Zweite Bundesliga:Emotionen an der Eckfahne

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Zwei Mal erfolgreich: Havard Nielsen brachte Fürth in Führung und traf kurz vor Ablauf der Nachspielzeit erneut. (Foto: imago)

Der Hamburger SV vergibt bei Greuther Fürth einen Sieg und rückt dennoch auf einen Aufstiegsplatz vor. Die Gastgeber haben nach dem 2:2 Mühe, ihre Freude auf ein erlaubtes Maß zu drosseln.

Von Sebastian Leisgang, Fürth

Kurz bevor es vorbei war, stellte Havard Nielsen alle auf die Probe: erst den Hamburger Torwart Daniel Heuer Fernandes, dann seine Mannschaftskollegen und die Funktionäre, die auf der Bank der SpVgg Greuther Fürth saßen.

Die Nachspielzeit war beinahe zu Ende, und als der Ball im Hamburger Strafraum zufällig vor Nielsens Füßen landete, holte der Fürther Angreifer aus - er schoss, er schaute, er hoffte, und er sah schließlich, wie der Ball hinter Heuer Fernandes einschlug. Es war das 2:2, ein Moment, in dem sich all die Gefühle entluden, ein Moment, in dem es den Fürthern, diesen Eindruck hatte man zumindest auf der Tribüne, nicht leicht fiel, sich in ihrem Jubel zu zügeln. Sie rissen die Arme in die Luft, sie schrien, rannten allesamt zur Eckfahne und feierten dann doch nicht so ausgelassen, wie es sonst wohl getan hätten.

Es war der Schlusspunkt einer Partie, die tatsächlich jenes "Feuer" hatte, von dem HSV-Trainer Dieter Hecking später sprach, die aber vor allem zeigte: Geisterspiele lassen sich nicht inszenieren. Geisterspiele, das ist am Sonntagnachmittag in Fürth deutlich geworden, entziehen sich der Show, um die sich die Branche sonst so bemüht. Geisterspiele führen den Fußball auf seinen Kern zurück: auf das Duell zweier Mannschaften, die rennen, kämpfen und sich notfalls auf den Rasen werfen, um am Ende als Sieger hervorzugehen.

Im Grunde ist das ein positiver Aspekt, doch bleiben Geisterspiele auch das Wesentliche schuldig: die Kulisse, die Anfeuerungen der Fans, die Emotionen, die durch das Publikum entstehen.

Als Hecking nach der Partie über die Umstände sprach, nannte er sie "gewöhnungsbedürftig". Er lobte aber auch die Rasanz, mit der die beiden Mannschaften zu Werke gegangen waren. Das war ja tatsächlich bemerkenswert, mit welcher Schärfe, mit welcher Verve und Wettbewerbshärte Fürth und der HSV miteinander rangen - nach mehr als zweimonatiger Pause und nur ein paar Tagen im Mannschaftstraining.

Von Beginn an war es ein munteres Hin und Her: Erst gingen die Fürther durch Nielsen in Führung (35.), dann rafften sich die Hamburger zu einem Kraftakt auf und schlugen binnen weniger Minuten durch Joel Pohjanpalo (41.) und Jeremy Dudziak (48.) zurück. Weil sie in der Schlussphase aber nachlässiger wurden, traf Nielsen noch ein zweites Mal (90.+4).

Für den HSV war das späte Gegentor bitter, auch wenn der VfB Stuttgart ihm den Gefallen tat, ebenfalls durch einen späten Gegentreffer zum zweiten Mal in dieser Saison gegen den SV Wehen Wiesbaden zu verlieren. "Der Ausgleich schmerzt", sagte Hecking, "wir hatten die Chance zum dritten und vierten Tor." Dass sich sein Team mit dem Remis auf den zweiten Tabellenplatz verbesserte, war zumindest ein Trost. Hecking sprach mit Blick auf die anderen Ergebnisse davon, dass seine Mannschaft "ein Teilziel erreicht" habe.

Acht Partien stehen dem Hamburger SV nun noch bevor. Acht Geisterspiele, bei denen jene Applaus- und Rufkulisse zu erleben sein wird, in die sich auch die Begegnung in Fürth einfügte. Eine Anfeuerung, Stille. Ein Klatschen, Stille.

Die verbleibenden Partien werden auch einen Blick auf das Innerste des Fußballs freigeben, auf das, was dem Zuschauer sonst verborgen bleibt: Wie die Spieler mit den Schiedsrichtern umgehen, wie sie sich untereinander verhalten, was jene Spieler, die nicht im Kader stehen und deshalb hinter den Presseplätzen auf der Tribüne sitzen, über ihre Kollegen auf dem Feld sagen. In Fürth war zu hören, wie Maximilian Wittek, der linke Verteidiger der Spielvereinigung, den Linienrichter anbrüllte, weil er mit dessen Entscheidung nicht einverstanden war. Später war zu erfahren, dass sie Nielsen in Fürth Haui nennen und dass Heuer Fernandes in Hamburg Fero gerufen wird.

Haui und Fero, das waren die Protagonisten der Schlusspointe. Jener Szene, in der sich zweierlei zeigte: dass es halb so bewegend ist, ein entscheidendes Tor auf der Tribüne mitzuerleben, wenn man einer von wenigen ist. Und dass der HSV in den nächsten Tagen noch ein bisschen zu tun hat. Am Wochenende steht das Gipfeltreffen mit Arminia Bielefeld an.

© SZ vom 18.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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