm eine andere Richtung gegeben hatte. Dann begab sich Schiedsrichter Arne Aarnink selbst an den Monitor, und nach fünf Minuten fiel die Entscheidung: Elfmeter für St. Pauli, tief in der Nachspielzeit. Henk Veerman, der zuvor das 1:1 erzielt hatte, stand schon die ganze Zeit am Elfmeterpunkt; als er endlich schießen durfte, hatte er sich wohl zu viele Gedanken gemacht. Kiels Keeper Ioannis Gelios wählte "spontan", wie er sagte, jene Ecke, in die Veerman zielte - und rettete so den 2:1-Sieg für Holstein Kiel, das damit auf Tabellenplatz sechs kletterte.

St. Pauli dagegen ist nun nur noch einen Punkt vom Relegationsplatz zur dritten Liga entfernt. Statt um den Aufstieg mitzuspielen, wie es sich Trainer Jos Luhukay bei seinem Amtsantritt im April 2019 für die nächsten zwei Jahre vorgestellt hat, ist St. Pauli mal wieder im Abstiegskampf angekommen - wie schon 2015 und 2017. Dabei kam Luhukay als Aufstiegsspezialist ans Millerntor. Der Niederländer hatte als Coach Mönchengladbach, Hertha BSC und Augsburg in die erste Klasse geführt. Nun sagt er geknickt: "Man darf nicht die Augen verschließen. Wir müssen zusehen, dass St. Pauli in der zweiten Liga bleibt."

Die Frage ist, welchen Anteil er selbst am Abstiegstrend hat. Glaubt man Präsident Oke Göttlich und dem Sportchef Andreas Bornemann, dann hat Luhukay daran etwa so wenig Schuld wie der Trainer Florian Kohfeldt an der Krise von Werder Bremen. Beide Klubführungen sind wohl so überzeugt von ihrem Weg, dass die Trainer trotz extrem angespannter Lage bleiben sollen. Allerdings hat Luhukay den Verein mehr durcheinander gewirbelt als Kohfeldt, der schon immer die "Werder-DNA" in sich trug. Luhukay hatte früh bei St. Pauli die "Komfortzone" und "Bequemlichkeit" der Profis und mancher Abteilungen im Haus angeprangert. Er wolle nicht, dass man "zu nett" miteinander umgehe, er forderte Leistungssport-Atmosphäre.

Manch verdienten St. Pauli-Spieler hat Luhukay zudem angezählt, etwa Christopher Buchtmann oder den kritischen Marvin Knoll, die auch in Kiel nicht spielten. Jan-Philipp Kalla, von den Fans als "Fußballgott" verehrt, und der bislang beste Schütze Dimitrios Diamantakos schafften es nicht mal in den Kader. Einerseits spielt St. Pauli unter Luhukay oft einen besseren, offensiveren Fußball - wie zuletzt beim 3:0 gegen Tabellenführer Bielefeld und beim 1:1 gegen das Topteam VfB Stuttgart. Anderseits sind die Hamburger seit 15 Auswärtsspielen sieglos und liefern zuweilen willenlose Auftritte wie beim 0:3 in Fürth oder in der ersten Halbzeit in Kiel ab.

Vor dem Wintertrainingslager in Spanien hatte der sehr geradlinige Trainer vier weitere Spieler aussortiert. Sein Vorvorvorgänger Ewald Lienen, inzwischen Technischer Direktor im Klub, stellte neulich in einem Vortrag vor Unternehmern fest, es sei "ein großer Unterschied, ob Mitarbeiter etwas tun, was vorgegeben ist, oder es selbst richtig finden und entsprechend mit Feuereifer dabei sind". Ob er damit auch Luhukays interne Umgangsformen meinte, blieb offen. Aber vielleicht gibt es auch einen ganz simplen Grund, weshalb St. Pauli so tief abgerutscht ist. Im Winter gingen die besten Kicker weg, Spielmacher Mats Möller Daehli wechselte zu Racing Genk.

Nun muss Luhukay seine Fähigkeiten im Abstiegskampf beweisen. Am Freitag kommt ausgerechnet sein Vorgänger Markus Kauczinski mit Dresden zum Kiez. Dem sagte man am Millerntor das nach, was Luhukay vertreiben wollte: eine gewisse Bequemlichkeit.

© SZ vom 12.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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